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Linteum carptum

Linteum carptum, Charpie. Die sogenannten Wundfäden, wie sie Hofrat Faust nennt, oder die Charpie ist, zweckmäßig angewandt, bei leichten Wunden und Geschwüren, ein schätzbares Heilmittel. Unzählige Wunden und Geschwüre sind von so geringer Bedeutung, dass die Meisten die äußere, einen ganz einfachen, reinlichen Verband bloß erfordernde Behandlung gewöhnlich selbst übernehmen und auch unbedenklich übernehmen können. Gleichwohl verschlimmern sich gar viele solcher leichten Wunden und Geschwüre, und davon sind zwei Umstände die gewöhnliche Ursache. Einmal nämlich wird die heilende Kraft nicht in dem Organismus selbst, sondern in den üblichen Mitteln, in Pflastern, Salben, Balsamen u. s. w. gesucht, und dann, wenn sie auch wirklich mit Recht der Heilkraft der Natur vertrauen, so verbinden sie die leidenden Stellen so fehlerhaft, dass sie, statt der bildenden, wiedererzeugenden Kraft des Körpers alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, ihre Tätigkeit hemmen. Leider dürfte es ein vergeblich Geschäft sein, den Laien vor Anwendung der genannten äußeren Arzneimittel zu warnen, so lange noch Männer, welche autorisiert sind, sich Wundärzte zu nennen, die leichteste Wunde, das unschuldigste Geschwür, die unbedeutendste Eitergeschwulst, ohne Diachylonpflaster, Basilikum- oder Digestivsalbe gar nicht zu behandeln verstehen. Indes muss man der guten Hoffnung leben, dass doch endlich einmal die Schulen, aus welchen die Militär- und bürgerlichen Chirurgen ihre Kurmaximen schöpfen müssen, den alten Schlendrian der Geschichte der Wundarzneikunst überlassen und ihren Zöglingen einen viel eingeschränkteren Gebrauch jener äußeren Mittel empfehlen werden, als zur Zeit zu geschehen pflegt. Vielleicht wird, da es in der gesamten Chirurgie nun einmal nicht möglich, doch in den Kapiteln von leichten Wunden und Geschwüren ein homöopathisches, d. h. untätiges, nichts leistendes Verfahren Mode; wie viele solcher Übel werden dann einen leichteren Verlauf machen, schneller und sicherer geheilt werden! Vor der Hand dürfte es wohl nicht überflüssig sein, hier in der Kürze das Nötigste über die richtige Bereitung und zweckmäßige Anwendung der Charpie bei jenen Wunden und Geschwüren, welche der Laie selbst zu besorgen übernimmt, zu erwähnen, um wenigstens von dieser Seite der Heilung solcher leichteren Übel manche Hindernisse aus dem Wege zu räumen.

Zur Bereitung einer guten Charpie muss die Leinwand 1) weder ganz neu, noch zu abgenutzt, 2) ungefärbt, weiß, vollkommen rein gewaschen und frei von Stärke und Kalk, 3) weder zu grob, noch zu fein sein und 4) keine Ansteckungsstoffe in sich enthalten, darum weder auszehrenden, noch Blatter-, Kratz-, Krebs- oder syphilitischen Kranken u. s. w. zur Wäsche gedient haben. Solche Leinwand reißt man in viereckige, gleichseitige, vier Querfinger breite und eben so lange Stücke und zieht die Fäden nun so heraus, dass jeder derselben möglichst ganz erhalten wird, und keiner mit dem anderen in gleiche Lage zu liegen kommt. In letzterer Hinsicht ist es nötig, dass das viereckige Leinwandstück immer unter dem Zupfen gedreht wird und am Ende ein Kreuz von einigen Fäden Kette und einigen Fäden Einschlag übrig bleibt. Solche ungeordnete Fäden, welche man auf diese Weise erhält, sind dem Nichtarzt zum Verbände seiner kleinen Übel allein brauchbar und werden in der Chirurgie rohe Charpie genannt.

Da nun jede Wunde, jedes Geschwür einer weichen Bedeckung bedarf, um den Zutritt der Luft abzuhalten, vor Staub und anderen Uneinigkeiten zu bewahren, den Eiter und andere Feuchtigkeit aufzusaugen, gute Charpie aber von jeher als die zweckmäßigste Bedeckung hat anerkannt werden müssen und jedes unmittelbare Auflegen eines auch noch so gerühmten Pflasters auf eine klaffende Wunde oder die ungleiche Fläche eines Geschwürs ein wahres Hindernis zur Heilung abgibt, so sind die älteren, besonders französischen Chirurgen wohl in der Bildung der rohen Charpie zu solchen Wundenbedeckungen von jeher sehr sinnreich und erfinderisch gewesen; gleichwohl sind diese Künsteleien, wenn nicht durch unvermeidlichen Druck ihrer Unterbindungen gar schädlich, doch größtenteils gänzlich überflüssig und werden von guten Chirurgen wohl wenig mehr angewandt. In früheren Zeiten hatte man Federn, in Leinwand genäht, zur Bedeckung der Wunden gebraucht, und von daher schreibt sich die französische Benennung Plumaceau. Die einfachste und zweckmäßigste Art von Charpiebäuschchen oder Charpiekuchen, welche Keinem unbekannt sein sollte, der sich Wunden leichterer Art selbst verbinden will, wird auf folgende Weise bereitet. Man nimmt von einem Haufen roher Charpie ganz locker mit drei oder vier Fingern eine größere oder geringere Menge Fäden, legt sie auf die eine flache Hand, schlägt mit der anderen darauf und beugt mit einer Messerklinge, einem Spatel oder ähnlichem Werkzeuge alle weiter hervorstehende Fäden nach der unteren Fläche des zu bildenden Charpiekuchens um, wodurch dieser leicht so viel Festigkeit bekommt, dass er nötigen Falls, auch ohne zu zerreißen, recht gut mit einer Salbe bestrichen werden kann. Ja, es lassen sich bei Verbrennungen und anderen größeren wunden Flächen große Fladen bilden, wenn man die Charpie auf ähnliche Art behandelt, wie der Flachs als Spinnrocken angelegt wird, d, h. so, dass z. B. die linke Hand allezeit die Fäden, welche die rechte ausbreitet, niederdrückt, wodurch eine Art von lockerem Gewebe gebildet wird, welches durch Umschlagen der hervorstehenden Fäden mittels eines Messers gleichfalls so viel Festigkeit erlangt, dass man mit einiger Übung die ganze Fläche nach Bedarf mit einer Salbe bestreichen oder sie in beliebige Stücke zerschneiden kann. Diese Art von Plumaceaux genügen allen Ansprüchen, welche an eine zweckmäßige Bedeckung für Wunden und Geschwüre gemacht werden können, und durch sie werden, trocken oder mit einem milden Fette bestrichen, eine Menge von Wunden und Geschwüren kunstlos geheilt, welche durch zierlich geformte Charpiebäuschchen, durch die vielen Pflaster, Salben und Balsame künstlich unheilbar werden oder doch wenigstens längere Zeit zu ihrer Heilung bedürfen. Muss der wahre Wundarzt oft, wenn er später zu Wunden und Geschwüren gerufen wird, darüber Klage führen, dass dieselben ihren ursprünglichen gutartigen Charakter verloren haben; über eine solche Behandlungsart, wie die empfohlene, wird er es niemals (s. Streifs Gesundheitszeitung, 1828. Nr. 12).