1. Wilhelm von Ockham (um 1300-1350)


entstammt einem Burgflecken der Grafschaft Surrey. Ebenfalls Franziskaner und scotistisch gebildet, dann Lehrer zu Paris, trat er in dem damals entbrannten Kampfe zwischen Papsttum (Bonifaz XIII.) und weltlicher Gewalt entschieden für die letztere ein. Vom Papste verfolgt, fand er Zuflucht und Schutz bei Ludwig dem Baiern. »Verteidige du mich mit dem Schwerte, ich will dich mit der Feder verteidigen.« Er starb auch wahrscheinlich in München, vielleicht am »schwarzen Tod« (1349 oder 1350). Von seinen zahlreichen Schriften sind die wichtigsten: die Summa der ganzen Logik, der Kommentar zu den Sentenzen des Lombarden, die Expositio aurea super totam artem veterem und der kirchenpolitische Dialogus inter magistrum et discipulum de imperatorum et pontificum potestate. Eine Gesamtausgabe seiner Werke existiert noch nicht, ebensowenig eine zusammenhängende Monographie über ihn, den wegen seines Scharfsinns gefürchteten »Dr. invincibilis« Über seine und seiner Nachfolger Psychologie vgl. Siebeck, Zeitschr. f. Philos. 1897/8.

a) Als wichtigste philosophische Tat Ockhams wird in der Regel seine Erneuerung des Nominalismus bezeichnet. Im Gegensatz zu dem gemäßigten Realismus, den die Hauptführer der Scholastik (Anselm, Thomas, Scotus) vertreten hatten, lehrt er, entgegen diesen »Platonikern« an den »echten Aristoteles« sich anschließend: Nur die Einzeldinge sind das Wirkliche. Die allgemeinen Begriffe existieren nur im denkenden Geiste, d.h. objective, nicht substantiell oder subjective22. Unsere Begriffe sind keine wirklichen Abbilder der Dinge, sondern nur Zeichen (termini) für dieselben (der Nominalismus wird daher neuerdings oft auch als Terminismus bezeichnet), deren Behandlung der Logik, Ockhams Lieblingswissenschaft, zufällt. Es gibt kein Ding, z.B. keinen Menschen »an sichü; das wäre eine unnütze »Vervielfachung des Seienden«, entgegen dem Grundsatz unseres Scholastikers: entia praeter necessitatem non sunt multiplicanda. Der Satz »der Mensch ist sterblich« bedeutet nichts anderes als: alle einzelnen Menschen sind sterblich.

b) Dementsprechend fällt - und das ist für uns wichtiger als das bloße Schubfach des »Nominalismus« - das Hauptgewicht auf die der reinen Abstraktion gegenüber gestellte »intuitive« Erkenntnis, die (innere und äußere) Wahrnehmung und ihr Erzeugnis, die (innere und äußere) Erfahrung, sodass zu einer induktiven Erforschung der äußeren Natur und der Seelenzustände wenigstens der Weg gebahnt wird. Der bereits bei Duns Scotus von uns konstatierte Zwiespalt zwischen Vernunftwissenschaft (Philosophie) und Offenbarung (Theologie) erreicht bei Ockham seinen Höhepunkt. In geradem Gegensatz zu Lull, der alles beweisen zu können vorgab, behauptet er: auch das Dasein Gottes und seine Eigenschaften können nicht von der Vernunft bewiesen, sondern höchstens durch Analogieschlüsse wahrscheinlich gemacht werden, und auch dies nicht »den Weltweisen und denen, die sich vorzugsweise auf die natürliche Vernunft stützen« Er selbst freilich folgert aus dieser unserer natürlichen Unwissenheit über die wichtigsten Probleme die Notwendigkeit der göttlichen Offenbarung und hält es für einen verdienstlichen Willensakt, das Unbeweisbare zu glauben. Die Theologie ist eben keine Wissenschaft; und Ockham selbst blieb Theologe. Auch ihm wie seinem Landsmanne Scotus erscheint die Willkür und Machtfülle Gottes unbeschränkt, was ihn mitunter zu wunderlichen, fast frivolen Absurditäten führt, wie z.B. der, dass Gott statt der menschlichen auch die Eselsnatur (natura asinina) hätte annehmen können!

c) In der Willenslehre und Psychologie überhaupt ist Ockhams Standpunkt echt englisch ein gesundempirischer. Wille und Verstand sind nur verschiedene Wirkungsweisen der in ihrem eigentlichen Wesen für uns unerkennbaren Seele. Des Willens Verflechtungen mit dem Gemütsleben und den Trieben werden untersucht. Auf der Erfahrung beruht auch die unumstößliche Tatsache der Willensfreiheit, die durch äußere Umstände nicht beeinflußt wird. Die Ethik steht dagegen bei O. und seiner Schule auf schwachen Füßen, weil sie auf jene Lehre von der absoluten Willkür Gottes gegründet wird. Es gibt kein Gutes und Schlechtes an sich, sondern nur durch den Willen Gottes. Gott kann die Sündenschuld ohne jede innere oder äußere Buße des Sünders erlassen, ebenso wie er einen, der nicht gesündigt hat, bestrafen kann. Außerordentlich häufig findet sich der Beisatz: Aliter tamen potuit deus ordinare, d. i. »Gott hätte auch eine andere Anordnung treffen können« Ja, eine lasterhafte Handlung ist keine Sünde, wenn sie zur Ehre Gottes geboten erscheint. Und doch stellt sich derselbe Ockham in dem seine Zeit mächtig bewegenden Streit zwischen Kirche und Staat, wie wir schon oben bemerkten, entschieden auf die Seite des letzteren. Das Gemeinwohl (bonum commune) zu schaffen, ist rein Sache des Staates, Verletzt der Fürst diese seine Pflicht, so hat das Volk das Recht, ihn abzusetzen, den Tyrannen zu töten: wie auch innerhalb der Kirche die Gesamtheit der Gläubigen über Papst, Konzil und Geistlichkeit steht. Er eifert gegen den Reichtum und die dadurch herbeigeführte Verweltlichung der Kirche. Das Ideal, der Status perfectissimus, bleibt dem gelehrten Bettelmönche schließlich doch die völlige Besitzlosigkeit.


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