Ein von der Kammerfrau der Duse
hinausgeworfener Interviewer


weiß deshalb nur das Folgende auszusagen:

Ist sie wirklich da? Niemand hat mit ihr gesprochen, niemand hat sie gesehen.

Ein Trugschluß. Weil er nicht mehr da ist, glaubt er, sie sei nicht da. Aber gerade der Umstand, dass niemand mit ihr gesprochen, niemand sie gesehen hat, beweist doch, dass sie da ist.

Selbst dem Gesandten ihres Landes, der sich als aufmerksamer Diplomat ihr vorstellen wollte, blieb die Tür ihres Zimmers verschlossen.

Diese Mitteilung — in dicken Lettern — kommt schon immerhin dem Geständnis nahe, dass sie da ist. Aber es soll auch dartun, dass es keine Schande für einen Journalisten sei, von ihr nicht vorgelassen zu werden, wenn das sogar einem passieren kann, den das Land und nicht das Blatt gesandt hat. Man gehört so für den Augenblick des Hinauswurfs gleichsam zum diplomatischen Korps und muß sich taktvoll benehmen. Man tut infolgedessen, als ob man noch immer nicht wüßte, dass sie da ist.

Ist sie wirklich da? Der polizeiliche Meldezettel überzeugt. Unter den Angekommenen des 15. d. findet sich folgende Eintragung:

 »Eleonora Duse, Private, geboren in Vigevano am 3. Oktober 1859, 
 verheiratet, katholisch, Staatsbürgerschaft: Italien, Heimatsort: Venedig, 
 frühere Wohnung: Venedig.« 

Sie ist also da. Es kommt heraus.

Sie bewohnt zwei Zimmer (III. Etage, Nr. 308 und Nr. 309). Ihre Kammerfrau Maria Avogadro leistet ihr Gesellschaft und pflegt die Frau, deren 64jährige Reize manchmal der Nachhilfe bedürfen.

Dafür ist die Kammerfrau noch rüstig.

Auch ein Impressario ist mitgekommen ....

Der hat infolgedessen schon etwas mehr Verständnis für die Bedürfnisse der Presse und erzählt etwas über die Lebensgewohnheiten der Duse, die bei weitem nicht so göttlicher Natur sind, wie man sich vorgestellt hat und wie man gefunden hätte, wenn man sich persönlich hätte überzeugen dürfen:

Aber auch die Duse gehorcht den Funktionen, die der menschliche Organismus verlangt. Wie eine brave Bürgerin nimmt sie um ½9 Uhr das Frühstück, das ihr zwar nicht der Kellner mit seinem männlichen Blick auf die eben Erwachte serviert, sondern die Kammerfrau, die mit allen Geheimnissen vertraut ist.

Aber keins verraten will. Und was ließe sich da alles erzählen! So ist man auf Mutmaßungen angewiesen nebst den paar Details, die der »Impressario« hinwirft:

Um 1 Uhr rollt das Mittagessen heran. Einfache Menüs, für drei Personen serviert. Zum Nachtmahl jedoch gibt es nur Milchspeisen.

Wie gefällt ihr Wien?

Sie wollte auch in den Prater hinunter. Im letzten Augenblicke zögerte sie: die Duse ist ja nicht fürs Volk. Sie hat auch im Prater nichts zu suchen.

Sie scheint aber auch nicht für die Presse zu sein, die bei ihr etwas zu suchen hat.

Doch die Kammerfrau erzählt —

Diese tüchtige Person scheint wirklich alles zu machen. Im Hinauswerfen erzählt sie noch. Und zwar:

dass das Gehen der Sechzigjährigen Mühe verursacht und sie häufig mit Franzbranntwein eingerieben werden muß.

Offenbar wollte sie ihre Herrin entschuldigen, die sonst gern selbst dem Herrn einen Tritt versetzt hätte. Gut, dass sie's nicht tat. Wer mit ihr in Berührung kommt, weiß, wie unberechenbar sie ist:

Die Duse ist sehr unangenehm auf den Proben. Jähzornig und hysterisch.

Sie ist kein Star, sie will eine Göttin unter den Mitspielenden sein.

Und diese müssen es sich gefallen lassen.

Da können die Reporter von Glück sagen, dass sie nur mit der Kammerzofe zu tun bekamen und sogar erfuhren, wie diese heißt:

Die Kammerzofe heißt Desirée, das heißt die »Verläßliche«. Sie ist eine verläßliche Zeitungsfeindin, sie hat alle Reporter verjagt, die sich vor dem Appartement angesammelt und gewartet haben ...

Ist diese Zurückhaltung Stolz oder berechnende Reklame? Fast scheint diese Askese ein Geschäftskniff zu sein.

Jedenfalls ist die Reklamesucht der Duse, die nichts mit Zeitungsleuten zu tun haben will, auffallend. Das ganze Jahr hindurch keinen Schmock vorlassen, das heißt denn doch die Askese ein bißchen zu weit treiben. Man habe der Duse garantieren müssen, dass sie »keinem Fremden« hinter der Bühne begegnen werde. Von der Garderobe zur Bühne, von der Straße zum Bühneneingang, ja von der Hoteltüre zum Auto habe ein Teppich gelegt werden müssen — was freilich schon deshalb nicht ganz wahr sein dürfte, weil man von eben jenen Örtlichkeiten die Schmöcke nicht weggebracht hat. Aber wenn's ihnen nichts genützt hat, so soll es doch wenigstens der Duse schaden:

Ihr Erfolg am heutigen Abend steht bombenfest. Man wird sie feiern als die größte Künstlerin, die noch lebt. Doch der Mensch, die Frau Duse im Privatleben, ist mit allen Schwächen und Kleinlichkeiten behaftet, die sich ein skurriles Gehirn nur wünschen und ausdenken kann. Die Duse ist auf der Bühne ein großer Mensch und im Alltag eine kleine Frau.

Man sieht, er ist zu diesem Eindruck gelangt, ohne die Duse im Alltag gesehen zu haben. Es geht dann umso leichter. Und da ist denn zu sagen: Es dürfte wohl keine Stadt der Welt geben, in welcher sich derartiges abspielen könnte, und weder das Verkehrsleben in den Abruzzen noch die Einrichtung der sizilianischen Blutrache weist ähnliche Formen der Vergeltung auf. Ein Parlament, das da nicht zum Rechten sieht und keinen Polizeischutz fremder Künstler gegen die Hotelbanditen der Presse vorkehrt, soll mir nicht gewählt, sondern gestohlen werden!

 

 

Oktober 1923.


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