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Einleitung

Unmöglichkeit der Psychologie

Eine Wissenschaft vom menschlichen Leibe ist ebensogut möglich wie eine Wissenschaft vom Leben der Pflanze, weil der fremde nicht nur, sondern auch der eigene menschliche Körper der Beobachtung zugänglich ist, wie alle Wirklichkeitswelt. Den fremden wie den eigenen Leib kann man sehen und hören, riechen und tasten und schmecken. Weil sich aber unsere Sinnesorgane nicht nach innen wenden lassen, weil wir keine Sinnesorgane für unsere "Seele" haben, darum wird es niemals eine Wissenschaft von der Seele geben können, darum bestrebt sich die neuere Psychologie physiologisch zu werden. Physiologie kann aber niemals Psychologie sein. Was immer Du Bois-Reymond in seiner unbewußten Rhetorik und Scholastik über die Grenzen des Erkennens und über die Welträtsel geredet hat, das ließe sich in diesem einen Satze zusammenfassen, daß Physik nicht Physiologie, Physiologie nicht Psychologie werden kann. Der Grund liegt aber nicht in mystischen Dingen, sondern im Wesen der Sprache, welche ein Werkzeug ist zum Verstehen der Außenwelt und darum ungeeignet zu Urteilen über die Innenwelt. Ich muß es öfter als dreimal sagen: Die Sprache ist wesentlich materialistisch, sensualistisch, die Welt aber ist nur für die Zufallssinne des Menschen sinnlich, die Welt an sich ist für die Sinne und ihre, arme Sprache nicht faßbar. Und gar die Welt des inneren Erlebens, die psychische Welt! Also auch das noch einmal: Psychologie der Sprache will ich geben und habe keine Sprache der Psychologie, nicht distinkt für mich, noch weniger gemeinsam mit dem Leser.

Es ist nichts im menschlichen Verstande oder in der Sprache, was nicht vorher in den Sinnen gewesen ist; und die Sinne, wie gesagt, blicken nicht nach innen. Es gibt kein Wort der Sprache, welches nicht aus Beobachtungen der Körperwelt, zu denen auch der eigene Leib und seine Erlebnisse gehören, entstanden wäre. Hat sich die Bedeutung eines Wortes noch so sehr gewandelt, hat sich ein Begriff noch so sehr sublimiert, zuletzt muß die Auflösung der durch ihn ausgedrückten Metapher doch auf Körperliches zurückführen; und so ist es immer Selbsttäuschung, wenn wir mit den Worten unserer Sprache von Physik und Chemie zu Biologie, von physiologischen Beobachtungen zu psychologischen fortzuschreiten glauben. Es gibt keine Psychologie, weil wir für innere Vorgänge keine wissenschaftliche Terminologie besitzen. Erst aus einer Kritik der Sprache könnten vielleicht einige Anfangsgründe einer künftigen Psychologie entstehen. Die Versuche einer physiologischen Psychologie sind nichts weiter als der Beginn der unbewußten Einsicht in die Unmöglichkeit der Psychologie. Weil die Sprache vom Körperlichen ausging und am Körperlichen haftet, mußte ein verhältnismäßig richtiger Sprachgebrauch zu einer Abkehr von der alten Psychologie zwingen. Diese Negation des vermeintlichen Wissens von der Seele mußte materialistisch auftreten; in der Negation ist der Materialismus, trotz seines rohen Wortaberglaubens, fast immer brauchbar gewesen. Wie ein grober Keil. Wäre die sensualistische Sprache im stände, Welterkenntnis auszudrücken, so könnte die Welterkenntnis nicht anders als materialistisch ausfallen. Die Sprache ist aber unfähig zur Welterkenntnis, weil der Materialismus nichts erklärt.

Man achte nur einmal darauf, wie die Bezeichnungen der Psychologie fast ausschließlich von Gesichtswahrnehmungen hergenommen sind, weil das Gesicht uns die reichsten Daten für eine Welterkenntnis bietet. So nennt man die Erinnerungen an Wahrnehmungen oder richtiger die Tatsachen unseres Seelenlebens seit zwei Jahrtausenden "Bilder". Von Platon bis Taine handelt alle Psychologie von diesen Bildern. Wir haben nur vergessen, daß idea ein Bild, eine Gestalt bedeutete, und daß die Metapher des Bildes irgendwie mitverstanden wird, wenn wir es in allen philosophisch eingeschulten Sprachen, mehr oder weniger verblaßt, für die Urbilder der Dinge oder für ihre Urformen, dann für die Zielformen des Denkens oder Handelns, endlich (in der Umgangssprache) für allgemeine Erinnerungen gebrauchen. Seltsam genug, daß der Bedeutungswandel, der idea zu solchen Ehren führte, das ziemlich gleichbedeutende Leiche (englisch like) hier zum Namen für den toten Körper, dort (—lich) zu einer tonlosen Endsilbe herabsinken ließ. Ich glaube, daß das indische maya beide Entwicklungen zugleich durchgemacht hat; es gibt ein maya = Idee, es gibt ein maya = der Formsilbe — lich. Es ist aber offenbar, daß wir bei diesen "Bildern", sobald von Gesichtswahrnehmungen die Rede ist, Außen- und Innenwelt gar nicht unterscheiden, und daß wir uns überhaupt nichts mehr bei dem Begriffe Bild denken können, sobald von Wahrnehmungen des Geruchs, des Geschmacks u. s. w. die Rede ist. Das hat schon der gesunde Menschenverstand Reids erkannt. Wir sind aber an den Gebrauch des Wortes so sehr gewöhnt, daß wir hilflos werden, wenn wir, wie eben geschehen, mit anderen Ausdrücken sehen wollen, was diese Bilder sind.

Es wird unsere Skepsis, und insbesondere unsere Meinung von dem Werte der Sprache nicht überraschen, daß auch diese Einsicht wieder nur die halbe Wahrheit sagt, und durch ihr Gegenteil aufgehoben, ergänzt oder begriffen werden muß, wie man will. Die Sprache ist — im naiven Gebrauch — durchaus materialistisch und zwingt die Menschheit auf materialistische Bahnen. Ganz gewiß. Weil aber jeder, auch der simpelsten Welterkenntnis, zuletzt auch der einfachsten Wirklichkeitswahrnehmung der Ursachbegriff zu Grunde liegt, insofern nämlich selbst die Empfindung eines roten Farbenflecks erst dadurch zu einer Wahrnehmung wird, daß der Mensch mit der inneren Empfindung die Hypothese einer äußeren Ursache verknüpft: darum ist zuletzt auch der einfachste Begriff anthropomorphisch, geistig, psychisch. Nicht erst Schopenhauer hat darauf hingewiesen, daß wir den mechanischen Stoß der Körper um nichts besser verstehen, als die Motivation unseres Willens durch Gedanken. Schon Locke hat das deutlich ausgesprochen, am schärfsten in der Überschrift des § 28 Buch 2, Kapitel 23: "Die Mitteilung der Bewegung durch Stoß oder durch Denken ist also unbegreiflich." So konnte eine spiritualistische Psychologie die materialistische, sensualistische Sprache leicht in ihren Dienst zwingen, konnte aus den "Ideen", den Bildern von inneren Erlebnissen, eine idealistische, eine dualistische oder auch eine panpsychistische Weltanschauung aufbauen. Ideen sind gefällig, weil sie Worte sind.

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