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Der Wert des Gebetes

128.

Der Wert des Gebetes. — Das Gebet ist für solche Menschen erfunden, welche eigentlich nie von sich aus Gedanken haben und denen eine Erhebung der Seele unbekannt ist oder unbemerkt verläuft: was sollen Diese an heiligen Stätten und in allen wichtigen Lagen des Lebens, welche Ruhe und eine Art Würde erfordern? Damit sie wenigstens nicht stören, hat die Weisheit aller Religionsstifter, der kleinen wie der großen, ihnen die Formel des Gebetes anbefohlen, als eine lange mechanische Arbeit der Lippen, verbunden mit Anstrengung des Gedächtnisses und mit einer gleichen festgesetzten Haltung von Händen und Füßen und Augen! Da mögen sie nun gleich den Tibetanern ihr „om mane padme hum“ unzählige Male wiederkäuen, oder, wie in Benares, den Namen des Gottes Ram-Ram-Ram (und so weiter mit oder ohne Grazie) an den Fingern abzählen: oder den Wischnu mit seinen tausend, den Allah mit seinen neunundneunzig Anrufnamen ehren: oder sie mögen sich der Gebetmühlen und der Rosenkränze bedienen, — die Hauptsache ist, dass sie mit dieser Arbeit für eine Zeit festgemacht sind und einen erträglichen Anblick gewähren: ihre Art Gebet ist zum Vorteil der Frommen erfunden, welche Gedanken und Erhebungen von sich aus kennen. Und selbst Diese haben ihre müden Stunden, wo ihnen eine Reihe ehrwürdiger Worte und Klänge und eine fromme Mechanik wohltut. Aber angenommen, dass diese seltenen Menschen — in jeder Religion ist der religiöse Mensch eine Ausnahme — sich zu helfen wissen: jene Armen im Geiste wissen sich nicht zu helfen, und ihnen das Gebets-Geklapper verbieten heißt ihnen ihre Religion nehmen: wie es der Protestantismus mehr und mehr an den Tag bringt. Die Religion will von Solchen eben nicht mehr, als dass sie Ruhe halten, mit Augen, Händen, Beinen und Organen aller Art: dadurch werden sie zeitweilig verschönert und — menschenähnlicher!