Die sich nicht zu erziehen haben lassen


Ein deutschnationaler Professor ist — bitteres Los — genötigt, sich gegen den Verdacht der Bevorzugung von Ostjuden wie folgt zu wehren:

Aus Liebedienerei gegen die Studenten habe ich Einseitigkeiten nie begangen und werde sie auch nicht begehen, denn ich bin heute immer noch der Meinung, dass die Professoren die Studenten zu erziehen haben, sich aber nicht von den Studenten erst zu erziehen haben lassen... Ich stelle fest, dass während meines Dekanates keine schrankenlose Aufnahme von Ostjuden erfolgt ist und im Gegenteil die Aufnahme der Ostjuden in weitgehendster Weise und nach klar umrissenen einheitlichen Normen herabgedrückt wurde.

Das war insofern ein Fehler, als ich überzeugt bin, dass sich unter den Ostjuden manche finden, die mehr Gefühl für die deutsche Sprache haben als sämtliche Ostdeutschen. Dass die Aufnahme in weitgehendster Weise herabgedrückt wurde — was auch anstrengend sein muß — ist sehr bedauerlich. Aber was sollten die ostjüdischen Studenten schließlich ausrichten? Die deutschnationalen Professoren wissen ganz gut, dass sie sich nicht von ihnen zu erziehen haben lassen. Und wenn man sie fragte, ob sie sich nicht vielleicht, nämlich in der deutschen Sprache, haben erziehen zu lassen (oder erziehen zu lassen haben), so würden sie vermuten, dass man sie mit echt talmudischer Spitzfindigkeit hineinlegen will.

 

 

Januar 1924.


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