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Die Geschäftsreisenden

Die Revolutionäre der Gegenwart sind die Reaktionäre der Zukunft.

Robert Michels

In Porwischken (Ostpreußen) lebt der Besitzer Franz Kalweit. Er bewirtschaftet seine paar Morgen, hält sich sein Kleinvieh, schuftet den ganzen Tag und scheffelt das Geld. Die Stadt zahlts ja. Er läßt sich nichts abgehn. Braucht er auch nicht. »Schabber nich lang – 'n Schnaps muß sein!« – Seinen Schnaps hat er, wie er sein Fett, seine Butter und seine Milch hat. Viel Abwechslung bietet der Ort nicht – da ist das kleine Lokal von Buttgereit, wo man abends seinen Schoppen nimmt und stundenlang stumpf und stur um den runden Tisch sitzt – ein Kaiserbild glotzt von den Wänden – sonst ist das Leben leer wie ein Agrarierportemonnaie, wenn der Steuerbote kommt. Gehts hoch her, so fährt man – möglichst ohne die ›Olle‹ – nach ›Keenichsbarch‹.

Ihre Kenntnis von der Welt beziehen diese Dörfer und Landstädtchen durch das Kreisblatt. Das nimmt zwar die amtlichen Anzeigen der Republik, hat sich aber dabei eine durchaus selbständige Haltung bewahrt: es macht, so oft es erscheint, die neue Zeit madig und stellt fest, dass früher ›alles viel schöner‹ gewesen sei. Ebert ist dick, und Berlin ist weit … Und der einzige Geist, den man weit und breit findet, ist der Spiritus, der aus den Kartoffeln gebrannt wird …

In diese ländliche Stille fällt wie ein Paukenschlag der Besuch Hindenburgs. Das Dorf summt wie ein Bienenschwarm. Der Kriegerverein hält erregte Sitzungen ab. Die Feuerwehr tritt an (in Preußen kommt man nicht zusammen – in Preußen tritt man an) – die Schulkinder bilden Spalier – die Gendarmerie putzt Lederzeug und Helm. Und dann gehen, wie es in einem alten Bericht heißt, »die Allerhöchsten Herrschaften in die Kirche, um dem Höchsten zu danken«.

Kalweit strahlt. Welch ein Vorwand, einen zu heben –! Und es gibt etwas zu sehen, etwas zu begaffen, etwas zu bestaunen! Er kommt! Er kommt! Wer kommt –?

Es kommt ein Geschäftsreisender der Monarchie. Es kommt ein General, der schließlich doch den Krieg verloren hat und der so gefeiert wird, als habe er ihn gewonnen wie Foch. Ein pensionierter Beamter? Ein Privatmann?

Nein, eben nicht, obgleich ers ja ist – und hier steckt die schamlose Lüge der Deutschnationalen. Sie ziehen die Reisen dieser geschlagenen Generale so auf, als ob das die Vertreter einer legitimen Staatsform seien. Und die Republik? Die Republik zahlt Pensionen aus, sieht zu und schweigt.

Statt ihrem Vaterlande mit produktiver Arbeit auf die Beine zu helfen, reisen diese Herren seit Jahr und Tag durch die Gegend, höhnen die Republik und loben ihren kaiserlichen Deserteur, den sie wiederhaben wollen. Ich habe nie gewußt, wozu alte Uniformen gut sind. Jetzt weiß ich es. Sie lüften sie aus – und sie benutzen sie dazu, einem Volke, das in Ehrfurcht vor diesen bunten Jacken großgezogen ist, darzutun, dass der alte Knechtsgeist wiederkommen müsse und jene Zeit, wo der ›Vorgesetzte‹ den ›Untergebenen‹ ungestraft schikanieren dürfe. Und die Republik?

Im vorigen Jahre, als man in Ostpreußen den Jahrestag des Gefechtes bei Tannenberg festlich beging, bemühte man zu dieser Feier einen Konkurrenten Hindenburgs: einen Herrn, der sich hie und da Lindström nennt und sich augenblicklich sein kümmerliches Geld mit gutbezahlten Artikeln bei der englischen Presse in Pfunden verdient – da hetzt er vor Fremden gegen die eigene Heimat. Dabei hat der Mann das gar nicht nötig: denn Ludendorff bekommt von dieser Republik – und nach diesem Kapp-Putsch, an dem er teilgenommen hat – 145000 Mark Pension jährlich! Das wäre gerecht, wenn man auch geistig Kriegsbeschädigte unterstützen müßte. Aber es soll körperliche Krüppel geben, die nicht wissen, ob sie am morgigen Tag zu essen haben werden! Und die Republik?

Als die Geschäftsreise Hindenburgs nach Ostpreußen angesagt war, erließ Severing in Übereinstimmung mit dem ganzen preußischen Kabinett eine Verordnung, wonach sich die dortigen Behörden nicht an diesem Nationalistenrummel beteiligen dürften. Das war selbstverständlich. Oder haben früher vielleicht Landräte und Schulen und Regimenter demonstriert, wenn Bebel Geburtstag hatte? Der Kultusminister Boelitz schwächte den Beschluß ab: die Behörden sollten sich nur ›als solche‹ zurückhalten, und nur, ›soweit‹ die Veranstaltungen parteipolitischen Charakter trügen. Im Worteklauben ist diesen Preußen keiner über. Und nun muß man sich vorstellen, was da getrieben wird:

Paraden der Kriegervereine – Einweihung von Gedenksteinen – Abordnungen von Offizieren in einer Uniform, die zu Recht nicht mehr besteht; (als Hindenburg Swinemünde verließ, huldigten Reichswehr und Reichsmarine einem Privatmann) – Klamauk – Feste – Absperrungen und Reden, Reden, Reden. Ich möchte mal den Bauer sehen, der bei solchen Trara-Kisten den feinen Unterschied zwischen dem Landrat ›als solchem‹ und dem Landrat ›als Privatmann‹ macht! Für ihn ist das eben alles: der Staat.

Nationalistische Hohlköpfe faseln schon davon, dass dieser Rummel eine echte Volksbewegung sei. »Sie sind plötzlich eins in der Ehrfurcht vor einem Mann, der die große deutsche Vergangenheit verkörpert.« Die große deutsche Vergangenheit heißt Versailles – und der da? Einer, der noch dem ermordeten Erzberger in den Sarg nachgerufen hat, er habe ihm niemals die Hand gedrückt! Und die Republik –?

Die Republik tut nichts. Was nützen denn die Erlasse, die sich Unter den Linden sehr schön ausnehmen, wenn sich im Dorf und in der Stadt keiner darum kümmert? Der Oberpräsident Siehr in Ostpreußen ist ein ordentlicher Mann, der mit dem Kappisten Winnig nicht in einem Atem genannt werden darf – aber regiert wird das Land von dem Heimatbund des Erzreaktionärs von Gayl. Da entsteht jene Atmosphäre, in der die Helden gedeihen, die Erzberger ermordet und die erst jetzt wieder Philipp Scheidemann verletzt haben – in diesem Falle übrigens mit der einzigen ihnen zukommenden Waffe: mit der Klistierspritze. Im Gebirge tobt Bayern – an der See feiert Ostpreußen – in der Mitte herrscht die Republik: Unter den Linden.

Sie verkennt ihre Zeit. Sie weiß nicht, dass die großen Massenerlebnisse heute nur noch von der Kirche und von den nationalistischen Radaupolitikern geboten werden. Und der Deutsche braucht seiner ganzen Natur nach diese Massenballungen – er war von je ein Massenmensch, trotz und gerade wegen seiner starken Eigenbrötelei, Die tiefe Sehnsucht einsamer und still arbeitender Menschen nach diesem Massenrausch, die benutzen – die andern.

So – genau so – haben wir die Republik gewarnt, bevor sie in den Kapp-Putsch schlidderte. Die Herren ›Realpolitiker‹ wußten es besser, und als sie eines Morgens aufwachten, da fanden sie sich im Automobil auf dem Wege nach Dresden. Soll das wieder so gehen?

Gegen die Versuche uniformierter Geschäftsreisender, die Monarchie mit bemusterter Offerte (›ein kleiner Kronprinz gefällig?‹) im Lande wie sauer Bier anzubieten, gegen die damit zusammenhängenden Versuche der Studentenschaften, eine Wehrpflicht im Gewande der »körperlichen Leibesübungen« einzuführen – gegen all das gibt es ein Gegengewicht.

Dieses Gegengewicht ist die Arbeiterschaft und ein erheblicher Teil des anständigen Bürgertums, das diese Dinge bis oben hinaus hat und das seine Ruhe haben will und für das Land endlich einmal inneren Frieden – Frieden unter allen Umständen! Die Republik hats also gar nicht einmal so schwer. Wir alle, ohne Unterschied der Parteifärbung, stehen ihr zur Verfügung. Warum ruft sie uns nicht? Denn ich spreche für Millionen und aber Millionen:

Wir wollen keine neue Wehrpflicht! Wir wollen keine neuen Kasernenhöfe! Wir wollen keine neue Generalität! Wir wollen Arbeit, Stetigkeit und Frieden! Ab mit Ludendorff und Konsorten!

Und dann sehen wir uns um und fragen:

Was tut die Republik für die Republik –?

Ignaz Wrobel
Welt am Montag, 12.06.1922.