§ 6. Erste Aufstellung des Satzes und Unterscheidung zweier Bedeutungen desselben


Für einen solchen Ur-Grundsatz aller Erkenntnis mußte auch der, mehr oder weniger genau bestimmte, abstrakte Ausdruck sehr früh gefunden werden; daher es schwer und dabei nicht von großem Interesse sein möchte, nachzuweisen, wo zuerst ein solcher vorkommt. Plato und Aristoteles stellen ihn noch nicht förmlich als einen Hauptgrundsatz auf, sprechen ihn jedoch öfter als eine durch sich selbst gewisse Wahrheit aus. So sagt Plato, mit einer Naivetät, welche gegen die kritischen Untersuchungen der neuen Zeit wie der Stand der Unschuld gegen den der Erkenntnis des Guten und Bösen erscheint: anankaion, panta ta gignomena dia tina aitian gignesthai; pôs gar an chôris toutôn gignoito; (necesse est, quaecunque fiunt, per aliquam causam fieri: quomodo enim absque ea fierent?) Phileb. p. 240 Bip. und wieder im Timäos (p. 302) pan de to gignomenon hyp'aitiou tinos ex anankês gignesthai; panti gar adynaton chôris aitiou genesin schein. (quidquid gignitur, ex aliqua causa necessario gignitur: sine causa enim oriri quidquam, impossibile est.) — Plutarch, am Schlusse seines Buches de fato, führt unter den Hauptsätzen der Stoiker an: malista men kai prôton doxeie, to mêden anaitiôs gignesthai, alla kata proêgoumenas aitias. (maxime id primum esse videbitur, nihil fieri sine causa, sed omnia causis antegressis).

Aristoteles stellt in den Analyt. post. 1, 2 den Satz vom Grunde gewissermaßen auf, durch die Worte: epistasthai de oiometha hekaston haplôs, hotan tên t'aitian oiometha ginôskein, di hên to pragma estin, hoti ekeinou aitia estin, kai mê endechesthai touto allôs einai. (Scire autem putamus unamquamque rem simpliciter, quum putamus causam cognoscere, propter quam res est, ejusque rei causam esse, nec posse eam aliter se habere). Auch gibt er in der Metaphysik, Lib. IV. c. 1, schon eine Einteilung der verschiedenen Arten der Gründe, oder vielmehr der Prinzipien, archai, deren er acht Arten annimmt; welche Einteilung aber weder gründlich, noch scharf genug ist. Jedoch sagt er hier vollkommen richtig: pasôn men oun koinon tôn archôn, to prôton einai, hothen ê estin, ê ginetai, ê gignôsketai. (omnibus igitur principiis commune est, esse primum, unde aut est, aut fit, aut cognoscitur). Im folgenden Kapitel unterscheidet er verschiedene Arten der Ursachen; wiewohl mit einiger Seichtigkeit und Verworrenheit zugleich. Besser jedoch, als hier, stellt er vier Arten der Gründe auf in den Analyt. post. II, 11. aitiai de tessares mia men to ti ên einai; mia de to tinôn ontôn, anankê touto einai; hetera de, hê ti prôton ekinêse; tetartê de, to tinos heneka. (causae autem quatuor sunt: una quae explicat quid res sit; altera, quam, si quaedam sint, necesse est esse; tertia, quae quid primum movit; quarta id, cujus gratia). Dieses ist nun der Ursprung der von den Scholastikern durchgängig angenommenen Einteilung der causarum in causas materiales, formales, efficientes et finales; wie dies denn auch zu ersehn aus Suarii disputationibus metaphysicis, diesem wahren Kompendio der Scholastik, disp. 12, sect. 2 et 3. Aber sogar noch Hobbes (de corpore, P. II. C.10, § 7.) führt sie an und erklärt sie. — Jene Einteilung ist im Aristoteles nochmals, und zwar etwas ausführlicher und deutlicher, zu finden: nämlich Metaph. I, 3. Auch im Buche de somno et vigilia, c. 2, ist sie kurz angeführt. — Was jedoch die so höchst wichtige Unterscheidung zwischen Erkenntnisgrund und Ursache betrifft, so verräth zwar Aristoteles gewissermaßen einen Begriff von der Sache, sofern er in den Analyt. post. I, 13, ausführlich dartut, dass das Wissen und Beweisen, dass etwas sei, sich sehr unterscheide von dem Wissen und Beweisen, warum es sei: was er nun als Letzteres darstellt, ist die Erkenntnis der Ursache, was als Ersteres, der Erkenntnisgrund. Aber zu einem ganz deutlichen Bewußtsein des Unterschiedes bringt er es doch nicht; sonst er ihn auch in seinen übrigen Schriften festgehalten und beobachtet haben würde. Dies aber ist durchaus nicht der Fall: denn sogar wo er, wie in den oben beigebrachten Stellen, darauf ausgeht, die verschiedenen Arten der Gründe zu unterscheiden, kommt ihm der in dem hier in Betracht genommenen Kapitel angeregte, so wesentliche Unterschied nicht mehr in den Sinn; und überdies gebraucht er das Wort aition durchgängig für jeden Grund, welcher Art er auch sei, nennt sogar sehr häufig den Erkenntnisgrund, ja, die Prämissen eines Schlusses, aitias: so z.B. Metaph. IV, 18. Rhet. II, 21. de plantis I. p. 816. (ed. Berol.) besonders Analyt. post. I, 2, wo geradezu die Prämissen eines Schlusses aitiai tou symperasmatos heißen. Wenn man aber zwei verwandte Begriffe durch das selbe Wort bezeichnet; so ist dies ein Zeichen, dass man ihren Unterschied nicht kennt, oder doch nicht festhält: denn zufällige Homonymie weit verschiedener Dinge ist etwas ganz Anderes. Am auffallendesten kommt aber dieser Fehler zu Tage in seiner Darstellung des Sophisma's non causae ut causa, para to mê aition hôs aition im Buche de sophisticis elenchis, c.5. Unter aition versteht er hier durchaus nur den Beweisgrund, die Prämissen, also einen Erkenntnisgrund, indem das Sophisma darin besteht, dass man ganz richtig etwas als unmöglich dartut, dasselbe jedoch auf den damit bestrittenen Satz gar nicht einfließt, welchen man dennoch dadurch umgestoßen zu haben vorgibt. Von physischen Ursachen ist also dabei gar nicht die Rede. Allein der Gebrauch des Wortes aition hat bei den Logikern neuerer Zeit so viel Gewicht gehabt, dass sie, bloß daran sich haltend, in ihren Darstellungen der fallaciarum extra dictionem die fallacia non causae ut causa durchgängig erklären als die Angabe einer physischen Ursache, die es nicht ist: so z.B. Reimarus, G. E. Schulze, Fries und Alle, die mir vorgekommen: erst in Twesten's Logik finde ich dies Sophisma richtig dargestellt. Auch in sonstigen wissenschaftlichen Werken und Disputationen wird, in der Regel, durch die Anschuldigung einer fallacia non causae ut causa die Einschiebung einer falschen Ursache bezeichnet.

Von dieser, bei den Alten durchgängig vorhandenen Vermengung und Verwechselung des logischen Gesetzes vom Erkenntnisgrunde mit dem transzendentalen Naturgesetz der Ursache und Wirkung liefert uns noch Sextus Empirikus ein starkes Beispiel.

Nämlich im 9. Buche adversus Mathematicos, also dem Buche adv. physicos, § 204, unternimmt er, das Gesetz der Kausalität zu beweisen, und sagt: Einer, der behauptet, dass es keine Ursache (aitia) gebe, hat entweder keine Ursache (aitia), aus der er dies behauptet, oder er hat eine. Im ersten Falle ist seine Behauptung nicht wahrer, als ihr Gegenteil: im andern stellt er eben durch seine Behauptung fest, dass es Ursachen gibt.

Wir sehn also, dass die Alten es noch nicht zur deutlichen Unterscheidung zwischen der Forderung eines Erkenntnisgrundes zur Begründung eines Urteils und der einer Ursache zum Eintritt eines realen Vorganges gebracht haben. — Was nun späterhin die Scholastiker betrifft, so war das Gesetz der Kausalität ihnen eben ein über alle Untersuchung erhabenes Axiom: non inquirimus an causa sit, quia nihil est per se notius, sagt Suarez, Disp. 12, sect. 1. Dabei hielten sie die oben beigebrachte Aristotelische Einteilung der Ursachen fest: hingegen die hier in Rede stehende notwendige Unterscheidung haben, so viel mir bekannt, auch sie sich nicht zum Bewußtsein gebracht.


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