Wie Hindenburg und Ludendorff unter Paul Goldmanns Einwirkung zu Pazifisten wurden


Als Paul Goldmann zu Hindenburg und Ludendorff ging, stand auf dem Niederwald die Germania und hob mit hochgestrecktem Arme die deutsche Kaiserkrone in den Morgenhimmel. Das tut sie zwar immer, aber es gibt Tage, an denen »Allegorien, sonst konventionell und leer, plötzlich Bedeutung und Inhalt durch die Ereignisse bekommen«. Heute ist solch ein Tag. Hindenburg und Ludendorff erwarten den Besuch Paul Goldmanns, »den vierten seit Beginn des Krieges«, und die Härte dieser Kriegszeiten könnte nicht sinnfälliger zum Ausdruck kommen.

Heute hat die Germania auf dem Niederwald einen starken Ausdruck. Ruhig, unerschütterlich steht sie, hält das Symbol des deutschen Reiches, die Kaiserkrone, empor und wendet den Blick nach Frankreich: »Ihr werdet sie nicht herunterholen!«

Dem Paul Goldmann ist sie geneigt, ihm gibt sie Ernst aber Zuversicht, und ich erinnere mich aus Friedenszeiten an eine Eisenbahnfahrt durch Südtirol, da ein Offizier eingestiegen war und ein älterer Herr neben mir, der offenbar Biach hieß, den Blick von ihm nicht abwendend, zu seiner Gattin die Worte sprach: »Das ist also das sogenannte Tridanto!« »Tridantino«, verbesserte die Gattin. Er aber fuhr fort: »Ja, das möchten sie haben, die Herren Italiener, das schmecket ihnen. Aber sie kriegen es nicht!« Die Prophezeiung hat sich erfüllt; doch unvergeßlich bleibt mir die Haltung des Offiziers, der — ich muß es trotz allen Erlebnissen dieser Kriegsjahre hervorheben — schamrot wurde. Er hatte ganz gewiß keinen Festungsplan verraten, aber er fühlte sich mit dem Feind verbunden und verraten an den innern Feind, an jene geheimnisvolle Macht, die heute in Gestalt des Paul Goldmann ihre Siegesgewißheit auf die Germania stützt und darin leider sowohl von Hindenburg als auch von Ludendorff bestärkt wird.

Die Unteilbarkeit der Individualität, die diese beide Namen trägt, kommt schon in dem Titel des Interviews »Hindenburg und Ludendorff über Krieg und Frieden« zum Ausdruck, und mit höchster Spannung folgt man dem Prozeß, wie sich in den grundverschiedenen Diskussionsgegenständen die Einheit der Persönlichkeit zur Geltung bringt. Das wird wesentlich dadurch erleichtert, dass Hindenburg und Ludendorff gemeinschaftlich eine Villa bewohnen, und da auch der Empfang zu gleicher Zeit stattfindet, so ist die Einheit des Ortes, der Zeit und des Frühstücks gewahrt, bei dem freilich »dem Gast die hohe Ehre zuteil wird, zwischen dem Generalfeldmarschall und dem Generalquartiermeister sitzen zu dürfen«. Es ist, in einer Epoche, in der alles photographiert wird, ein unwiederbringlicher Verlust, dass eine wenngleich noch so plastische Schilderung dieser Szene nicht vom Bilde unterstützt wird. Ehe man Platz nimmt, drückt Hindenburg »dem Gaste die Hand mit seiner mächtigen Rechten (einer Löwenpranke) und begrüßt ihn mit der herzgewinnenden Güte, die ihm eigen ist«. Dass an demselben Tag ein anderer Feuilletongast von der zarten Hand Hindenburgs gesprochen hat, ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass er den schmächtigeren Ludendorff beschreiben wollte, der bekanntlich die rechte Hand Hindenburgs ist. Ludendorffs Aussehen ist nach Goldmann, der besser auseinanderhalten kann, »unverändert das gleiche wie vor einem, vor zwei, vor drei Jahren«, also wie bei den früheren Besuchen Goldmanns, nur dass sein Charakterkopf natürlich noch durchgeistigter geworden ist. Auch Goldmann hat sich in all der Zeit nicht verändert, höchstens dass er noch zudringlicher geworden ist. Da Hindenburg und Ludendorff darauf gefaßt sind und Goldmann trotzdem zum vierten Mal empfangen, suchen sie wenigstens das Verfahren tunlichst abzukürzen, indem sie, ohne erst die Fragen abzuwarten, gleich alle Antworten erteilen, alternierend und einander ergänzend, indem sie so einerseits alles Wissenswerte an den Goldmann bringen, andererseits jedoch streng auf die Wahrung der Einheit bedacht sind. Sie, die sonst Schulter an Schulter miteinandergehen, sind diesmal zwar durch die Gestalt des Paul Goldmann getrennt, aber gerade darum scheinen ihre Stimmen, die von rechts und links auf ihn eindringen, wie eine einzige zu klingen. Der Grundgedanke des Gespräches ist, dass man bis zum Endsieg durchhalten muß, einstimmig versichern beide, dass es schwer ist, aber darüber, dass es gelingen wird, herrscht unter ihnen nur eine Stimme.

»Es steht alles gut«, beginnt Hindenburg das Gespräch. Und Ludendorff bekräftigt: »Die Kriegslage berechtigt zur größten Zuversicht.«

Ob Goldmann es notiert oder im Kopf behalten hat, erfahren wir nicht, so oder so muß es schwer gewesen sein, den sich kreuzenden und doch wieder findenden Gedankengängen zu folgen.

»Überwintern müssen wir freilich«, fährt Hindenburg fort — — Ludendorff fügt hinzu: »Den Termin des Friedens bestimmen können wir natürlich nicht — —«

Die lapidare Wucht dieser Äußerungen verführt beinahe zu der Vorstellung, dass Goldmann schwerhörig ist und nachdem er aufgefaßt hat, befriedigt nach der rechten und dann nach der linken Seite nickt. Doch gelingt es ihm zuweilen, die beiden Flügelmänner mit einer Frage zu überraschen. So sieht er wohl ein, dass sich über das »Wann« des Friedens bestimmte Angaben nicht machen lassen. Aber vielleicht über das »Wie«? Und stellt nun die Frage, die wohl jedem daheim am Herzen liegen mag: »Durch welche Mittel wird der Friede am sichersten herbeigeführt?« Da nun Goldmann das Glück hat, den beiden maßgebendsten Heerführern am Herzen zu liegen, so kann man wohl auf die Antwort gespannt sein:

»Der Friede wird umso eher herheigeführt werden,

antwortet Ludendorff

je günstiger unsere Kriegslage wird. Noch steht die Tat über dem Wort.«

Und Hindenburg:

»Deshalb sollten wir jetzt nicht mehr vom Frieden sprechen — —«

Trotzdem, das Eis ist gebrochen.

»Den Anfang

fährt Ludendorff fort

scheinen die Russen machen zu wollen — —«

Und Hindenburg?

»Ein Waffenstillstand von einer Dauer von drei Monaten, von dem öfter gesprochen wird,

führt Ludendorff weiter aus

ist reichlich lang.«

Und Hindenburg?? Ludendorff macht eine Pause des Nachdenkens

und spricht weiter: »Wenn mir jemand sagt, die russische Revolution sei ein Glücksfall für uns gewesen, so protestiere ich immer. Die Revolution in Rußland war kein Glücksfall, sondern die natürliche und notwendige Folge unserer Kriegführung. Mit dem modernen Kriege hat es eine eigene Bewandtnis — —«

Und Hindenburg??? Da muß eine technische Störung eingetreten sein. Goldmann erklärt, »was im Anschluß hieran über den Frieden mit Rußland gesprochen wurde, entziehe sich in seinen Einzelheiten der Veröffentlichung«. Er ist also im Besitze eines Generalstabsgeheimnisses und verrät es um keinen Preis der Welt.

Nur so viel darf vielleicht mitgeteilt werden, dass Hindenburg und Ludendorff einen Frieden wünschen, der möglichst sichere und stabile Verhältnisse schafft, einen solchen Frieden, der uns gesicherte Grenzverhältnisse und eine freie wirtschaftliche Betätigung in der Welt und auf dem Weltmeer bringt.

Das ist überraschend, man hatte immer gefürchtet, Hindenburg und Ludendorff würden einem Verzichtfrieden das Wort reden oder gar die Abtretung Elsaß-Lothringens betreiben. Natürlich will sich weder Hindenburg noch Ludendorff heute binden.

Hindenburg und Ludendorff sind der Meinung, dass die Ansichten über den Frieden nicht unveränderlich sein können, da sie von der Kriegslage abhängen.

Hindenburg speziell meint, vielleicht reiße in Rußland schließlich »irgendein Gewaltmensch die Macht an sich und peitscht das kriegsmüde russische Heer noch zu einer letzten Anstrengung auf.«

»Auch über die Lage an der Westfront kann ich mich mit voller Beruhigung und Zuversicht aussprechen«

versichert Hindenburg. Ludendorff knüpft daran

noch folgendes: — —

Goldmann möchte wissen, was von dem Obersten Kriegsrat zu erwarten sei, den die Entente jetzt einzusetzen im Begriffe ist.

Hindenburg lacht — —

Goldmann legt den Finger auf die elsaß-lothringische Frage.

»Für die Franzosen mag es eine elsaß-lothringische Frage geben,

antwortet Ludendorff

für Deutschland gibt es keine.« — —

Goldmann, ein ungestümer Mahner, verweist auf Amerika.

»Die Reklame,

äußert Hindenburg

mit der Amerika seine Kriegsleistungen ankündigt, ist imposant und des Landes würdig, das einen Barnum hervorgebracht hat. Nun wollen wir erst einmal abwarten, ob die Leistungen selbst ebenso imposant sein werden.« — —

Hindenburg entwickelt den Gedanken, dass Amerika seit seinem Eintritt in den Krieg tatsächlich bestrebt sei, ein großes Heer zu schaffen, denn im Frieden hätte es das schon deshalb nicht können, weil Japan nicht ruhig zugesehen hätte. Aber jetzt muß man sich fragen, ob die Amerikaner »nichts Gescheiteres zu tun haben«, als dieses große Heer nach Europa zu schaffen und damit ihr eigenes Land wehrlos zu machen, für den Fall, dass Japan und so weiter. Was die Amerikaner aber getan hätten, wenn zur Zeit, da sie das Heer noch nicht hatten, Japan und so weiter — das just erfährt Goldmann nicht. Er errät aber gewiß, dass Hindenburg meint, die Amerikaner hätten das Heer gegen Japan aufgestellt. Und dann der herrschende Tonnagemangel! Und die U-Boote! »Kurzum«, sagt Hindenburg, »das große amerikanische Heer steht noch in nebelhafter Ferne.« Goldmann hat eine Frage auf dem Herzen, die an das Problem des U-Bootkrieges streift.

Ludendorff übernimmt es,

die Antwort zu erteilen. » — — Wir haben nicht daran gedacht, dass unsere U-Boote England in ein paar Monaten aushungern würden. — — Unser Ziel war nicht, England auszuhungern, sondern es zum Frieden geneigter zu machen. — —«

Ludendorff fährt fort. Und Hindenburg?

Ludendorff hat die Operationen in Italien erwähnt, und die Unterhaltung geht jetzt zu ihnen über.

Nun ist die Reihe an Hindenburg. Er spricht vom vortrefflichen Zusammenarbeiten, »im Wetteifer mit unseren Deutschen« hätten sich die österreichisch-ungarischen Soldaten tapfer geschlagen. Ludendorff schließt sich an. Von allen Kriegsschauplätzen ist schon die Rede gewesen, Goldmann vermißt jetzt nur noch den Balkan. Hindenburg beruhigt ihn mit der Versicherung, dass dort die Lage unverändert sei.

Das Mittagsmahl ist gegessen, der Kaffee getrunken. Der Generalfeldmarschall hebt die Tafel auf.

Goldmann hat gleich im Anfang erzählt, dass das Mittagessen »von militärischer Einfachheit« gewesen sei, der Kaffee allerdings aus echten Bohnen gemacht und nicht, wie man etwa vermuten könnte, identisch mit jenem, »den in dieser schweren Kriegszeit einem Teil des deutschen Volkes ein immerhin echt deutscher Baum, die Eiche, liefert« — ein schalkhafter Hinweis auf ein nationales Vorrecht, das allerdings bisher nur unterschiedslos die alldeutschen Schweine genossen hatten. Nachdem Goldmann also den letzten Rest Bohnenkaffees, den es in Deutschland noch gegeben hat, ausgetrunken hat, verabschiedet sich Hindenburg von dem Gaste, der offenbar nicht gehen will, indem er die Worte spricht:

»Wenn wir noch eine zeitlang Kraft und Geduld haben, bringen wir's zum guten Ende. Das sagen Sie in Österreich-Ungarn mit einem schönen Gruß von mir!«

Das waren aber noch nicht die letzten Worte. Goldmann steht und zaudert. Noch hat Ludendorff nicht Abschied genommen. Goldmann wartet. Da reißt Ludendorff Hindenburgs Geduld, und er spricht etwas, was Goldmann nicht ohne vorbereitenden Kommentar wiedergeben möchte.

Die Abschiedsworte des Generalquartiermeisters spielen darauf an, dass der Schreiber dieser Zeilen bisher in jedem Kriegsherbst einmal an der Tafel des Feldmarschalls hat sitzen dürfen, und lauten: »Sie sind heute vielleicht zum letztenmal bei uns gewesen.« Paul Goldmann.

Hat es je einen selbstloseren Berichterstatter gegeben? Natürlich hat Ludendorff gemeint, vor dem fünften Besuch werde der Friede kommen. Ja, er hofft es sogar. Er — und darin dürfte wohl Hindenburg mit ihm einer Meinung sein — sie beide, Hindenburg und Ludendorff denken: Soll in Gottes Namen wieder der Friede kommen, ehe der Paul Goldmann wieder kommt! Er faßt das »ehe« als eine Präposition der Zeit auf, sie jedoch als eine Präposition der Wahl. Denn sie sind keine Jusqu'auboutisten. Sie sind, Hindenburg und Ludendorff, in diesem Fall zu einem Verzichtfrieden bereit!

 

 

Mai, 1918.


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