Literaten unterm Doppelaar


»Donauland« betitelt sich die Kriegsdienstleistung der zur Literatur Untauglichen, die jetzt in einem Bureau der Mariahilferstraße — man gönnt's ihnen — die Zukunft Österreichs nebbich schmieden.

... In diesen Tagen, da das verjüngte Österreich aus einer Glorie von Ruhmesstrahlen emporsteigt, ist die Gründung einer vaterländischen illustrierten Monatsschrift, die noch dazu alles Gewöhnliche weit hinter sich läßt, ganz besonders zu begrüßen ... »Kaiser und Kaiserin« heißt der erste Artikel, den Oberleutnant Dr. Paul Stefan geschrieben hat. Das ganze Leben des hohen Paares zieht beim Lesen der ersten Seiten, schlicht und warm erzählt, an uns vorüber. Wie eine Lichtgestalt aus dem Lande der Barmherzigkeit grüßt das Bild der Kaiserinmutter Erzherzogin Maria Josefa, wie ein goldlockiges Engelchen aus glücklichen Zukunftstagen lächelt uns der kleine Kronprinz entgegen, und als ein Vorbild mitleidiger Menschenliebe erscheint der edel-schöne Kopf der Schwester Michaela, der Erzherzogin Maria Therese. Wir sehen unsern Kaiser als Thronfolger bei den Truppen im Felde, auf den felsigen Höhen von Vielgereuth, das heldenkühne Vorgehen seiner Truppen verfolgend ...

Ich habe unter diesen Truppen ein paar Bekannte, die auch schreiben können, aber um keinen Preis der Welt diesen warmherzigen Aufsatz geschrieben hätten, der es ihnen erspart hätte, dort zu sein. Indes, das tut nichts zur Sache. Jeder nach seinem Gusto. Den einen ziehts nach Vielgereuth, der andere bleibt im Donauland, was noch keinen gereut hat, um rechtzeitig dabei zu sein, wie das verjüngte Österreich aus einer Glorie von Ruhmesstrahlen akkurat emporsteigt. Dass er nebstbei, ausgerechnet, mich »verehrt« und schlicht und warm von mir in der Neuen Zürcher Zeitung spricht, dagegen gibts in dieser harten, unerbittlichen Zeit eben keinen Schutz.

»Nachtwandler« heißt ein tiefempfundenes Gedicht vom Dichter der »Könige«, Hans Müller.

Von dem spricht jener auch schlicht und warm in Zürich; von ihm, mir, dem Kaiser und dem kleinen Kronprinzen, der noch nicht ahnt, dass er mit Recht lächelt.

Überaus lesenswert ist die »Donaufahrt vor zweihundert Jahren« von Stephan Zweig —

Es ist also alles da im Donauland, was im Donauland da ist.

Sehr hübsch ist das Gedicht »St. Christophorus« von Rainer Maria Rilke in dunkler Umrahmung ... Das vollendet schöne Gedicht von Franz Karl Ginzkey »Feindlicher Flieger« ist ein Juwel des Heftes.

Ich bin nur ein ordinärer Klachel in der Literatur. Wenn ich ein so feiner Mensch in der Literatur wäre wie Rainer Maria Rilke (den ich wirklich dafür halte und den Feinheit vor schlechter Gesellschaft nicht bewahren konnte, während meine hausknechtmäßigen Umgangsformen mir für alle Lebenszeit und weit über meinen Tod hinaus Ruhe verschafft haben), wenn ich wie er wäre, mich würde diese Anerkennung meiner Lyrik neben dem Hymnus auf den Herrn Ginzkey (der das Gluck-gluck im Sumpf erstickender Russen lyrisch verklärt hat) zu dem Entschluß treiben, aus der Literatur im Allgemeinen und aus dem Donauland im Besondern auszutreten. Oder vielmehr: ich wäre — allen widrigen Umständen zum Trotz — nie eingetreten.

Fine Meisternovelle von Hermann Bahr, »Die Schwestern«, wird den Lesern großen Eindruck machen.

Mir nicht, und wäre ich selbst Leser.

GM. v. Hoen plaudert in seiner gewandten Art über »Die Presse im Krieg«.

Wie kann denn ein GM. plaudern und eine gewandte Art haben? Er ist doch kein Journalist? Und über »die Presse im Krieg« plaudert man nicht, sondern wirft sie hinaus.

Einer geistvollen Plauderei von Ernst Decsey »So lebt man in Triest« —

werde ich nicht auf den Leim gehen, weil ich zu genau weiß, wie man in Graz lebt. Mit einem Wort:

Österreich rührt sich, ein frischer, reiner Wind, stürmisch zwar, aber verjüngend, saust durch die stählernen Schwingen des Doppelaars. Mit mächtigem Hoffen und sicherer Erwartung blicken Österreichs Völker in die Zukunft. Dieses erste Heft »Donauland« ist so ein gutes und glückverheißendes Frühlingszeichen, und es ist ein herrliches Omen, wenn gleich beim ersten Blick unser Auge die uns allen so teuren Züge des Paares erblickt, das uns beispielgebend vorangeht auf dem Weg in das neue, herrliche Reich, das unser aller Besitz sein soll.

—n.

Kann es etwas Rührenderes geben als diese Abkürzung eines Rezensenten, diese Selbstverstümmelung zu Diensten im Hinterland? Weil in eine auf Staatskosten gedruckte Zeitschrift freiwilliger Literaten das Porträt des Kaisers aufgenommen wird, der solchen Kriechdienst mißachtet, so sollen wir mit mächtigem Hoffen der Entwicklung des Reiches wie des ›Donauland‹ entgegensehen. Schon das zweite Heft wird das Porträt des Lyrikers Emil Alfons Reinhard bringen. Wie aber dieses neue, herrliche Reich unsere Steuergelder verwendet und ob es gut daran tut, Literaten auszufüttern, die als Parasiten des »Heimatgefühls« ebenso ihr Fortkommen suchen wie sie als Nebenläufer meiner Verneinungen existieren wollen, — das haben wir ja nicht zu prüfen. Nur eines möchte ich denn doch sagen: Wenn ich der Doppelaar wär', dann würde ich solchen Wind nicht durch meine stählernen Schwingen sausen lassen, sondern diese zu einer Abwehr benützen, die in der Geschichte der Verfolgungen des freien Geisteslebens ohne Beispiel wäre! Die Mitwirkung an der Aktion von Vielgereuth wünsche ich keinem, der sie beschreibt. Aber es muß einmal mit absoluter Deutlichkeit gesagt werden, dass ich diese erbitternden Kontraste nicht mehr dulden und soweit mein Wort daran etwas ändern kann, es an diesem nicht fehlen lassen werde. Dass ich, solange ich atmen kann und der Zustand beklemmend fortwirkt, die Vorstellung, dass Edle unter Minenwürfen liegen und die Tinterln dafür den Franz Josefs-Orden kriegen, als etwas Unerträgliches von mir abstoßen werde. Ich werde die Möglichkeit nicht vorübergehen lassen, dort aufklärend zu wirken, wo sichtbar der redlichste Eifer vorhanden ist, wenigstens an der Oberfläche Ordnung zu machen. Der Einwand, dass den Guten nicht geholfen wird, wenn auch die Schlechten leiden, ist ein empörender Zuschuß zu einem Unrecht, das noch durch die Spur von einer Idee gemildert werden kann, wenn auch die Schlechten leiden. Wohl, man soll und darf den Schmierern nicht dazu verhelfen, die Schützengräben mit geistigen Menschen zu teilen; aber das schimpfliche Schauspiel — nicht schimpflich von wegen der Tapferkeit, für die ich ja keinen reklamiere, sondern wegen des geistigen Anstands —, dass Leute jenen Aufenthalt glorifizieren, um ihm zu entgehen, hat uns erspart zu bleiben! Solche Leute können sich, wenn sie schon nicht die Konstitution meiner herzkranken oder lungensüchtigen Freunde haben, die als Kunsthistoriker, Musiker, Philosophen und selbst Schriftsteller fern dem ›Donauland‹ weilen, als Aktenschreiber, Proviantmesser, Spitalsgehilfen noch immer nützlich machen im Vergleich zu der literarischen Tätigkeit, der sie dadurch entzogen werden. Aber jene, der sie zugeführt werden, der Feuilletonismus der Glorie, hat zu unterbleiben! Dort, wo der stärkste Wille zu Reformen täglich sichtbar wird, ist kein empfängliches Ohr dafür, dass der Patriotismus ein Austauschobjekt für die Gefahr sei und der Heldentod eine Impression für das literarische Agententum, das im Frieden mit ästhetischen Snobismen gehandelt hat. Wenn jener Wille gegen den Unfug eines Armeeliteratentums, das sich vor allem in der »Verdeutschung« militärischer Erfolge betätigen wollte, die ursprünglichen Bezeichnungen wiederherstellen ließ und angeordnet hat, dass Vielgereuth wieder Folgaria heiße, so wird auch dafür gesorgt werden, dass die Pseudonyme in der Literatur sich nicht mehr unter Habsburgs Banner blicken lassen.

 

 

Mai, 1917.


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