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Der Krieg ohne Namen

Frühere große Zeiten hatten so schöne Namen, die wir schwitzend in der Schule lernen mußten. Da gab es einen Siebenjährigen Krieg, und einen Kartoffelkrieg, und einen Bayerischen Erbfolgekrieg – wer dessen Vorgeschichte aufsagen konnte, war bei unserm Geschichtslehrer, dem Rotbart, fein heraus – und einen Spanischen Erbfolgekrieg und einen Freiheitskrieg – und viele schöne andre.

Aber wie heißt nun dieser? Ich muß ›dieser‹ sagen – denn er hat noch keinen Namen. Ich weiß ja nun nicht, ob die andern schönen Kriege ihren glorreichen Namen gleich angehängt bekommen haben, während sie noch geführt wurden – bei dem dreißigjährigen ist das zum Beispiel zweifelhaft – aber ›dieser‹ hat noch keinen. Bekommt er mal einen?

Vorläufig irrt er noch, blutig und übel, durch das Gedächtnis der Lebenden, und er hat so wenig einen Namen, wie die Sonne einen besondern Vornamen führt. Es gibt nur die eine. Und es gibt nur den einen. ›Der Krieg‹ sagen die Leute. Und man weiß schon …

»Und dann habe ich im Kriege … « – »Dann kam der Krieg.« (Berühmter Satz in Novellen.) – »Während des Krieges ist dann … … .« – Und jeder weiß merkwürdigerweise genau, welcher Krieg gemeint ist, und denkt gar nicht an den Spanischen Erbfolgekrieg und an den zweiten Türkenkrieg – sondern nur an den einen, an diesen einen …

Aber kann das so weiter gehen? Wird dieser Krieg nicht auch einmal einen Namen bekommen? Wie werden ihn unsere Enkel lernen?

Als ›Weltkrieg‹? – Da habe ich Bedenken. Denn die Propheten, die vom Prophezeien und von den Kriegen leben, weissagen uns einen baldigen schrecklichen Krieg zwischen Amerika und Japan, und ob das nicht auch eine Art Weltkrieg werden wird, steht noch sehr dahin. Also wie denn?

Also wie denn?

Ich schlage vor, wir einigen uns auf das Etikett, das man den vier Jahren angehängt hat, als man noch reklamiert und im Vollbesitze der heimischen Butter war. Als alles noch so glatt war und so einfach: die einen starben, und die anderen machten Haßgesänge. Die einen verkamen im Dreck, und die anderen lobpriesen das …

Einigen wir uns, wenn wir von diesen Jahren und von diesem Kriege sprechen, freundlich und mit fast unmerklicher Ironie das Ding so zu benamsen, wie man es damals nannte, als noch die Oberste Heeresleitung täglich ihren Kleinen Katechismus drucken ließ:

Die große Zeit.

Ignaz Wrobel
Berliner Tageblatt, 17.08.1919.