Salon Brugier


Lebemann. Auch in Berlin rast die polizeiliche Hundswut gegen Frauen, die allein wohnen, und gegen Frauen, die nicht allein wohnen. Und neulich wurde im Wege eines Gerichtssaalberichtes, also zu spät, den Interessenten die Adresse einer angesehenen Kupplerin bekannt gegeben. Grinsend erzählt die Presse, der Kriminalkommissär, der in den »Salon Brugier« eindrang, sei »so grausam gewesen, nicht weniger als sieben Liebespärchen zu einem Gang nach der nächsten Polizeiwachstube einzuladen.« Madame Brugier bekam »ein Jahr Gefängnis und drei Jahre Ehrverlust.« Die drei Jahre Ehrverlust wird sie nicht verschmerzen. Übrigens zeigte es sich wieder, dass die Kupplerin die einzige sympathische Persönlichkeit in einem Kuppeleiprozeß ist. Der Polizeibeamte ist pflichtgemäß indiskret, die Presse ist indiskret aus Pflichtvergessenheit, aber Frau Brugier ist diskret. »Vor Gericht war heute die Angeklagte völlig geständig, um Zeugeneinvernehmungen unmöglich zu machen«. Heldinnen, die fallen, sobald sie sich an die Stützen der Gesellschaft lehnen. Die aber bleiben aufrecht und — unsichtbar.

 

 

Nr. 217, VIII. Jahr

23. Jänner 1907.


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