§ 19. Unmittelbare Gegenwart der Vorstellungen


Weil nun aber, ungeachtet dieser Vereinigung der Formen des innern und äußern Sinnes, durch den Verstand, zur Vorstellung der Materie und damit zu der einer beharrenden Außenwelt, das Subjekt unmittelbar nur durch den innern Sinn erkennt, indem der äußere Sinn wieder Objekt des innern ist und dieser die Wahrnehmungen jenes wieder wahrnimmt, das Subjekt also in Hinsicht auf die unmittelbare Gegenwart der Vorstellungen in seinem Bewußtsein, den Bedingungen der Zeit allein, als der Form des inneren Sinnes, unterworfen bleibt;*) so kann ihm nur eine deutliche Vorstellung, wiewohl diese sehr zusammengesetzt sein kann, auf Ein Mal gegenwärtig sein. Vorstellungen sind unmittelbar gegenwärtig heißt: sie werden nicht nur in der vom Verstande (der, wie wir sogleich sehn werden, ein intuitives Vermögen ist) vollzogenen Vereinigung der Zeit und des Raums zur Gesammtvorstellung der empirischen Realität, sondern sie werden als Vorstellungen des innern Sinnes in der bloßen Zeit erkannt und zwar auf dem Indifferenzpunkt zwischen den beiden auseinandergehenden Richtungen dieser, welcher Gegenwart heißt. Die im vorigen Paragraphen berührte Bedingung zur unmittelbaren Gegenwart einer Vorstellung dieser Klasse ist ihre kausale Einwirkung auf unsere Sinne, mithin auf unsern Leib, welcher selbst zu den Objekten dieser Klasse gehört, mithin dem in ihr herrschenden, sogleich zu erörternden Gesetze der Kausalität unterworfen ist. Weil dieserhalb das Subjekt, nach den Gesetzen sowohl der innern, wie der äußeren Welt, bei jener einen Vorstellung nicht bleiben kann, in der bloßen Zeit aber kein Zugleichsein ist; so wird jene Vorstellung stets wieder verschwinden, von andern verdrängt, nach einer nicht a priori bestimmbaren, sondern von bald zu erwähnenden Umständen abhängigen Ordnung. Daß außerdem Phantasie und Traum die unmittelbare Gegenwart der Vorstellungen reproduzieren, ist eine bekannte Thatsache, deren Erörterung jedoch nicht hieher, sondern in die empirische Psychologie gehört. Da nun aber, ungeachtet dieser Flüchtigkeit und dieser Vereinzelung der Vorstellungen, in Hinsicht auf ihre unmittelbare Gegenwart im Bewußtsein des Subjekts, diesem dennoch die Vorstellung von einem Alles begreifenden Komplex der Realität, wie ich diesen oben beschrieben, durch die Funktion des Verstandes, bleibt; so hat man, in Hinsicht auf diesen Gegensatz, die Vorstellungen, sofern sie zu jenem Komplex gehören, für etwas ganz anderes gehalten, als sofern sie dem Bewußtsein unmittelbar gegenwärtig sind, und in jener Eigenschaft sie reale Dinge, in dieser aber allein Vorstellungen kat'exochên genannt. Diese Auffassung der Sache, welche die gemeine ist, heißt bekanntlich Realismus. Ihr hat sich, mit dem Eintritte der neueren Philosophie, der Idealismus entgegengestellt und immer mehr Feld gewonnen. Zuerst durch Malebranche und Berkeley vertreten, wurde er durch Kant zum transzendentalen Idealismus potenziert, welcher das Zusammenbestehen der empirischen Realität der Dinge mit der transzendentalen Idealität derselben begreiflich macht, und dem gemäß Kant, in der Kritik der reinen Vernunft, sich unter Anderem so ausspricht: »Ich verstehe unter dem transzendentalen Idealismus aller Erscheinungen den Lehrbegriff, nach welchem wir sie insgesammt als bloße Vorstellungen, und nicht als Dinge an sich selbst ansehn.« Weiterhin in der Anmerkung: »Der Raum ist selbst nichts Anderes, als Vorstellung; folglich, was in ihm ist, muß in der Vorstellung enthalten sein, und im Raum ist gar nichts, außer sofern es in ihm wirklich vorgestellt wird.« (Kritik des 4. Paralogismus der transz. Psychol. S. 369 und 375 der ersten Aufl.) Endlich in der diesem Kapitel angehängten »Betrachtung« heißt es: »Wenn ich das denkende Subjekt wegnehme, muß die ganze Körperwelt wegfallen, als die nichts ist, als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unsers Subjekts, und eine Art Vorstellungen desselben.« In Indien ist, sowohl im Brahmanismus, als im Buddhaismus, der Idealismus sogar Lehre der Volksreligion: bloß in Europa ist er, in Folge der wesentlich und unumgänglich realistischen jüdischen Grundansicht, paradox. Der Realismus übersieht aber, dass das sogenannte Sein dieser realen Dinge doch durchaus nichts Anderes ist, als ein Vorgestelltwerden, oder, wenn man darauf besteht, nur die unmittelbare Gegenwart im Bewußtsein des Subjekts ein Vorgestelltwerden kat'entelecheian zu nennen, gar nur ein Vorgestelltwerdenkönnen kata dynamin: er übersieht, dass das Objekt außerhalb seiner Beziehung auf das Subjekt nicht mehr Objekt bleibt, und dass, wenn man ihm diese nimmt oder davon abstrahirt, sofort auch alle objektive Existenz aufgehoben ist. Leibniz, der das Bedingtsein des Objekts durch das Subjekt wohl fühlte, jedoch sich von dem Gedanken eines Seins an sich der Objekte, unabhängig von ihrer Beziehung auf das Subjekt, d.h. vom Vorgestelltwerden, nicht frei machen konnte, nahm zuvörderst eine der Welt der Vorstellung genau gleiche und ihr parallel laufende Welt der Objekte an sich an, die aber mit jener nicht direkt, sondern nur äußerlich, mittelst einer harmonia praestabilita, verbunden war; — augenscheinlich das Überflüssigste auf der Welt, da sie selbst nie in die Wahrnehmung fällt und die ihr ganz gleiche Welt in der Vorstellung auch ohne sie ihren Gang geht. Als er nun aber wieder das Wesen der an sich selbst objektiv existierenden Dinge näher bestimmen wollte, gerieth er in die Notwendigkeit, die Objekte an sich selbst für Subjekte (monades) zu erklären, und gab eben dadurch den sprechendesten Beweis davon, dass unser Bewußtsein, soweit es ein bloß erkennendes ist, also innerhalb der Schranken des Intellekts, d.h. des Apparats zur Welt der Vorstellung, eben nichts weiter finden kann, als Subjekt und Objekt, Vorstellendes und Vorstellung, und wir daher, wenn wir vom Objektsein (Vorgestelltwerden) eines Objekts abstrahirt, d.h. als solches es aufgehoben haben, und dennoch etwas setzen wollen, auf gar nichts geraten können, als das Subjekt. Wollen wir aber umgekehrt vom Subjektsein des Subjekts abstrahiren und dennoch nicht nichts übrig behalten, so tritt der umgekehrte Fall ein, der sich zum Materialismus entwickelt.

Spinoza, der mit der Sache nicht aufs Reine und daher nicht zu deutlichen Begriffen gekommen war, hatte dennoch die notwendige Beziehung zwischen Objekt und Subjekt, als eine ihnen so wesentliche, dass sie durchaus Bedingung ihrer Denkbarkeit ist, sehr wohl verstanden und sie deshalb als eine Identität des Erkennenden und Ausgedehnten in der allein existierenden Substanz dargestellt.

Anmerk. Ich bemerke bei Gelegenheit der Haupterörterung dieses Paragraphen, dass, wenn ich, im Fortgange der Abhandlung, mich, der Kürze und leichtern Faßlichkeit halber, des Ausdrucks reale Objekte bedienen werde, darunter nichts Anderes zu verstehen ist, als eben die anschaulichen, zum Komplex der an sich selbst stets ideal bleibenden empirischen Realität verknüpften Vorstellungen.

 

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*) Vergl. Kritik der reinen Vernunft, Elementarlehre Abschn. II, Schlüsse a. d. Begr., b und c. Der ersten Aufl. S. 33; der 5. S. 49.


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