Kein Badezimmer in Downing Street


Ich habe im Laufe des Sommers — im Tal der Orbe — wenig Gemauscheltes zu Gehör bekommen und fast gar keins gelesen. Unter den vielen lieben Angebinden, die mich, als ich wiederkam, von allzu fürsorglichen Händen beschert, auf dem Schreibtisch erwarten sollten, ist dieses eines der liebsten. Es begann mich schon anzulächeln, als ich nur den Titel las:

[Kein Badezimmer in Downing Street.] Bekanntlich befindet sich in Downing Street zu London, einer Citystraße in der Nähe von Westminster, das gewaltige Regierungsgebäude, in welchem der jeweilige Ministerpräsident seine Amtswohnung besitzt. Mr. Asquith hat dort mit seiner Familie neun Jahre lang verlebt und Mr. David Lloyd-George, der gegenwärtige Premierminister Georgs V., ist kürzlich mit seiner Familie in die renovierten Wohnungsräume eingezogen. Bei dieser Gelegenheit machte Frau Lloyd-George eine befremdliche Entdeckung. Sie überzeugte sich nämlich, dass das Riesengebäude mit seinen zahllosen Sälen und Zimmern kein einziges Badezimmer enthält. Die britischen Premierminister, die seit hundert und mehr Jahren in Downing Street residieren, haben also auf den Luxus eines Bades entweder verzichtet oder eine öffentliche Badeanstalt aufsuchen müssen.

Ich weiß nicht, ob es im Herrenhaus ein Badezimmer gibt, aber die Einbildungskraft schwelgt in der Vorstellung, dass der Herausgeber des schmutzigsten Blattes der Erde von der Verfassungspartei eine kalte Dusche bekommt. Die simple Alternative, durch welche sich entweder die bekannte physische Unsauberkeit der Lords seit hundert und mehr Jahren und als Zuwag auch die Schmutzigkeit der englischen Politik bis in hundert Jahr erklärt oder der für freie Engländer unerträgliche Zwang, eine öffentliche Badeanstalt nebbich aufzusuchen, ist geradezu rührend. Man hätte nach dem Titel geglaubt, dass die Kriegsnot zur Abschaffung des Badezimmers in Downing Street geführt hat, aber nein, ohne die bekannte rabbinische Gewalttätigkeit, die den Engländern jetzt jeden Vorteil, den sie vor den Lesern der Neuen Freien Presse voraushaben möchten, beschneidet, wird hier mit schlichter Sachlichkeit gleich das Bad mit dem Kind ausgeschüttet und den englischen Premierministern nachgesagt, dass sie sich, einem On dit zufolge, seit mehr als hundert Jahren wahrscheinlich überhaupt nicht gebadet haben. Asquith allein, das heißt mit seiner Familie, hat neun Jahre nicht gebadet! Wenigstens wurde nie gemeldet, dass er eine öffentliche Badeanstalt aufgesucht hat. Die Schadenfreude über die Entdeckung der Frau Lloyd-George, die für solche Übelstände ein Auge zu haben scheint, pritschelt nur so zwischen den Zeilen des Tatsachenberichtes hervor. Das ist unter allen Plagen, mit denen der deutsche Gott und Jehovah England strafen, einmal eine, die sich gewaschen hat, denn sie wirkt rückwirkend bis ins dritte und vierte Glied und würde auch, wie sich's gehört, die Kinder und Kindeskinder treffen, wenn nicht eben Frau Lloyd-George leider die Entdeckung gemacht hätte, wiewohl Gottseidank nicht verraten wird, ob sie auch Willens sei, den Zustand zu ändern. Sie scheint sich dreinzufügen. Die weitere Enthüllung — für das englische Pech gilt das Gesetz der Serie —, dass in Downing Street auch kein Water-Closet ist, bleibt ihr und uns noch vorbehalten. Man wird doch da sehn. An den englischen Machthabern rächt sich jetzt die Zudringlichkeit, mit der sie in Friedenszeiten in Marienbad von den Vertretern der Neuen Freien Presse bis in die Anlagen, die dem Schutz vor dem Publikum empfohlen sind, verfolgt wurden. Es rieselt im Gemäuer der Entente, Poincare wälzt sich im Bett herum und Lloyd-George hat kein Badezimmer, oder wie der Leitartikel schließt: »Poincare ist erschüttert und Lloyd-George gedemütigt. Engländer und Deutsche werden sich in Stockholm begegnen«. Die Objektivität unserer Saupresse hat nicht verschwiegen, dass es damit in Petersburg besser bestellt war. Denn die Zarin hatte wenigstens eine Badewanne, wenngleich sie sie bekanntlich mit Rasputin teilen mußte.

 

 

Oktober, 1917.


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