Lesen
[B 15] Es gibt eine gewisse Art von Büchern, und wir haben in Deutschland eine große Menge, die nicht vom Lesen abschrecken, nicht plötzlich einschläfern, oder mürrisch machen, aber in Zeit von einer Stunde den Geist in eine gewisse Mattigkeit versetzen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derjenigen hat, die man einige Stunden vor einem Gewitter verspürt. Legt man das Buch weg, so fühlt man sich zu nichts aufgelegt, fängt man an zu schreiben, so schreibt man eben so, selbst gute Schriften scheinen diese laue Geschmacklosigkeit anzunehmen, wenn man sie zu lesen anfängt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass gegen diesen traurigen Zustand nichts geschwinder hilft als eine Tasse Kaffee mit einer Pfeife Varinas.
[B 260] Bei unsrem frühzeitigen und oft gar zu häufigen Lesen, wodurch wir so viele Materialien erhalten, ohne sie zu verbauen, wodurch unser Gedächtnis gewöhnt wird, die Haushaltung für Empfindung und Geschmack zu führen, da bedarf es oft einer tiefen Philosophie unserm Gefühl den ersten Stand der Unschuld wiederzugeben, sich aus dem Schutt fremder Dinge herauszufinden, selbst anfangen zu fühlen, und selbst zu sprechen und, ich mögte fast sagen, auch einmal selbst zu existieren.
[E 273] Eine schädliche Folge des allzu vielen Lesens ist, dass sich die Bedeutung der Wörter abnutzt, die Gedanken werden nur so ohngefähr ausgedrückt. Der Ausdruck sitzt dem Gedanken nur los an. Ist das wahr?
[F 7] Lesen heißt borgen, daraus erfinden abtragen.
[F 113] Lessings Geständnis, welches er Herrn Klotz tut Tom: II. Antiqu. Briefe, dass er fast für seinen gesunden Verstand zu viel gelesen habe, beweist wie gesund sein Verstand ist.
[F 318] Man lasse nur einströmen, ohne Vorurteil, in unsern sinnlichen Werkzeugen liegt der Fehler nicht, wenn wir superklug oder Gecken sind, sondern in unserem Lesen und Vorurteilen.
[F 436] Man empfiehlt Selbst-Denken oft nur, um die Irrtümer anderer beim Studieren von Wahrheit zu unterscheiden. Es ist ein Nutzen aber ist das alles? wie viel unnötiges Lesen wird uns erspart. Ist denn Lesen Studieren: Es hat jemand mit großem Grunde der Wahrheit behauptet, dass die Buchdruckerei Gelehrsamkeit zwar mehr ausgebreitet, aber im Gehalt vermindert hätte. Das viele Lesen ist dem Denken schädlich. Die größten Denker, die mir vorgekommen sind, waren gerade unter allen den Gelehrten, die ich habe kennen gelernt, die, die am wenigsten gelesen hatten. Ist denn Vergnügen der Sinne gar nichts?
[F 989] Bei manchem Werk eines berühmten Mannes möchte ich lieber lesen, was er weggestrichen hat, als was er hat stehen lassen.
[F 1076] Das viele Lesen hat uns eine gelehrte Barbarei zugezogen.
[J 742] Durch vieles Lesen lernt man sogar Versuche gut erzählen, die man sehr schlecht angestellt hat.