3. Summisten oder Sententiarier


Betonen die Mystiker vor allem den Akt des Glaubens (fides, qua creditur), so wollen die »Summen«-Schreiber dessen Inhalt (fides, quae creditur) mitteilen. Wie Abälard sein Sic et non, so hatte auch Hugo von S. Viktor eine Summa sententiarum, d.h. eine Sammlung theologischer Lehrmeinungen geschrieben, wie gleichzeitig die Engländer Robert Pulleyn (Pullus) und Robert von Melun. Am berühmtesten wurde die Sammlung des Lombarden Petrus (Petrus Lombardus, • um 1164 als Bischof von Paris), des sogen. magister sententiarum. Seine »4 Bücher Sentenzen« wurden für Jahrhunderte, vielleicht gerade um ihrer Farblosigkeit willen, das allgemein anerkannte Kompendium der Dogmatik und die Grundlage der theologischen Schulstreitigkeiten. Konnte doch später ein Jesuit Possevin 243 ihm bekannte Kommentare dazu zitieren. Das erste Buch handelt von Gott, das zweite von seinen Geschöpfen, das dritte von der Erlösung und den Tugenden, das vierte von den Sakramenten. Der begabteste Summist war der Niederländer Alanus von Lille oder ab insulis (• 1203), wegen seiner allseitigen Beschlagenheit Dr. universales genannt, der unter dem Einflusse von Boethius und Gilbert in mehreren apologetischen Schriften, mit einem großen Aufwande von Gelehrsamkeit und nach mathematisch-deduktiver Methode, die Kirchenlehre gegen die Angriffe der Juden, Mohammedaner und Ketzer verteidigte und bereits eine bessere Kenntnis des Aristoteles (vgl. § 64) aufweist; übrigens einmal sich doch den ketzerischen Satz leistet, dass die Autorität eine »wächserne Nase« besitze, die man nach Belieben hierhin und dorthin drehen könne.

Einen passenden Abschluß dieser Frühperiode der Scholastik bildet die Gestalt des nach einem langen Leben 1180 als Bischof von Chartres gestorbenen Engländers Johannes von Salisbury (Saresberiensis). Er war fast bei allen großen Zeitgenossen (Abälard, Wilhelm von Conches, Gilbert, Robert Pulleyn) in die Schule gegangen, aber auch bei den Alten, und hat sich von den letzteren nicht nur ein für seine Zeit außergewöhnlich elegantes Latein, sondern auch eine gewisse den meisten Scholastikern fremde Freiheit und Feinheit des Urteils angeeignet. Gegenüber den Wortklaubereien und Spitzfindigkeiten der Dialektik macht er den Standpunkt praktischer Nützlichkeit geltend. Cicero ist ihm Muster im Stil, wie auch in seiner eklektischen Haltung. Seine logische Hauptschrift (Metalogicus) ist reich an Mitteilungen über den logischen Schulbetrieb der Zeit und enthält eine verständige Darstellung des psychischen Entwicklungsprozesses: Empfindung, Anschauung, Begriff, Urteil usw. Die Krone der Wissenschaft ist ihm jedoch, von seinem praktischen Standpunkte aus, die Ethik. Seine diesbezügliche Schrift Policraticus entbehrt zwar fester Prinzipien und ist, als Ganzes betrachtet, ein recht ungeordnetes Gemisch, enthält aber manche treffende Einzelbemerkungen. Die ersten sechs Bücher kennzeichnen »die Nichtigkeiten des Hoflebens«, die folgenden sechs folgen mit kritischem Auge den »Spuren der Philosophie«, die freilich nur Momente der Wahrheit bringt; die ganze Wahrheit liegt allein bei der Kirche. Vorbedingung der Tugend ist die teils aus der Vernunft, teils aus Gottes Gnade stammende Selbsterkenntnis, Ziel aller Philosophie die nur auf der »Königsstraße« der Tugend zu erlangende wahre Glückseligkeit. Er billigt u. a. den Tyrannenmord.


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