Kasmader gegen Goethes Frauen


Hat man schon erlebt, dass ein Quargel über eine Hyazinthe die Nase rümpft? Ungefähr so wird einem, wenn man das Folgende liest, das hier mit dem Sperrdruck der Stellen, die Kasmader besonders anrüchig findet, wiedergegeben wird:

(Rassenstolz.) In der jüdischen Monatsschrift »Das Zelt« freut sich Artur Zapp riesig über die Entdeckungen, die er gemacht hat: In deutschen Adern fließt auch ein Teil jüdischen Blutes, und zwar nicht nur in den mittleren Ständen Deutschlands, sondern vornehmlich in der hohen, ja höchsten Aristokratie. — — Marianne Meyer, die schöne Freundin Goethes, Tochter eines Berliner jüdischen Kaufmannes, heiratete den Fürsten Heinrich den Sechzehnten von Reuß-Plauen aus einer uralten, in mehrere Zweige gespaltenen deutschen Adelsfamilie, deren Stammbaum sich bis zum Jahre 1000 zurück verfolgen läßt. Marianne hatte eine jüngere Schwester Sara, die, fünfzehnjährig, an den Kaufmann Lipmann Wulff verheiratet wurde, der aber schon nach wenigen Jahren starb. Beide Schwestern brachten besonders der Literatur lebhaftes Interesse entgegen. Die herzlichen Beziehungen, die Schiller und nachher Goethe besonders zu Marianne Meyer unterhielten, sind überzeugender Beweis dafür. Bevor Marianne Goethe kennen lernte, hatte ihre blendende Schönheit und ihr geistreiches Wesen ihr bereits drei Verehrer gewonnen. (Sie wußte also noch nichts von einem Numerus clausus!) Zuerst huldigte ihr Graf Geßler, hierauf Graf Christian Bernstorff, ein Sohn des dänischen Ministers Andres Bernstorff und nachmaligen preußischen Ministers des Auswärtigen, und schließlich (also doch Numerus clausus?) der Fürst Heinrich der Sechzehnte von Reuß-Plauen, mit dem sie im Jahre 1797 heimlich getraut wurde. Im gleichen Jahre ging auch ihre Schwester Sara ein zweite Ehe ein, und zwar mit einem Baron von Grotthus. Mit dem Dichter wurde die Gattin des Fürsten Reuß, der nach ihrer Trauung der Name einer Frau von Eybenberg verliehen wurde, im Jahre 1795 in Karlsbad bekannt. Goethe nahm die Huldigungen, die ihm die beiden Schwestern entgegenbrachten, mit großer Freundlichkeit auf, und besonders die Beziehungen zu Marianne gestalteten sich rasch zu einem innigen Freundschaftsverhältnisse, das lange Jahre währte. — Mit einem Wort: Seh dir an da!

Man fragt sich vergebens, welche Art Anschauung dieser Dinge unsern launigen Kasmader, dessen Scherz vom Numerus clausus nebst seiner logischen Durchführung ja beachtenswert ist, zu der Pointe »Seh dir an da!« verführt haben mag. Dass selbst der Versuch nachzujüdeln (wie sich der kleine Goi den Moritzche vorstellt: »Datteleben woßu?« »Weiß jach?«) in totale Verhatschung ausartet, ist ja selbstverständlich. Aber was geht in so einem Quargel nur vor, dass es ihn treibt, Frauen, die an die hundert Jahre tot sind, mit denen Goethe und Schiller herzliche Beziehungen unterhalten und die vermutlich annähernd so viel Geist und Anmut besessen haben wie die graziösesten Leserinnen der ›Wiener Stimmen‹, munter zu besudeln? Was findet er an dem Faktum anrüchig, dass beide Schwestern der Literatur »lebhaftes Interesse« und Goethe »Huldigungen entgegenbrachten«? dass Marianne Meyer »bereits drei Verehrer«, deren dritter ein Fürst war und ihr Gatte wurde, gewonnen hatte, »bevor« Goethe sie entzückend fand? Was treibt ihn zu der Infamie, die »rasche« Anknüpfung eines innigen Freundschaftsverhältnisses durch Goethe als ein Sittenmanko der holden Frau zu unterstreichen, die zwar einen Goethe, aber nicht Kasmadern so geschwind erobern könnte? Was sollst du »dir da ansehn«, heraus mit der Sprache! Man bekommt ja einen Ausschlag bei der Vorstellung, eine Welt der Anmut und des Seelenadels vom christlich-germanischen Schönheitsideal und dem Moralbegriff der Resitant bezweifelt zu sehen. Versuche man etwa, die berückende Damenhaftigkeit der Jüdin Zerline Gabillon sich zu vergegenwärtigen und die kosmische Vereinbarkeit dieser Erinnerung mit dem Dasein der Reichspost nicht rätselhaft zu finden! Erst wenn man den Schüttelfrost überwunden hat, den solcher Zusammenprall der Sphären erzeugt, findet man sich in dieser lebendigen Wirklichkeit zurecht:

— Anna R. Das ist sehr brav von Ihnen und verdient allgemeinste Nachahmung: »Ich fahre in der Elektrischen nie ohne ›Wiener Stimmen‹, die ich so entfaltet halte, dass möglichst viele die Titelseite zu lesen kriegen.« —

Seh dir an da! Und wenn dabei auch die Titelseite der schönen Leserin zur Geltung kommt, die, wie man sieht, der Literatur mindestens so lebhaftes Interesse entgegenbringt wie Marianne Meyer, so wird es auch ihr an Verehrern nicht fehlen. Ich engagiere mich schon lebhaft und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich meine Beziehungen rasch zu einem innigen Freundschaftsverhältnisse gestalten würden. Und dabei lege ich, sicher im Gegensatz zu Goethe, gar nicht einmal auf blendende Schönheit besonderen Wert, sondern mehr auf das geistreiche Wesen und etwas Brechreiz. Mir genügt schon, dass sie in der Elektrischen nie ohne ›Wiener Stimmen‹ fährt, die sie als einen ihrer Hauptvorzüge entfaltet. Das ist ganz mein Gusto. Ich werde jetzt häufiger in der Elektrischen fahren und scharf aufpassen. Nur wenn das Beispiel, das allgemeine Nachahmung verdient, sie auch finden sollte, würde mir die Wahl zu schwer. Und was tue ich, wenn ich die Richtige gefunden habe und sich herausstellt, dass ihre Qualitäten ihr unter vielen andern Verehrern auch Kasmadern gewonnen haben, der ihre Huldigungen mit großer Freundlichkeit aufnimmt? Dann springe ich während der Fahrt ab und höre hinter mir das schadenfrohe Lachen der Hölle: Rrtsch — obidraht!

 

 

Januar, 1924.


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