Und darum Räuber und Mörder!


Hierin ist aber die Identität der Person, die den Blumentopf so gestellt hatte, dass der Ausgang tödlich war, und des Leichenräubers enthalten:

[Die Verlegerhonorare für Exkaiser Wilhelm.] Unser Berliner Korrespondent meldet: In diesen Tagen hält sich der Direktor des amerikanischen Verlagshauseses Harper Brothers, das die Erinnerungen des ehemaligen Kaisers Wilhelm erworben hat, Brainard, in Berlin auf. Der diplomatische Mitarbeiter der »B. Z. am Mittag« hatte eine Unterredung mit ihm. Es ist Tatsache, dass der Exkaiser von dem amerikanischen Verlage für die Zeitungs- und Buchausgabe ein Honorar von 250.000 Dollar, als 80 Millionen Mark bezieht, das macht 600.000 holländische Gulden. Außerdem erhält der Kaiser eine hohe Tantieme von der Buchausgabe, die vielleicht eine halbe Million Dollar ergeben wird. An Ludendorff hat seinerzeit dasselbe Haus für seine Memoiren 40.000 Dollar gezahlt und 15 Prozent Beteiligung an der Tantieme, an Hindenburg 30.000 Dollar und ebenfalls 15 Prozent Tantiemen. Das Kaiserbuch wird zuerst in 16 großen amerikanischen Zeitungen erscheinen.

Nur dass es drei sind und der Raub erst bei eingetretener Leichenstarre erfolgte. Die drei sind also zusammen 320.000 Dollar nebst Tantiemen wert. Unter Brothers! Wenn man sie ihnen vor dem August 1914 gegeben hätte — wie sicher ginge heute die Menschheit ihrer Wege! Die ganze; nicht bloß jener Teil, der ausging, den Platz an der Sonne zu suchen, und bei stockfinsterer Nacht nachhause kam. Es ist wohl das sinnfälligste Sinnbild dieser Glorienpleite: der Sieger führt nicht mehr die Besiegten im Triumph auf, sondern kauft ihnen ihre Erinnerungen ab. Über dem Wasser, wo Menschen, Tiere und Tonnen versenkt wurden, langen jetzt Manuskripte unversehrt an. Der Friede konnte nicht mit eiserner Faust und blitzendem Schwerte diktiert werden: so werden Memoiren diktiert. Welch eine Wendung durch Gottes Fügung! Das hätte sich aber nicht einmal der Herr der Heerscharen, auf den das deutsche Volk sich doch bombenfest verlassen hat, erwartet, dass die Sache im Westen, die ja schon immer gemacht wurde, so günstig ausgehen werde. Die Kriegsentschädigung ist respektabel. Wie nur werden sich jene Deutschen dazu stellen, die an ihr keinen Anteil haben und die im Gegenteil all die Verluste, die eigenen und die fremden, tragen müssen, die jetzt mit solcher Verlagsrechnung abschließen? Was meint der den Weltkrieg überlebende Kretinismus, der noch immer mit Gott, Kaiser und Vaterland rechnet, wiewohl jener längst aus der dubiösen Kompagnie ausgeschieden, dieser desertiert ist und nur ein armseliges Vaterland zurückgeblieben, das von seinen ausgesuchtesten Heroen schon beschissen wurde, ehe sie den Feinden ihre Erinnerung an seine Schicksalsjahre verkauften. Gewiß, nur eine ganz hoffnungslose Minderheit von jenen Deutschen, die nicht alle werden, wohl aber alldeutsch, dürfte sich heute noch über die Herren Wilhelm und Ludendorff heldische Illusionen machen. Was sagen sie aber zu diesem fest und treu stehenden Wachtmeister am Rhein, den ins Napoleonmaß avancieren zu lassen sie kein strategischer Rückzug abhalten konnte und nicht einmal die offenkundige Subalternität eines Kopfes, der sich einst in österreichischer Uniform unverkennbar als der jenes Hauptmanns Schanderl von Schlachtenfern entpuppt hat, der, und wenn die Welt voll Teufel wär', im Kaffeehaus von St. Pölten aufs Avancement wartet. Nicht Not und Tod, nicht das Gedenken hingemordeter Millionen konnte die Deutschen einer Panoptikumfigur abwendig machen, unter deren Auspizien getötet und geboren, gekegelt und gesoffen, gehaßt und geliebt, gelogen und gewahrzeichnet wurde. Wer zählt die Nägel, die auf einen Kopf getroffen wurden, der damit gewiß schon versehen war, und die, so allen Zweck verfehlend, die Nägel zu Deutschlands Sarge geworden sind! »Walhalla ist ein Warenhaus«: war je ein Wort erfüllter als jenes, das mein Wahnschaffe singt und wonach der Deutsche für Ideale und von ebendenselben lebt? »Gebt Blut — habt ihr das nicht gewußt? — für Mark: das ist kein Kursverlust!« Viel Feind, viel Dollar, und made in Germany ist wieder weltbeliebt. Und es sind Selfmademen. Denn ohne ihre persönliche Tätigkeit würde es ja heute gar nicht so viel ausmachen. Es wirkt nur so zauberhaft auf dem dunkeln Hintergrund der durch sie bewirkten Pleite. Aber erfährt nicht der Heroenkult immerhin dadurch eine abschwächende Tendenz, dass der Hauptheros am wenigsten kriegt? Wenn man noch dazu bedenkt, dass die Voraussetzungen zu diesem Geschäft zwar von den Autoren der Not geschaffen sind, aber doch jedenfalls ein großer Betrag für jene in Abzug zu bringen sein wird, die ihnen die Bücher geschrieben haben. Immerhin, Deutschland erlebt die Genugtuung, dass den schmerzlichsten Reparationen und allen Blutsaugereien der Besatzungsbordelle doch eine Aktivpost gegenübersteht: seine Heerführer finden in Amerika Anwert wie seine Hanswurste, und wie nur ein Lehar-Ensemble sind die Librettisten der tragischen Operette begehrt. Sie haben ein einzig Volk von Brüdern so lange zum Durchhalten gezwungen, bis sie selbst sich den Brothers verschreiben konnten. Wir, die ein kurzes Gedächtnis langer Leiden tauglich macht, sie wieder zu erleben, möchten vergessen, was jene getan haben. Sie aber haben es gut: sie können sich erinnern!

 

 

Juli 1922.


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