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Nominal- und Realdefinitionen

Weil wir aber die Welt nicht verstehen, darum gibt es keine andere Art Definition als die Worterklärung. Die alte Einteilung in Nominal- und Realdefinitionen hat gar keinen logischen Sinn, weil wir doch die Dinge selbst nicht erklären können und kaum erklären wollen. Ich habe aber schon zu Beginn dieses Abschnittes angedeutet, dass es wohl einen Unterschied zwischen Wort- und Sacherklärung geben könnte, wenn wir die logischen Spitzfindigkeiten vergessen und dagegen festhalten wollten, dass wir es nur mit psychologischen Vorgängen zu tun haben. Man könnte es wohl ganz besonders eine Nominaldefinition, eine Worterklärung nennen, wenn ich einem noch unwissenderen Menschen, als ich es bin, ein bisher fremdes oder bisher inhaltsleeres Wort übergebe und es dazu definiere, das heißt dazu sage, an welche Vorstellungen das Wort mich erinnert. Man könnte das, wie gesagt, eine Nominaldefinition im engeren Sinne nennen. Man könnte im Gegensatz dazu es eine Realdefinition nennen, wenn ich durch eine neue Beobachtung oder eine neue Erfindung einen Begriff erweitere, dadurch seine Definition verändere und mich selbst auf diese Änderung oder Bereicherung meiner Sprache besinne. Ein großer Überblick würde dann lehren oder zu sagen gestatten, dass die menschliche Sprache von bahnbrechenden Geistern durch Realdefinitionen bereichert worden ist, dass die menschliche Sprache durch Realdefinitionen gewachsen ist, dass aber der normale Mensch seine Sprache oder seine Weltanschauung von der Geburt bis zum Tode nicht anders lernt als durch Nominaldefinitionen. Unser gesamtes Denken oder Sprechen bewegt sich in Nominaldefinitionen oder Tautologien; einer Realdefinition kann sich nur das Genie vermessen.

Wer mir aufmerksam gefolgt ist, wird hier erkennen, dass dieser anheimgegebene Gegensatz von Nominal- und Realdefinition für mich zusammenfällt mit dem Gegensatz der Erkenntnisse a priori und a posteriori. Der Wertschätzung nach Werden dabei freilich die Kantschen Begriffe auf den Kopf gestellt; es War aber a priori zu vermuten, dass die Sätze der reinen Vernunft, die Sätze vor aller Erfahrung nicht viel wert sein würden, nicht mehr als eine Erbschaft, die Gemeingut ist, als ein Recht auf das Licht der Sonne.

Der geniale Mann, der zuerst aus Milch Käse machte und das neue Ding benannte, so wie Adam die neuen Geschöpfe benannte, wie sie heißen sollten, er durfte sich einer Realdefinition rühmen, einer Bereicherung der Sprache, einer Erkenntnis a posteriori; und der kluge Fabrikant, der die Spezialität (species) Chesterkäse auf den Markt brachte, war im kleinen auch so ein Bereicherer des Weltkatalogs. Als aber unser Hanswurst an seinem Stückchen Chester seine Weltanschauung vermehrte, erhielt er mit Hilfe der Karte doch nur eine Nominaldefinition, eine Erkenntnis a priori; und nur weil er ein Hanswurst oder ein Narr war, glaubte er eine Realdefinition zu erhalten, glaubte er mehr zu wissen als vorher, glaubte er zu wissen, was das da auf seinem Teller wirklich sei, als er seinen Sprachschatz um den Wortschall "Chester" vermehrt hatte.

Es wäre rätselhaft, wie die Definition zu ihrer angesehenen Stellung im Reiche der Logik gekommen sei, wenn wir nicht wüßten, dass der Vater der Logik noch sehr kindlich Sacherklärung und Worterklärung durcheinander mengte. Eine vollständige Sammlung aller möglichen Definitionen wäre für Aristoteles eine Realenzyklopädie aller Wissenschaften gewesen; für uns nur ein tödlich langweiliges Wörterbuch, nebst Angaben des nächst höheren Artbegriffs und des determinierenden Merkmals. Dabei kann sich gewöhnlich nur der etwas denken, der es schon weiß.

So ist die Definition immer nur entweder eine Worterklärung, wie der Artikel eines Fremdwörterbuchs (nämlich für jeden Schüler), oder sie ist eine Aufforderung an sich selbst, sich an die Grenzen des Begriffs zu erinnern und keine Dummheiten zu reden. Einen Fortschritt im eigenen Denken erzeugt sie so wenig, als eine Speisenkarte dadurch den Hunger stillt, dass ihre französischen Namen gegenüber deutsch übersetzt stehen.

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