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Errfahrung - Synthetische Urteile a priori


Erkenntnis von Gegenständlichem ist nach Kant nur »in dem Ganzen aller möglichen Erfahrung« möglich. Alle Erkenntnis beginnt, bei der Erfahrung und endet bei ihr, aber nicht alles an der Erkenntnis stammt aus der Erfahrung, die Erfahrung selbst ist mehr als bloße Wahrnehmung, mehr als bloß ein von außen Gegebenes, sie ist schon ein Werk des Intellekts und durch die Formen desselben bedingt. Die Erfahrung selbst besteht in den »synthetischen Verknüpfungen der Erscheinungen in einem Bewußtsein, sofern dieselbe notwendig ist«. Durch Analyse der Erfahrungserkenntnis findet man das rein Empirische in ihr und das, was »Zutat« unseres Geistes ist. »Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Denn es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt, welchen Zusatz wir von jenem Grundstoffe nicht eher unterscheiden, als bis lange Übung uns darauf aufmerksam und zur Absonderung desselben geschickt gemacht hat.« »Erfahrung ist ohne Zweifel das erste Produkt, welches unser Verstand hervorbringt, indem er den rohen Stoff sinnlicher Empfindungen bearbeitet.« Kant unterscheidet also Stoff und Form der Erscheinung. Die Form ist dasjenige, was macht, »daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet angeschauet wird«. Die Form liegt a priori in uns, sie geht (logisch) allen sinnlichen Eindrücken vorher; sie bringt Einheit und Ordnung in das Empfindungsmaterial (Formen der Sinnlichkeit) und die Anschauungsmannigfaltigkeit (Formen des Denkens). Die Erfahrung enthält nämlich außer der Anschauung der Sinne, wodurch etwas gegeben wird, noch einen Begriff von einem Gegenstande als Bedingung a priori der (objektiven) Erfahrungserkenntnis.

Die Erfahrung nun »lehrt mich zwar, was da sei und wie es sei, niemals aber, daß es notwendigerweise so und nicht anders sein müsse«. Sie gibt daher ihren Urteilen keine wahre, strenge, sondern nur »komparative« Allgemeinheit (durch Induktion), keine Apodiktizität, keine unbedingte Notwendigkeit. Allgemeinheit und Notwendigkeit kommen zu: erstens in strenger Weise den analytischen Urteilen, welche nur »Erläuterungsurteile« sind, d.h. im Prädikate nur etwas, was schon im Subjekt liegt, aussagen und auf dem Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs beruhen (z.B. alle Körper sind ausgedehnt); zweitens (in komparativer Weise) den synthetischen Urteilen (»Erweiterungsurteilen«) a posteriori, welche auf Grund der Erfahrung ein neues Prädikat mit dem Subjekt verbinden (z.B. alle Körper sind schwer). Es gibt aber, drittens, auch synthetische Urteile a priori, welche unabhängig von aller Erfahrung mit strenger Allgemeinheit und Notwendigkeit etwas von einem Subjekt aussagen. Unter dem Apriorischen im engeren Sinne versteht Kant nicht wie andere Autoren Erkenntnis aus den Ursachen oder aus Begriffen oder durch Schlußfolgerung, auch nicht das psychologisch Angeborene, sondern das von aller Erfahrung schlechthin Unabhängige und dabei doch absolut Gewisse, Notwendige. Allgemeingültige, weil rein in der Vernunft Wurzelnde. »Solche allgemeine Erkenntnisse nun, die zugleich den Charakter der inneren Notwendigkeit haben, müssen, von der Erfahrung unabhängig, vor sich selbst klar und gewiß sein; man nennt sie daher Erkenntnisse a priori, da im Gegenteil das, was lediglich von der Erfahrung erborgt ist, nur a posteriori oder empirisch erkannt wird.« Die Apriorität der Urteile kündigt sich von selbst durch das Bewußtsein ihrer Notwendigkeit an und bezieht sich nur auf das Formale der Erkenntnis, nicht auf deren Stoff oder deren Einzelheiten. Das Apriorische liegt in der »formalen Beschaffenheit des Subjekts«, wobei unter »Subjekt« nicht das individuelle Bewußtsein als solches, sondern das allen Individuen gemeinsame, insofern überindividuelle Geistige oder das Erkennen in Abstraktion vom zufälligen Erleben verständen, wird. A priori ist was wir in die Dinge hineinlegen, was in unserem Erkennen »niemals weggelassen« werden kann, was der formenden Tätigkeit des Geistes entspringt, in ihm bereit liegt und, bei Gelegenheit der Empfindung, als Eigengesetzlichkeit des Anschauens und Denkens funktioniert. Rein sind jene apriorischen Erkenntnisse, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist, die vielmehr selbst Bedingungen der Erfahrung sind.

Wie sind nun synthetische Urteile a priori möglich? Wie können wir a priori, unabhängig von der Erfahrung, dabei notwendig und allgemeingültig etwas von möglichen Erfahrungsobjekten aussagen, wie dies nach Kant in der (reinen) Mathematik, Naturwissenschaft und Metaphysik geschieht? Worauf stützt sich eine solche apriorische Erkenntnis, welches ist ihre Grundlage, wodurch ist sie ermöglicht? Die Antwort lautet: solche Urteile sind möglich weil die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungsobjekte sind, weil diese letzteren nicht. Dinge an sich sind, deren Übereinstimmung mit der Gesetzlichkeit unseres Geistes rätselhaft wäre, sondern synthetische Produkte des Bewußtseins selbst, die in einem »Ding an sich« ihren »Grund« haben, als solche Synthesen aber nur für ein »Bewußtsein überhaupt« Sinn und Existenz (»empirische Realität«) haben (Transzendentaler Idealismus). Weil die Dinge als Erscheinungen selbst schon durch die Formen des Bewußtseins bedingt sind, gelten diese Formen, obwohl, ja gerade weil sie nur »subjektiv« sind, a priori für alles Objektive, das durch sie erst konstituiert wird.


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Seite zuletzt aktualisiert: 27.10.2006