Nachhilfe


— — Man sagt, er (O'Neill) sei der Begründer einer autochtonen, amerikanischen Theaterdichtung. Es ist festzustellen, dass auch diese autochtone Literatur fest auf europäischen Traditionen ruht. Das Volksstück .. fußt noch so ziemlich im konsequenten Naturalismus. — — — Doch sein (Homolkas) Talent steht dabei ganz außer Zweifel. Herr Kalbeck, der die Vorstellung inszeniert hat, erweist sich auch damit wieder als vorzüglicher Regisseur. In den Strnad-Schülern Niedermoser und Wenzel, von denen die Dekorationen waren, lernt man ein paar viel versprechende Bühnenkünstler kennen, f. s.

Dieser Saiten ist so sehr Autodidakt, dass man schon ein bisserl nachhelfen muß. Seine Anlagen wurden zu früh dem Schutze des Publikums empfohlen und dass ein Autodidakt mit dem Autochthonen Schwierigkeiten hat und glaubt, man müsse jetzt immer das h weglassen, ist kein Wunder. Auch kann man nur sagen, Herr O'Neill sei der Begründer einer autochthonen amerikanischen Theaterdichtung, ohne Komma, weil dieses bedeuten würde, dass er der Begründer einer autochthonen Theaterdichtung und zwar einer amerikanischen ist. Sein Volksstück kann ferner nie »im«, sondern nur auf dem konsequenten Naturalismus fußen. Und wenn Herr Kalbeck sich »damit« wieder als vorzüglicher Regisseur erweist, so ist es ein stilrhythmischer Zwang, seine vorzügliche Regie an der Tatsache bewiesen zu sehen, dass Herrn Homolkas Talent außer Zweifel steht, was einen Unsinn ergibt; gemeint ist aber offenbar, dass er sich durch die Vorstellung als vorzüglicher Regisseur erweist, also »durch diese« oder in ihr. Vollends unmöglich ist, dass die Herren Niedermoser und Wenzel ein paar, also einige, viel versprechende Bühnenkünstler sein sollen. Da kein Mensch ein paar Füße hat, und die beiden Gracchen nicht ein paar Gracchen sind, so kann man es in den Herren Niedermoser und Wenzel nur mit einem Paar vielversprechender Bühnenkünstler zu tun haben, also im Genitiv und natürlich in einem Wort, weil sie sonst am Ende viel versprechen, was sie nicht halten, wobei es freilich noch zweifelhaft bleibt, ob man Dekorationsmaler überhaupt »Bühnenkünstler« nennen kann. Kurzum, es ist nicht leicht. Aber gern erkläre ich mich bereit, den Herren von der Kritik, ehe sie ihre Manuskripte in Druck geben, mit Rat und Tat beizustehen. Auf einen Tag wirds schon nicht ankommen und mir selbst blieben arge Umständlichkeiten erspart, indem ich ja doch oft, wenn ich aus streng sachlichen Gründen zitieren will und es sich um nichts weiter handelt, als eine Dummheit oder Gemeinheit zu reiner Geltung zu bringen, vorerst die Stil- und Grammatikfehler ausmerzen muß, deren Sperrung im Nachdruck mit den Hinweisen auf das Wesentliche kollidieren würde. Ich hab's also noch weit schwerer, und beiden Teilen könnte geholfen werden. Ein für allemal verspreche ich, dass ich am Gedanken nichts ändern würde, ja in Ausnahmefällen sogar besonders verhatschte Satzwendungen, die ich wieder gern zitiere, unversehrt ließe. Den ganzen Text der Wiener Zeitungen kann ich nicht zur Redigierung übernehmen, aber die Arbeiten der feineren Literaten betreue ich gern, um wenigstens aus dem Gröbsten herauszukommen. Wenn theoretische Mahnungen wirken möchten, würde ich ja öfter die Bitte aussprechen, nicht »an« sie zu vergessen, und ich brauchte nur zu sagen, es genüge nicht zu glauben, dass man nur »schreiben braucht«, um zu schreiben. Die Voraussetzung jeder literarischen Tätigkeit ist doch wohl ein gewisses Stilgefühl, das ich aber den meisten Wiener Feuilletonisten, die da meinen, man könnte es ihnen »zumuten«, nicht zutraue. Denn zutrauen (glauben) kann ich nur eine Fähigkeit — die hier nicht vorhanden ist —, zumuten jedoch (begehren) kann ich nur ein Tun — von dem hier nicht die Rede ist —, während ich etwa eine Unterscheidung von Begriffen (als Handlung wie als die Fähigkeit dazu), die man einem sowohl zumuten wie zutrauen kann, ihnen weder zutrauen noch zumuten kann. So haben wir's denn schwer miteinander, und ich wette, dass sie diesen Satz nicht verstehen. Ich habe es aber wie gesagt schwerer mit ihnen als sie mit mir, da ihnen ja was sie schreiben wurst ist, während ich mir's zu Herzen nehme. Zum Beispiel bin ich so pedantisch, die richtige Pluralbildung »die Trottel« selbst von solchen zu verlangen und nur im Dativ ihnen das »n« zu erlauben, das sie sich auch im Nominativ und jenseits aller Absicht des Idiotismus, ich meine des mundartlichen Ausdrucks, zulegen. Mit Unrecht halten sie auch das »s« für mehrzahlbildend und schreiben »die Fräuleins«, aber dafür »des Fräulein«. Ich vermute, dass sie jedesmal schwanken, wissend, dass hier eine Klippe ist, und jedesmal sich für diese entscheiden. Hier läßt sich aber leicht Abhilfe schaffen, indem sie sich nur immer an »die Mädchen« zu erinnern brauchen (zu!) und »des Mädchens« nicht vergessen dürfen (aber ja nicht: an das Mädchen; das würde nichts helfen). Manchen gibt es, der »den Fesseln entraten ist«, nämlich den der Grammatik, was nur daher kommt, dass er dem Unterricht in diesem Gegenstand entronnen ist und da er des Gefühls für ihn entbehrt, auch des Rats entbehren zu können meint. Dem grammatischen Libertiner ist jedes Hilfszeitwort recht, aber da ist keine Rettung, weil eben »der Schule entraten haben« nun einmal ihrer entbehrt haben bedeutet und nicht wie er wähnt: ihr entronnen sein, also hier mit »haben« und nicht mit »sein« konjungiert und mit dem Genitiv, nicht mit dem Dativ konstruiert werden muß. Die Herren haben sich von Kindheit an arg vernachlässigt und schwer büße ich ihre Bildungslücken. Temperament kann über den Mangel nicht hinweghelfen, und wenn sie auch noch so leicht in »Extase« geraten; an mir ist es dann, an solchen Geringfügigkeiten, auf die es doch in der Literatur gar nicht ankommt, in Ekstase zu geraten, Autochton oder autochthon, das ist doch unter denen, die es zumeist nicht sind, ganz egal und schließlich leisten sie ja für das h wieder Ersatz, indem sie sich »peripathetischen Neigungen« hingeben, weil sie glauben, dass solche vom Pathos kommen, und wohl wissen, dass dieses sich nicht der neuen Orthographie beugt, die als Ortographie auch keine Rechtschreibung wäre. Denn das wäre zwar nicht »abnormal«, welches sie mit »abnorm« verwechseln, wohl aber anormal, welches eine griechisch-lateinische Bildung ist, ihnen also mangels ebenderselben fremd. Aber man schöpft da in ein Danaidenfaß, das sie oft für ein Danaergeschenk halten, welches sie wieder mit dem der Danae zu vertauschen pflegen. Mit einem Wort, es sind Autodidakten und da tut etwas Nachhilfe schon not.

 

 

August 1924.


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