Beethoven und Goethe — Vorbilder und Lebensführer


Heiratsgesuch

Ich lebe als vielbeschäftigter Rechtsanwalt in rhein. Kleinstadt unweit der Großstadt. Mein Wohnort, meine starke berufl. Inanspruchnahme und das Brachliegen des gesell. Lebens sind der Grund meiner Ehelosigkeit. Ich habe gutes Einkommen und Privatvermögen. Alter 36 J., Größe 1,73 m, dunkelblond u. gesund. Ich stamme aus vornehmer christl. Akademikerfamilie. Bei aller Energie bin ich recht verträglich u. anpassungsfähig. Ein Freund der Künste, bevorzuge ich die Musik, die ich selbst mit Passion ausübe. Ohne mich im politischen Leben zu betätigen, stehe ich der Deutschen Volkspartei nahe. Ich bin gut deutsch gesinnt, Kriegsteilnehmer und Anhänger eines Königtums nach engl. Muster. Ich bekenne mich zu keiner Kirche, ohne deshalb unreligiös zu sein. Männer wie Friedrich der Große und Bismarck, Goethe und Schiller, Beethoven und Wagner sind mir Vorbilder und Lebensführer.

Seit langem geht mein tiefstes Sehnen nach einer herzlieben Frau, die Verständnis für meine Art hat. Eine solche Gattin zu finden, wäre mir höchstes Erdenglück! In Betracht kommt nur eine Tochter aus ebenbürtiger Familie, die gleich mir im Elternhause die sorgfältigste Erziehung genossen hat. Ihre Anschauungen müssen den meinen verwandt sein. Ich habe eine ausgesprochene Vorliebe für hübsche (!) Blondinen von ungefähr 1,70 m Größe. Hellblondine bevorzugt. Meinem Geschmack entspricht, was Äußeres angeht, Henny Porten, Margarete Schön. Vor allem muß meine Frau Sinn für ein gemütliches Heim haben. So sehr ich gelegentl. Besuch von Konzert und Theater schätze, so zuwider ist mir eine Frau, die ihre Lebensaufgabe im Vergnügen außerhalb des ehelichen Heims sieht. Bei aller Freude an schicker Kleidung mag ich keine Modepuppe, deren ganze Seligkeit ein vollgepfropfter, ständig neue Zufuhr erhaltender Kleiderschrank ist. Meine Frau muß den Haushalt führen, dazu auch wirklich in der Lage sein und darf im Kochen kein Stümper sein.

So wie ich meinen Beruf verstehe, so soll sie den ihrigen beherrschen. Es wäre mir lieb, wenn meine Frau etwas vom Klavierspiel verstünde. Ich wünsche, dass meine Braut die Sachen in genügender Menge mit in die Ehe bringt, die zu ihrem ausschließlichen Gebrauch bestimmt sind, also z. B. Garderobe, Leibwäsche, Schuhe usw. Davon abgesehen sind die Vermögensverhältnisse meiner Zukünftigen Nebensache. Nur darf sie keine Schulden haben.

Junge Damen, die ein wahres Familienglück suchen, Eltern, die ihre Tochter einem zuverlässigen Manne anvertrauen wollen, mögen mir eingehend unter Beifügung eines Bildes schreiben. Strengste Verschwiegenheit u. Rückgabe des Bildes sichere ich ehrenwörtlich zu. Angebote u. MV 3179 an die Exped. d. Bl.

 

Es ist vor allem nicht zu verstehen, warum solche 1,73 m lange und episch breite Individualitäten, die in einem Inserat sich ganz ausströmen, bis zu dem ständig neue Zufuhr erhaltenden Kleiderschrank — warum sie sich gelegentl. Buchstaben vom Mund absparen. Das kommt freilich von der berufl. Inanspruchnahme und vom Brachliegen des gesell. Lebens in einer rhein. Kleinstadt u. namentlich, wenn man aus einer christl. Akademikerfamilie stammt. Dafür wird man sonst deutl. Das Rufzeichen nach den hübschen (!) Blondinen soll ausdrücken, dass nicht etwa jede Blondine von ungefähr 1,70 m schon glauben darf, dass sie da in Betracht kommt. Vor allem müssen ihre Anschauungen den seinen verwandt sein, sie hat also der Deutschen Volkspartei nahezustehen und Anhängerin eines Königtums nach engl. Muster zu sein. Nebenbei bemerkt, schwärmen jetzt alle Kapitalkälber, alle Terrorzitterer, die den Sack und darum die Hosen voll haben und die wissen, dass ihre Sehnsucht nach den alten Zeiten ungestillt bleiben muß, für ein Königtum nach engl. Muster. Sie gleichen sich mit dem republikanischen Gedanken zu 50% aus. Offenbar ist der Hosenbandorden eine besondere Sicherheitsvorkehrung gegen die Folgeerscheinungen des »Bolschewismus«, der ihnen zumal dann unsympathisch ist, wenn er »schleicht« und sich infolgedessen zu einer andauernden Bedrohung auswächst, anstatt wie es sich gehört durch einen kurzen Hagelschauer des roten Terrors die Sonne des weißen heraufzuführen. Diese Gesellschaft ist natürlich in allen Ländern von der gleichen Wesenswiderwärtigkeit, man erkennt sie an den Reflexbewegungen und Gurgellauten der Eigentumsangst, die sie, wie manche Insekten einen übelriechenden Saft, von sich geben, sobald nur das Problem der Not an ihrem schäbigen Horizont auftaucht. Sie wollen vom Krieg »nichts mehr wissen«, es wäre denn, dass es ihn wieder herbeizuführen gälte oder dass sie als »Kriegsteilnehmer« gern auf die wilden Abenteuer im Etappenraum zurückblicken; und wenn neben ihnen ein Invalide verhungert, so trösten sie sich mit dem Gedanken, dass die Sanierung eben Opfer erfordert und zwar jene, die die Ruinierung übriggelassen hat. Denn es geschieht alles fürs Vaterland, welches eine praktikable Dekoration ist, bestehend aus zwei Teilen, dem Vorteil für die einen und dem Nachteil für die andern. Dies ist die Gesinnung, deren Urgemeinheit die Kraft hatte, alle Feindschaft aufzuheben und selbst die nationalen Gegensätze zu versöhnen. Aber wenngleich sie den Bürgersinn der ganzen Welt bezeichnet, am greulichsten zeigt sich die Naturfarbe doch in unseren Klimaten. Wehe der Frau, die in solchen Belangen das wahre Familienglück sucht! Denn wenn sie nicht von Haus aus Verständnis für die Art hat, also nicht eo ipso ein Mißgeschöpf ist, wird sie in ihrer hellblonden Ahnungslosigkeit heillos in den Strudel dieser Konzessivsätze gerissen: bei aller Freude an schicker Kleidung mag er nicht und so sehr er gelegentlich, so zuwider ist ihm, bei aller Energie ist er und ohne sich zu betätigen steht er, und ohne etwas zu sein, bekennt er sich — und sie geht in der Langweile einer Ehrbarkeit unter, die in ihrem ganzen Leben keinen andern romantischen Einfall hatte als den, Friedrich den Großen und Bismarck, Goethe und Schiller, Beethoven und Wagner als ihre Vorbilder und Lebensführer anzusprechen und zu wünschen, dass auch die Braut die Sachen in genügender Menge mitbringt, die wieder ausschließlich zu ihrem Gebrauch bestimmt sind. Also die Garderobe bis zur silbernen Hochzeit: damit nämlich der Klei-derschrank nicht ständig neue Zufuhr erhalte. So grauenhaft nun die Möglichkeit ist, dass Frauen an solchen Auswurf des Kosmos, der die Stützen der Gesellschaft repräsentiert, ihre Instinkte vergeben — weit grauenhafter als die, dass sie sich an so etwas verkaufen —, so findet man doch wieder einigen Trost in der Vorstellung, dass sie dann möglichst oft ihr Vergnügen außerhalb des ehelichen Heims finden. Es wäre ihm lieb, wenn sie etwas vom Klavierspiel verstünde: dem Manne kann geholfen werden, wenn ein Klavierlehrer nachhilft. Wo so viel verlangt wird, soll schon etwas gewährt sein. Seinem Geschmack entspricht Henny Porten, natürlich nur »was Äußeres angeht«, das Innere hat besser zu sein, und er hat die Frechheit, zur Kennzeichnung seines erotischen Bedarfs auch noch auf eine dem Plakatruhm ferne Darstellerin klassischer Gestalten hinzuweisen. Könnte man sich nun im Ernst vorstellen, dass dergleichen außerhalb der christl.-germanischen Kulturzone, sagen wir in China möglich wäre? Dass dort so um Frauen geworben wird, solches Spülicht von Glücksverheißung sich durch die Presse, diese Cloaca maxima der öffentlichen Meinung wälzt? Aber an all der Schmach sind nur die Frauen schuld, weil sie, anstatt die Natur, der sie doch näherstehen als die Verdiener, durch Verzicht auf die Ausübung ihrer Funktionen in übelster Gemeinschaft zu rächen, sich diesen bürgerl. Geschlechtstieren hingeben, um sie gar noch fortzupflanzen. Und die Parteien des politischen Umsturzes sind viel zu sehr in der vorhandenen und an allen Übeln der Welt beteiligten Geschlechtsmoral befangen, um auch nur zu ahnen, dass allein hier die wahre Revolution anzusetzen hat. Was in der Trümmerwelt, die der Krieg zurückgelassen, zu tun übrig bleibt, ist die Aufgabe, allen Überbleibseln der Lebensform, die ihn ermöglicht hat, wo immer wir ihrer in ihrer herztötenden Wirkung habhaft werden, den einzig sittlichen Krieg zu erklären und, noch vor jeder positiven Hilfe für das geschwächte Leben, dem frechen Wahnwitz ein Ende zu machen, dass ein invalider Staat durch Erhaltung des infamsten Paragraphen die Bevölkerungspolitik des Mordes fortsetzt, indem er hungernde Mütter zwingt, Kinder zu gebären, um sie ihnen, wenn er wieder die Möglichkeit hätte, als Erwachsene abzutreiben. Damit, wo Windeln aus Zeitungspapier aushelfen mußten, dereinst des Kaisers Rock angetan sei. Aber wenn in alle Ewigkeit die Natur die schmerzvolle Schmach empfindet, dass die Mütter ihre Söhne nicht gehalten haben, als das Vaterland rief, so werden sie sich wenigstens von einer Republik nicht vorschreiben lassen, sie zu gebären! Das Naturrecht, wenn schon nicht die Erzeugung, so die Nichterzeugung vor dem staatlichen Zugriff zu schützen, muß für alle Mütter wiedererobert werden, auch für solche, die nicht die materielle und technische Möglichkeit besitzen, die Aufsicht zu betrügen. Alles Gerede darüber, ob und inwieweit der Abtreibungsparagraph fallen soll, ist Halbheit und Feigheit, die nur zur Folge hat, dass die Früchte, die nicht abgetrieben werden, sich dauernd zu Staatsanwälten und zu denjenigen Richtern entwickeln, die es leider Gottes in Österreich noch gibt.

Und vor allem zu dieser Art Musterknaben und »Freunden der Künste«, die noch nie in ihrem Leben neugierig waren zu erfahren, ob auch die Künste ihre Freunde sind, weil sie das von vornherein für ausgemacht halten. Denn die Künste sind dazu bestimmt, die freien Stunden nach der berufl. Inanspruchnahme auszufüllen, und die Natur geht mit drauf, indem die Frauen sich als Mütter wie als Huren dazu hergeben, bei solcher Gelegenheit zu flechten und zu weben, wofür sie nicht so sehr geehrt als mißbraucht und verachtet werden. Da beschreibt ein Empfindsamer eine »Kleine Tragödie«:

— — Vor mir auf der Straße geht ein Mann mit seiner Frau. Eine hübsche, schlanke, gut, aber nicht auffallend angezogene Frau. Der Mann sieht widerwärtig aus, d. h. ich kann sein Gesicht nicht sehen. Aber wie sich von hinten die prallen wulstigen Beine durch die straffen Hosen drängen, wie der breite Rücken geradezu aus dem Jakett herausknallt, wie der Kragen überkränzt ist von einer roten Fleisdischwarte, das erübrigt es, dass ich mir den Mann von vorn ansehe. — — Er spricht. Sie antwortet ganz selten. Plötzlich hebt er seinen Arm und klopft seiner Frau auf den Rücken. Klopft mitten auf der Straße seiner Frau auf den Rücken. Und in dieser Geste liegt eine besitzgenießerische Brutalität, die empört erbeben läßt. Die Frau macht eine abwehrende Bewegung. Sie muß es genau so empfunden haben. Da lacht er und klopft ihr noch einmal und etwas stärker auf den Rücken. — — Wieder macht die Frau eine erschrockene und fahrige Bewegung. Man sieht, wie ihr hinten vom Hals Röte ins Gesicht kriecht. Ihre Handtasche fliegt auf's Pflaster bei der raschen Geste, der Mann sagt begütigend: »Na, was ist denn?« Sie antwortet nicht, er bückt sich nicht, sie hebt stumm die Tasche auf. Sie gehen weiter. Und plötzlich steht die ganze Tragödie dieser Ehe da. Vom Vorspiel, dem Flirt eines ahnungslosen jungen Mädchens in einem Badeort, dem reichen Bewerber und der habgierigen Mutter, vom ersten Akt, der Fremdheit der Frau in fremder Wohnung, den Greueln der Hochzeitszeremonien bis zum letzten Akt, wo vielleicht der für solche Dramen notwendige Schluß knallt und ein dicker Mann ratlos vor einem bleich gewordenen Gesicht steht, das blutend in den Kissen liegt und um den Mund herum entsetzlich müde und zugleich befreit aussieht. — —

Wohl, so ähnlich spielen sich die Dinge ab. Aber wo wird der Inhalt der kleinen Tragödie erzählt? In der Zeitung, die das Leibblatt des Monstrums mit den prallen wulstigen Beinen, dem breiten Rücken und der roten Fleischschwarte über dem Kragen ist. Mehr: deren Geschäft es ist, die Tantiemen von den kleinen Tragödien in Form von Annoncengewinn zu beziehen, von den Tragödien, die sie selbst inszeniert hat. Denn so ahnungslos war das junge Mädchen natürlich nicht, mit dem Untier sich in einen »Flirt« einzulassen, wohl aber so wehrlos, sich von ihm durch die Zeitung — die eine Schmucknotiz übrig haben wird, um ihr Schicksal zu beklagen — erschachern zu lassen. Unter den »Greueln der Hochzeitszeremonien« sind natürlich nur die der Hochzeitsnacht gemeint, die eine prüde Kupplerin zwar herbeigeführt hat, aber nicht bei ihrem Namen zu nennen wagt, denn sie ist noch immer eher geneigt, das religiöse als das moralische Gefühl ihrer Kunden zu verletzen. Und sie sind so gewiß, dass die Kanaille nicht aufhören wird, ihnen hübsche, schlanke, gut angezogene Frauen zuzuführen — die die Sachen in genügender Menge mitbringen und denen sie dafür zufrieden auf den Rücken klatschen —, dass sie ihr ausnahmsweise die sensible Anwandlung gestatten, aus dem kleinen Scherz eine kleine Tragödie zu machen. Aber mit oder ohne solche Extratouren einer Presse, die nicht nur als praktische Zutreiberin, sondern mit jeder Faser ihres kulturellen Daseins die genußfrohe Welt der Fleischnacken bejaht — der Geschlechtsbesitz ist jener, aus dem die besitzende Klasse vor allem zu verjagen ist, und der Posten, wo sie sich am unsichersten zu fühlen hat, ist das Bett! Es ist mit fühlenden Sinnen einfach nicht zu fassen, nicht zu ertragen, dass diese männermordend schlachtgeborne Brut, die Beischläfer einer toten Natur, noch einen Augenblick des Unbewußtseins haben sollen, einen, wo sie außerhalb der elenden Berechnungen empfinden, durch die sie sich ihn doch erkaufen. Bei aller Energie bin ich recht verträglich u. anpassungsfähig, aber mein Lebtag habe ich mich der Vorstellung der »Mitgift«, die ihnen ins gemütl. Heim gebracht wird, nicht ohne die naturerlösende Nebenvorstellung überlassen können.

 

 

August 1924.


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