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Was wäre, wenn … ?

Posito, gesetzt den Fall – also nehmen wir einmal an, der Krieg wäre glücklich ausgegangen – durch irgendeinen wahnsinnigen Zufall wäre er glücklich ausgegangen, die Soldaten wären heimgezogen, man hätte sie noch monatelang in den Kasernen zurückgehalten (so war das geplant) – und Kaiser Wilhelm II. hätte, nach all dem Rummel, sagen wir im Alter von 65 Jahren, das Zeitliche gesegnet. Und der Kronprinz wäre auf den Thron gekommen – –

Mein Gott, was hätte es da alles gegeben! Kronprinzen sind immer ein unbeschriebenes Blatt, aber dieser wäre nicht schlecht voll geschrieben worden! Die Professoren, die ja alles beweisen können, denn das haben sie gelernt, die Professoren, sage ich, hätten bewiesen, dass Deutschland gar keinen geeigneteren, keinen tüchtigeren, keinen besseren Fürsten hätte haben können als diesen jungen Mann. Die Rätseldeuter wären aufgestanden und hätten gesagt: aus dem Umgang des jungen Herrschers mit den besten Sportsleuten der Gegenwart folgere, dass er alles zur Ertüchtigung der deutschen Jugend zu tun gedenke, und das sei ein großer Vorteil für Deutschland, denn es käme weniger auf Männer als auf Rekruten an; und, hin, her, was gilt die Wette? Der Mann wäre in der allerkürzesten Zeit außerordentlich populär gewesen. Das flotte Leben als Student, das nichtssagende Gesicht eines Tennisspielers der guten Gesellschaft, die gute Figur, ein paar Gerüchte über kleine Mädchengeschichten aus Bonn und aus Charleroi, die vielen Söhne (man bedenke, welch herrlicher Coupletstoff hier verloren gegangen ist) – kurz: er wäre der Mann der Straße gewesen! Sie hätten ihm zugejubelt, man hätte den staunenden Ausländer gefragt: »Nicht wahr, Sie sind kolossal neidisch auf unseren Kaiser? Ja, den macht uns keiner nach!« – und alle Monarchisten hätten gestrahlt, denn sie hatten es ja gleich gesagt …

Es ist nun um ein weniges anders gekommen. Die wilde Begeisterung, die in gewissen Männerbusen immer bereit wohnet, verkümmert zusehends, weil kein Zollernsproß da ist, den man feiern kann – armer Busen! Aber dazu kommt ein anderes.

Derselbe junge Herr, der sicherlich, wäre er Kaiser geworden, über alle Maßen erhoben worden wäre, ist in eine Lage gekommen, die den ganzen Mann erweist: nämlich ins Unglück. Da konnte einer zeigen, was er wirklich ist, da konnte einer männlich schweigen, konnte dem Schicksal die Stirn bieten und sagen: »Ich gehe unter. Aber in Ehren!«

Statt dessen erleben wir ein unsagbar klägliches Schauspiel. Der Draufgänger, der gegen unbeliebte Zeitungen glorreich Attacken ritt (bei Langemarck starben seinerzeit mehr die Bürgerlichen … ), kraucht heute bei den ausländischen Reportern herum und bittet um gutes Wetter. Er sei es nicht gewesen, er habe Papa gleich … Papa! Wie herzig das klingt! Ludendorff sei derjenige, welcher..

Die Wahrheit kommt oft spät. Aber diese eine Wahrheit sollte für uns nicht zu spät kommen: der Führer eines Volkes darf nicht vom lächerlichen Zufall spendiert, sondern er muß auserwählt werden. Diesen da hätte uns beinahe Fortuna, die launische Göttin, auf den Thron gesetzt, behängt mit allem Ornat eines veralteten Berufs. Er hat sich nun splitternackt ausgezogen: ein dünnes, jämmerliches Figürchen. Was wäre gewesen, wenn … ? Nicht auszudenken.

Seien wir froh, dass uns wenigstens das erspart geblieben ist, einen Mann auf dem deutschen Kaiserthron gehabt zu haben, der keine Fehler des Charakters aufwies, weil er keinen hatte.

Ignaz Wrobel
Berliner Volkszeitung, 23.04.1919.