›Vorwärts‹ mit frischem Mut


Berlin, 8. August. Heute früh sind zweihundert Genossen des Republikanischen Schutzbundes unter Führung des Genossen Vogt hier eingetroffen. — — Schwarzrotgold — — Vogt dankte mit einigen kernigen Sätzen. Der Ruf Freundschaft!, mit dem er seine Rede schloß, hatte tausendfaches Echo. Die Gäste marschierten nun mitten in der Ehrenkompanie, die sie eingeholt hatte, von Musik und vielen tausenden begeisterten Republikanern begleitet, in das Gewerkschaftshaus, vorbei am ›Vorwärts‹-Gebäude, das festlich geschmückt ist.

Um »Freundschaft!« statt des noch besser eingebürgerten »Pfui Teufel!« hinaufzurufen? Und dann vielleicht vor Herrn Noske zu defilieren? Der republikanische Schutzbund ist eine unentbehrliche Einrichtung, und ich habe diese Meinung öfter durch die Tat bekräftigt. Was den Anschluß betrifft, so schließe ich mich der Meinung Shakespeares an, dass er unvermeidlich ist, indem die Not seltsame Schlafgenossen schafft. Das dürften beide Teile empfinden, denn dort ist ein im Grunde doch so ordnungsliebendes und immer noch auf Sauberkeit haltendes Volk wie das deutsche, das sich mit der korrumpierten österreichischen Bourgeosie, dem Inbegriff der administrativen und journalistischen Ehrlosigkeit zusammentun soll, und hier die österreichische Arbeiterschaft, deren zugleich humanerer und politisch radikalerer Sinnesart wohl die Verbindung mit der nationalen Spießerei und mit dem reaktionären Ausbund des Ebert-Sozialismus widerstreben möchte. Vorbei am ›Vorwärts‹ mit frischem Mut — wohin führt das? Bestenfalls zu dem Mißverständnis, dass, wenn Sozialdemokraten die Deutschland-Hymne singen, Christlichsoziale glauben, das Gott erhalte zu hören, und einstimmen. (In welcher Harmonie sich diese einstweilen mit den Hakenkreuzlern gefunden haben.) Und doch wäre die Internationale nicht gründlich genug zu rehabilitieren, unter deren Klängen, während die rote Flagge das Zeichen zum Start gab, sich kürzlich die Autokolonne des Fräuleins Stinnes und der Berliner Journalisten von Moskau aus in Bewegung gesetzt hat. Am schnellsten und sichersten kämen wir ja durch die Welt, wenn sie in dem Entschluß einig wäre, so frei zu sein, dass sie auch frei wäre von den Formeln und Fahnen, den Parolen und Symbolen, den Emblemen und Masken allen Machtwahns und es keine anderen Demonstrationen gäbe als die der Menschenwürde. Aber es wird weltgeschichtlich der Fluch der bösen Tat von 1914 bleiben, dass sie, fortzeugend, sich noch des Friedens bedient hat, um dort, wo die Gespenster des Militärs verjagt waren, in allen Lagern wenigstens den Kommilitonenspuk aufleben zu lassen. Wo wieder gerüstet wird und wo nur noch salutiert wird — überall wird der Kultur die Kappe über den Kopf wachsen und das Mittel den Zweck verzehren. Der »Zauberlehrling« bleibt das unerschöpfliche Symbol (nicht für Bettnässe, wie die Psychoanalen meinen). Freilich mit der Nuance, dass schon der alte Meister vom Besen erschlagen wurde und der Lehrling ihm eben diesen Erfolg nachmachen wird.

 

 

Oktober, 1925.


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