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Nicht wahr?

Die deutsche Umgangssprache ist in den letzten Jahren arg heruntergekommen. Das läßt sich vor allem daran beobachten, dass kaum einer mehr fähig ist, ohne die nichtssagenden Floskeln auszukommen, die jede Rede verunzieren.

Sehn Sie mal, der Berliner, ich meine, der hat das offenbar vom Hamburger übernommen, nicht wahr? Ich meine, das ist eine große Unsitte. »Sehn Sie mal, ich habe doch eine achtundzwanzigjährige Nichte, nicht? Und die ist doch taubstumm, nicht?« –

Durch diese Flickwörter bekommt die deutsche Umgangssprache etwas Unsicheres, Tastendes, Zaghaftes. Die Sätze verhallen, wie wenn einer alles mit drei Punkten am Schluß sprechen würde … nicht? Ja, es gilt geradezu als unfein und wenig höflich, einfach zu sagen, was man will. »Geben Sie mir, bitte, die Streichhölzer!« – das ist eine ausgemachte Grobheit. »Geben Sie mir doch mal, bitte, eben die Streichhölzer rüber!« muß es heißen.

Ach, dieses »doch!« – Sie flicken es überall ein, und es bedeutet einmal das lateinische inter omnes constat, unser deutsches »bekanntlich«. Dann aber wird durch die vielen Dochs die Sprache auch rechthaberisch und ganz egozentrisch. »Geh doch da weg!« – »Schreib doch mal an Tante Amalia!« – »Wir wohnen doch schon lange da!« –

Niemand denkt sich mehr etwas dabei, wenn er so daherplappert, und man kann die Flickwörter alle fortlassen, ohne dass der Sinn des Satzes etwa verlorenginge. Man muß einmal mit angehört haben, wieviel Sätze der Nord- und Mitteldeutsche braucht, um auszudrücken, dass ihm etwas zu teuer ist. Ich dachte früher immer, dazu genüge einer: »Das ist mir zu teuer.« Jawohl! So, wie andre Leute in Begriffen denken, so denkt der Deutsche in ganzen Sätzen, die ihm sektionsweise aus dem Munde kullern. Etwa so:

»Was? Drei Mark und achtzig? Das ist ja unerhört, was Sie für Preise verlangen! Drei Mark und achtzig? Vor einem halben Jahr hat es noch zwei Mark und fünfundsiebzig gekostet! Aber da überteuern Sie die Leute, das ist ja der reine Wucher ist das! Ich meine, ich bin doch hier in einem bessern Geschäft, ich meine, da könnte man doch andre Preise verlangen, nicht?« –

Singts und bezahlt. Der Tonfall aber der neuen deutschen Umgangssprache, den du überall erlauschst, klingt nicht lieblich vor deinen Ohren, und voller Sehnsucht flüchtest du dich zu den alten deutschen Meistern edler Prosa und fragst dich verwundert, ob denn früher die Leute auch so gesprochen haben.

Denn, sehn Sie mal, ich meine, nicht wahr, das ist doch nicht … wie?

Theobald Tiger
Berliner Tageblatt, 12.07.1919, Nr. 316, S. 2.