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Nachwirkung der ältesten Religiosität

127.

Nachwirkung der ältesten Religiosität. — Jeder Gedankenlose meint, der Wille sei das allein Wirkende; Wollen sei etwas Einfaches, schlechthin Gegebenes, Unableitbares, An-sich-Verständliches. Er ist überzeugt, wenn er Etwas tut, zum Beispiel einen Schlag ausführt, er sei es, der da schlage, und er habe geschlagen, weil er schlagen wollte. Er merkt gar Nichts von einem Problem daran, sondern das Gefühl des Willens genügt ihm, nicht nur zur Annahme von Ursache und Wirkung, sondern auch zum Glauben, ihr Verhältnis zu verstehen. Von dem Mechanismus des Geschehens und der hundertfältigen feinen Arbeit, die abgetan werden muss, damit es zu dem Schlage komme, ebenso von der Unfähigkeit des Willens an sich, auch nur den geringsten Teil dieser Arbeit zu tun, weiß er Nichts. Der Wille ist ihm eine magisch wirkende Kraft: der Glaube an den Willen, als an die Ursache von Wirkungen, ist der Glaube an magisch wirkende Kräfte. Nun hat ursprünglich der Mensch überall, wo er ein Geschehen sah, einen Willen als Ursache und persönlich wollende Wesen im Hintergrunde wirkend geglaubt, — der Begriff der Mechanik lag ihm ganz ferne. Weil aber der Mensch ungeheure Zeiten lang nur an Personen geglaubt hat (und nicht an Stoffe, Kräfte, Sachen und so weiter), ist ihm der Glaube an Ursache und Wirkung zum Grundglauben geworden, den er überall, wo Etwas geschieht, verwendet, — auch jetzt noch instinktiv und als ein Stück Atavismus ältester Abkunft. Die Sätze „keine Wirkung ohne Ursache“, „jede Wirkung wieder Ursache“ erscheinen als Verallgemeinerungen viel engerer Sätze: „wo gewirkt wird, da ist gewollt worden“, „es kann nur auf wollende Wesen gewirkt werden“, „es gibt nie ein reines, folgenloses Erleiden einer Wirkung, sondern alles Erleiden ist eine Erregung des Willens“ (zur Tat, Abwehr, Rache, Vergeltung), — aber in den Urzeiten der Menschheit waren diese und jene Sätze identisch, die ersten nicht Verallgemeinerungen der zweiten, sondern die zweiten Erläuterungen der ersten. — Schopenhauer, mit seiner Annahme, dass Alles, was da sei, nur etwas Wollendes sei, hat eine uralte Mythologie auf den Thron gehoben; er scheint nie eine Analyse des Willens versucht zu haben, weil er an die Einfachheit und Unmittelbarkeit alles Wollens glaubte, gleich Jedermann: — während Wollen nur ein so gut eingespielter Mechanismus ist dass er dem beobachtenden Auge fast entläuft. Ihm gegenüber stelle ich diese Sätze auf. erstens, damit Wille entstehe, ist eine Vorstellung von Lust und Unlust nötig. Zweitens: dass ein heftiger Reiz als Lust oder Unlust empfunden werde, das ist die Sache des interpretierenden Intellekts, der freilich zumeist dabei uns unbewusst arbeitet; und ein und derselbe Reiz kann als Lust oder Unlust interpretiert werden. Drittens: nur bei den intellektuellen Wesen gibt es Lust, Unlust und Wille; die ungeheure Mehrzahl der Organismen hat Nichts davon.