Paneuropa


mit Kultur, Wirtschaft, Weltfrieden und garantiertem Zusammenleben von Löwe & Lamm wäre ohne Zweifel ein Ziel, aufs innigste zu wünschen, wenn es nicht leider der Fall wäre, dass den Weg dahin, unter Palmen, »niemand ungestraft wandelt«, ja dass einem diese »verhaßt gemacht« werden. Man ist aber genötigt, sowohl dem Standpunkt der Ottilie in den »Wahlverwandtschaften« wie dem des Tempelherrn im »Nathan«, die so häufig verwechselt werden, beizupflichten, weil das Ideal nicht ohne die Artikel des Grafen Coudenhove-Kalergi zu erreichen ist. (Deren einer, der Nachruf auf Dollfuß, von jeglicher Redensart frei schien, was aber wohl das Verdienst des lebendigen Toten war.) Der vorzüglichen Schauspielerin Ida Roland, die merklich noch einen Schimmer der Wolter empfangen hat, war es nicht beschieden, dem riesenhaften Vorbild auch in dem Glück des gräflichen Kunstberaters nachzustreben; vielmehr hat sie allzulange dem eigenen Wirken entsagt, um mit administrativer Tüchtigkeit der politischen, rednerischen und publizistischen Betätigung des Gatten beizustehn, dessen gutes Meinen, nehmt alles nur in allem, die Sphären Benesch und Mussolini umschließt, nicht ohne auch eine letzte Hoffnung auf Hitler. Ob sie das Format zu einer Lady Macbeth hat, wird sich zeigen; aber dass sie den Mann, der außer einem starken Hang zur Publizität frei von teuflischen Trieben ist, zu Kongressen spornt, hat schon einen tragischen Zug. Jedenfalls ist ein Theatererfolg in der Hand besser als die Ehre, vom unverwüstlichen Ullmann zur »Hausfrau Paneuropas« ernannt zu werden. Der Hausherr, nunmehr ganz auf Prag konzentriert, ließ vor kurzem dort wie hier ein Artikelchen erscheinen, nach dessen Inhalt — so im Gedankenraum der Verbindung von Kultur und Handelsverträgen — sich Paneuropa endlich als die 25malige Wiederholung von Europa herausstellt:

... gehört zu den vielen europäischen Paradoxen ... sprachen sie europäisch ... ihr gemeinsames Bekenntnis zu Paneuropa, zur europäischen Idee, zur europäischen Kultur, zur europäischen Wirtschaft, zur europäischen Politik ... in der Mitte Europas ... erfüllt vom europäischen Geist und europäischer Tradition ... des größten Europäers Masaryk ... dem jüngsten Stern auf dem Himmel der großen europäischen Politik; einer großen europäischen Hoffnung ... neues Kapitel in der Geschichte Mitteleuropas ... für die wirtschaftliche Gesundung Mitteleuropas .. geistige Persönlichkeiten von europäischem Format ... das gemeinsame Bekenntnis zu Europa ... die wirtschaftliche Zersplitterung Europas ... eine glückliche Zukunft der Europäer ... bekennen sich zur gemeinsamen europäischen Kultur .. die tausendjährige Kultur Europas ... zwischen den drei Europäern ... bildet einen Lichtblick im Dunkel der heutigen Politik Europas ... Verständigung im Herzen Europas ... um diese europäische Verständigung eines Tages in Paris und Berlin zu krönen.

Coudenhove-Kalergi, dessen paneuropäisches Ideal nicht angetastet werden soll — wiewohl die Abschaffung der Presse noch schöner wäre und die Ruhe der Welt noch besser garantierte —, scheint sich ganz dem Glauben verschrieben zu haben, dass »Europäer« zu sein eine besondere kulturelle Ehre bedeute. Nun ist es zwar richtig und nachweisbar, dass sich mitten in Europa die Barbarei aufgetan hat; aber darum ist die Umgebung noch beiweitem nicht so europäisch, wie der edle Schwärmer anzunehmen scheint. Wäre es jedoch selbst der Fall: weshalb soll ein »Europäer«, den man ja allenfalls einem Amerikaner vorziehen mag, ein höheres Gottesgeschöpf sein als ein Bewohner anderer, wenngleich dunklerer Erdteile? Wir Afrikaner sind doch bessere Menschen und bestimmt keine so geübten Menschenfresser. Doch warum in die Ferne schweifen, wenn Asien dem Grafen Coudenhove-Kalergi so nahe liegt? Ein Japaner, der gleichfalls in der europäischen Zivilisation bewandert war, antwortete mir einst auf meine Frage, was man dort von ihr halte, kurz und bündig: »Mer lacht«. Nun, Japaneuropa ist auch nicht das Wahre. China, an dessen Vergiftung durch Opium die Kompagnie arbeitet, ist weit naturnäher; fern aller Anpassungsfähigkeit, dürfte es sowohl über den Glauben des Europäers, dass er einer sei, wie über den Stolz darauf, wenn er einer wäre, bloß lächeln, wofern ihm nicht Lehar die Laune verdüstert hat.

 

 

Februar, 1936.


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