§ 43. Das Wollen. Gesetz der Motivation


Eben weil das Subjekt des Wollens dem Selbstbewußtsein unmittelbar gegeben ist, läßt sich nicht weiter definiren, oder beschreiben, was Wollen sei: vielmehr ist es die unmittelbarste aller unserer Erkenntnisse, ja die, deren Unmittelbarkeit auf alle übrigen, als welche sehr mittelbar sind, zuletzt Licht werfen muß.

Bei jedem wahrgenommenen Entschluß sowohl Anderer, als unserer selbst, halten wir uns berechtigt, zu fragen Warum? d.h. wir setzen als notwendig voraus, es sei ihm etwas vorhergegangen, daraus er erfolgt ist, und welches wir den Grund, genauer, das Motiv der jetzt erfolgenden Handlung nennen. Ohne ein solches ist dieselbe uns so undenkbar, wie die Bewegung eines leblosen Körpers ohne Stoß, oder Zug. Demnach gehört das Motiv zu den Ursachen und ist auch bereits unter diesen als die dritte Form der Kausalität, § 20, aufgezählt und charakterisiert worden. Allein die ganze Kausalität ist nur die Gestalt des Satzes vom Grunde in der ersten Klasse der Objekte, also in der in äußerer Anschauung gegebenen Körperwelt. Dort ist sie das Band der Veränderungen unter einander, indem die Ursache die von außen hinzutretende Bedingung jedes Vorgangs ist. Das Innere solcher Vorgänge hingegen bleibt uns dort ein Geheimniß: denn wir stehen daselbst immer draußen. Da sehn wir wohl diese Ursache jene Wirkung mit Notwendigkeit hervorbringen; aber wie sie eigentlich Das könne, was nämlich dabei im Innern vorgehe, erfahren wir nicht. So sehn wir die mechanischen, physikalischen, chemischen Wirkungen, und auch die der Reize, auf ihre respektiven Ursachen jedesmal erfolgen; ohne deswegen jemals den Vorgang durch und durch zu verstehen; sondern die Hauptsache dabei bleibt uns ein Mysterium: wir schreiben sie alsdann den Eigenschaften der Körper, den Naturkräften, auch der Lebenskraft, zu, welches jedoch lauter qualitates occultae sind. Nicht besser nun würde es mit unserm Verständnis der Bewegungen und Handlungen der Tiere und Menschen stehen, und wir würden auch diese auf unerklärliche Weise durch ihre Ursachen (Motive) hervorgerufen sehn; wenn uns nicht hier die Einsicht in das Innere des Vorgangs eröffnet wäre: wir wissen nämlich, aus der an uns selbst gemachten innern Erfahrung, dass dasselbe ein Willensakt ist, welcher durch das Motiv, das in einer bloßen Vorstellung besteht, hervorgerufen wird. Die Einwirkung des Motivs also wird von uns nicht bloß, wie die aller andern Ursachen, von außen und daher nur mittelbar, sondern zugleich von innen, ganz unmittelbar und daher ihrer ganzen Wirkungsart nach, erkannt. Hier stehen wir gleichsam hinter den Koulissen und erfahren das Geheimnis, wie, dem innersten Wesen nach, die Ursache die Wirkung herbeiführt: denn hier erkennen wir auf einem ganz andern Wege, daher in ganz anderer Art. Hieraus ergibt sich der wichtige Satz: die Motivation ist die Kausalität von innen gesehn. Diese stellt sich demnach hier in ganz anderer Weise, in einem ganz andern Medio, für eine ganz andere Art des Erkennens dar: daher nun ist sie als eine besondere und eigentümliche Gestalt unsers Satzes aufzuführen, welcher sonach hier auftritt als Satz vom zureichenden Grunde des Handelns, principium rationis sufficientis agendi, kürzer, Gesetz der Motivation.

Zu anderweitiger Orientierung, in Bezug auf meine Philosophie überhaupt, füge ich hier hinzu, dass, wie das Gesetz der Motivation sich zu dem oben, § 20, aufgestellten Gesetz der Kausalität verhält; so diese vierte Klasse von Objekten für das Subjekt, also der in uns selbst wahrgenommene Wille, zur ersten Klasse. Diese Einsicht ist der Grundstein meiner ganzen Metaphysik.

Über die Art und die Notwendigkeit der Wirkung der Motive, das Bedingtsein derselben durch den empirischen, individuellen Charakter, wie auch durch die Erkenntnißfähigkeit der Individuen u.s.w. verweise ich auf meine Preisschrift über die Freiheit des Willens, woselbst dies Alles ausführlich abgehandelt ist.


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Seite zuletzt aktualisiert: 11.08.2005 
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