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Nadelstich

Nadelstich Acupunctura. So nennt man das von den Chinesen und Japanesen entlehnte, am Ende des 17. Jahrhunderts nach Europa verpflanzte, unter dem Volk und den dortigen Ärzten gebräuchliche Verfahren, Nadeln von Gold, Silber, Kupfer u. s. w., die am besten sehr fein, zwei bis drei Zoll lang, biegsam und an der Spitze durch kaltes Hämmern gehärtet sind, in schmerzhafte Teile einen Viertel-, halben, selbst einen oder mehrere Zoll tief zu stechen, indem man mit dem Daumen und Zeigefinger der linken Hand eine kleine Hantfalte bildet und hier die Nadel einsticht. Der Schmerz ist unbedeutend, denn nur der Hautstich schmerzt, nicht aber das Weiterschieben der Nadel im Fleische.

Man hat die Akupunktur mit Nutzen gebraucht: bei örtlichen rheumatischen und gichtischen Schmerzen, bei nervösem Kopfweh, Gesichtsschmerz, bei der Mundsperre, bei Hüftweh, Magenkrampf. Man appliziert die Nadeln, deren man gleichzeitig vier bis zehn Stück einsticht, unmittelbar an den leidenden Teil oder in die Nähe desselben (beim Magenkrampf in die Herzgrube, beim Kopfweh in die Kopfhaut u. s. w.), und lässt sie dann eine Viertel-, halbe, ja eine volle Stunde, überhaupt so lange stecken, bis alle Schmerzen vorüber sind. Beim Scheintode ist die Akupunktur des Herzens, ebenfalls auch mit Galvanismus, mit einer Voltasäule von 10-20 Plattenpaaren, in Verbindung gesetzt, noch als letztes desperates Mittel von der pariser Académie royale de Médecine vorgeschlagen worden (s. Archives générales de Médecine. Mai 1827). Die überraschendsten Wirkungen der Akupunktur, beruhend teils auf Oxydation, teils auf feinen elektrischen Verhältnissen, auf Wiederherstellung unterbrochener oder sonst gestörter Nervenleitung und animalischer Elektrizität, — sah ich bei acutem, recht schmerzhaftem Rheumatismus der Schulter, des Rückens, des Oberarms, Nackens und der Gliedmassen. In der Regel war binnen einer Viertelstunde aller Schmerz wie weggezaubert. Man wählt gern Nadeln von Metallen, welche eine elektrische Spannung haben, z. B. goldene und silberne. Ich habe je zwei solcher Nadeln, nach der Methode der französischen Ärzte Jul. Clocquet, Pelletan und Sarlandière, nachdem sie eingestochen, mit einer feinen Ciaviersaite oder solchem Piatinadrahte verbunden, wodurch die elektrischen Strömungen vermehrt und die heilsame Wirkung- erhöht wird. Nicht selten empfinden die Kranken unter Anwendung der Akupunktur ein Gefühl von Erstarrung im leidenden Teile, welches sich auch dem berührenden Finger des Arztes mitteilt und stets, wie Clocquet und Pelletan versichern, eine vollkommene Genesung erwarten lässt.

Vor dem Jahre 1825 war die Akupunktur in Deutschland wenig versucht worden, obgleich schon vor 150 Jahren dieselbe durch Ten Rhyne, Bidlov, Titsing und Kämpher in Europa bekannt und im J. 1811 aufs Neue durch französische und englische Ärzte angeregt wurde. Später, im J. 1825 war es Prof. Friedreich, der bei der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Frankfurt a. M. seine Beobachtungen darüber vorlegte und zu neuen Versuchen anregte.

Wirksamer als die einfache Akupunktur ist noch die Elektropunktur. Magendie war nämlich der Erste, welcher, um die Wirkung zu verstärken, die Nadeln mit einer Voltasäule In Verbindung brachte. Dasselbe versuchte Dr. König (Hufeland’s Journ. 1829. Juli), der zwei ernsthafte Fälle von Wassersucht dadurch heilte, was das Ministerium der geistlichen, Unterrichtsund Medizinalangelegenheiten bewog, die Heilkraft der Elektropunktur im Charitékrankenhaus zu Berlin näher prüfen zu lassen. Rust (Hdb. d. Chirurgie. Bd. I. S. 294) berichtet darüber Folgendes: „Eine Voltasäule von bald mehr, bald weniger Plattenpaaren wurde mit zwei geöhrten Platinnadeln, die in den Unterleib oder eine andere Stelle des Körpers einen Vierteibis einen halben Zoll tief eingestochen worden waren, in Verbindung gesetzt, und 10-30 Minuten darin gelassen. Sobald die Kette geschlossen war, empfanden die Kranken heftige, zuckende, reissende Schmerzen, die sowohl zu lautem Aufschreien, als zu unwillkürlichen Bewegungen nötigten und nicht selten hiedurch das Ausgehen der Nadeln veranlassten. In der Regel exacerbierte und remittierte der Schmerz, dauerte aber auch nach Beendigung des Versuches noch einige Zeit, wiewol in minderen Grade, fort. Die Muskeln, welche dem Einstichspunkte der Nadeln zunächst lagen, zogen sich lebhaft zusammen, eine Erscheinung, die an den Bauch- und Gesichts- muskeln am deutlichsten wahrgenommen werden konnte. Um die Einstichpunkte bildete sich ein kreisrunder, entzündeter Hof, der oft zwei bis drei Linien Durchmesser erlangte, und welcher um die Nadel, die mit dem Zinkpol in Verbindung stand, größer und deutlicher war, als um die Nadel, welche dem Kupferpol der Säule angehörte. Sehr bald sonderte sich um die erstere Nadel eine anfangs helle, späterhin trübe und konsistente Lymphe ab,1 während sich die Epidermis um die Nadel, welche zum Kupferpole der Säule führte, blasenförmig erhob, und bei dem Ausziehen der Nadel eine Gasart mit knisterndem Geräusche entweichen ließ. Der entzündete Hof breitete sich bei vielen Kranken nach mehreren Stunden noch weiter aus. Zwei bis vier Tage später verwandelten sich diese Stellen in kreisrunde Geschwüre, die ein bis zwei Linien in das Corium eindrangen, sehr empfindlich waren, mit den durch Einreibung der Brechweinsteinsalbe veranlassten Geschwüren die meiste Ähnlichkeit hatten, und nur langsam heilten. (Ich fand meist an der Einstichstelle, die mit dem Zinkpole in Verbindung stand, — häufig die Wade — nicht immer nachher jene kleinen Geschwüre, aber immer eine kleine Blutunterlaufung, welche völlig sich wie eine solche verhielt, d. h. anfangs dunkelblaue, nach mehreren Tagen grüne, gelbe Hautfärbung, aber unmittelbar nach dem Ausziehen der Nadel etwas Emphysematisches. Most.) — Die Gefäßtätigkeit wurde während des Galvanisierens auffallend erhöht und blieb es 12-24 Stunden; der Puls ward frequenter, größer, mitunter unregelmäßig, wohl in Folge des heftigen Schmerzes. Am lebhaftesten sprach sich diese Steigerung der Gefäßtätigkeit im Uterinsysteme aus, und zwar um so deutlicher, je näher den Genitalien die Nadeln eingestochen wurden.“ Es folgten alle Erscheinungen, wie bei Anwendung des Galvanismus ohne Akupunktur, besonders starker, anhaltender Schweiß und bedeutende Absonderung eines klaren, hellen, wässerigen Harns. Die Krankheitsfälle, wo dieses Mittel mit wechselndem Erfolge versucht wurde, waren: 1) Haut- und Bauchwassersucht, welche seit neun Monaten bestanden und durch Erkältung-, die auch Unterdrückung- der Menstruation veranlasst hatte, herbeigeführt zu sein schien. Nach zehnmaliger Anwendung des Galvanismus traten die Menses ein und die vollkommene Heilung der Wassersucht gelang in vier Wochen. 2) Bei sehr ausgebildeter Bauchwassersucht ohne allen Erfolg; 3) bei allgemeiner Wassersucht auch ohne Erfolg. Man musste mit der Applikation des Galvanismus aufhören, weil darnach große Beängstigung eintrat. 4) Bei mangelnden Regeln eines 24jährigen Mädchens, welches an vikariierenden Blutungen durch Nase, Lungen und Magen oft sehr litt, waren die geeigneten Mittel sechs Monate lang ohne allen Erfolg angewandt. Schon nach dem zweiten Versuche mit dem Galvanismus traten die Menses ein, die nach vier Wochen wiederkehrten. Alle Beschwerden verschwanden und die Kranke verließ völlig geheilt die Anstalt. 5) Eine seit fünf Monaten bestehende Suppressio mensium wurde nach siebenmaliger Anwendung des Galvanismus gehoben, wo die Menses eintraten. Dagegen leistete das Mittel bei Verhärtung der Mesenterialdrüsen, bei Tumor albus genu und Amblyopia amaurotica nichts.

Ähnliche Resultate habe ich auch bei der Anwendung des Galvanismus ohne Akupunktur gewonnen. Am wirksamsten fand ich das Mittel bei chronischem Menstrualleiden, in gewissen Formen der Fallsucht — hier öfters mit der Akupunktur — und bei akutem, fieberlosem, noch mehr chronischem Rheuma; bei ersterem nach vorhergegangener Applikation von Blutegeln. Auch bei halbseitiger Lähmung wirkte in zwei Fällen die Elektropunktur sehr gut.

Vor zwanzig Jahren hatten die meisten Pariser Ärzte eine wahre Akupunkturmanie; sie wollten mit der Nadel alle Krankheiten heilen. Der einfache, gesunde und gemütliche Sinn der Kranken in einem Pariser Hospital — es war im J. 1824 — erkannte bald das Übertriebene in der Applikation der Akupunktur, die nicht selten Ohnmacht und Krämpfe zur Folge hatte; — und so revoltierten hier eines Tages sämtliche Kranke gegen ihre mit Nadeln bewaffneten Ärzte, die sie „Piqueurs-medecins“ nannten.

Die Erfahrung hat nun zwar gelehrt, dass das Mittel keine Panazee sei. Bei Amaurose, alten Lähmungen, bei reinen Neurosen ohne rheumatische Komplikationen, z. B. bei solcher Prosopalgie, leistete weder Aku-, noch Elektropunktur etwas, ja letztere wurde bei recht sensibeln Personen gar nicht einmal vertragen; sie vermehrte die Anfälle; daher ich hier meinen Galvanismus oris versuchte (s. Horn’s Archiv 1825. Mai bis Aug.), wovon ich aber später auch zurück kam, da er bei Mehreren nichts leistete.

Dass übrigens die Akupunktur in ihrer Anwendung nicht immer gefahrlos sei, ist bekannt. Heyfelder (Rust’s Chirur. Hdb. Bd. I. S. 289) sah drei Minuten nach ihrer Applikation bei einem robusten Manne heftige Konvulsionen folgen, bei einer 70jährigen Frau mit Iritis arthritica fünf Minuten nach dem Einstich in die Schläfe, Ohnmächten, bei einem anderen Kranken selbst einen epileptischen Anfall folgen. Dass, wie Jul. Clocquet meint, die Furcht vor der Operation dies bewirke, ist nicht wahrscheinlich. Vor ein paar Jahren gebrauchte ich einem furchtsamen Manne die Akupunktur gegen einen heftigen Rheumatismus der Schulter. Da er sich vor der Operation sehr fürchtete, ich aber aus eigener Erfahrung weiß, dass nur der Hautstich beim Einbringen der Nadel, nicht aber letzteres schmerzt; so stach ich mir in seiner Gegenwart eine feine goldene Nadel anderthalb Zoll tief in meine rechte Wade. Drei Wochen später empfand ich nach heftiger Erkältung auf dieser Stelle häufig flüchtige Stiche, die später verschwanden. Es bildete sich aber allmählich hier eine harte, schmerzlose Geschwulst, bis zur Größe eines Taubeneics, welche erst später durch Einreibungen vertrieben wurde. Es folgt hieraus, dass nur ein sachkundiger Arzt die Akupunktur, nicht aber der Laie, wie man in Frankreich und Deutschland hie und da sieht, dieselbe unternehmen soll, da ihre Anwendung, wenn große Blutgefässe oder Nerven getroffen werden, nicht immer gefahrlos ist.


  1. Ich habe dieses Fluidum oft so scharf bei Rheumatischen gefunden, dass es die nahen Teile in Entzündung setzte, selbst bei der einfachen Akupunktur.
    D. Verf.