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Ein Frühling in Amerika

Man stelle sich vor, dass man zum Abendessen einen netten Bekannten erwartet, der grade aus Amerika zurückgekehrt ist. Er kommt, es wird gegessen, und nachher sitzen alle in der kleinen Kaffee-Ecke des Wohnzimmers zusammen, man streckt behaglich die Beine aus und sagt: »Na, alter Junge – nun erzähle mal!« Und er erzählt.

Das ist so ungefähr der Eindruck, den das Büchlein Roda Rodas: ›Ein Frühling in Amerika‹ macht (erschienen bei Gunther Langes in München).

Die deutschen Reiseberichte aus der Zeit nach dem Kriege haben ja ein erstaunlich tiefes Niveau. Was vor allem immer wieder auffällt, ist der unangenehm lässige Ton, der so etwa besagen soll: Gott, ich bin ein weltmännisch erfahrener Mann, ihr Kaffern zu Hause wißt das natürlich alles nicht. Durchsetzt von ganz dummen Vergleichen mit dem Spittelmarkt, enthüllen diese Berichte meist auf das peinlichste die Seele des Reisenden, aber niemals die Seele des Landes, und was der kleine Moritz alles anstellt, wenn er in einem Hotel warmes Wasser vorfindet, das ist gar nicht zu sagen. So reisen wie Arthur Holitscher kann ja bei uns überhaupt niemand, und mit Geschmack und Takt und vor allem mit Kenntnissen berichten – das können nur wenige. Roda Roda kann es.

Mit Ausnahme eines einzigen Kapitels (der Schilderung eines Abendempfanges bei einem reichen Mann) ist das ganze Büchlein in einem so leichten, so harmlosen, so angenehmen Ton geschrieben, dass man es hintereinander mit Interesse zu Ende liest. Ob Roda Rodas Eindrücke alle ›richtig‹ sind, steht dahin. Es sind eben die Eindrücke eines klugen, offenäugigen und gebildeten Mannes, der durch Amerika hindurchgereist ist – so kann man ein Land nicht ausschöpfen, und das hat er ja auch gar nicht gewollt. Aber diese Eindrücke sind wahrhaftig und posenlos – und das ist viel wert. Man erfährt das, wonach jeder von uns fragen würde: Lebensstandard, das tägliche Leben des Mittelstandes, Löhne und Vergnügungen, Literatur und Theater, Schule und Handel – kurz: Das, was man gern wissen möchte, wenn man jahrelang so eingeschlossen war und, in geistiger Beziehung, auch noch ist. (Denn Italien ist noch nicht die Welt.) Und am besten hat mir die bescheidene Bemerkung gefallen, die am Schluß des Buches zu finden ist: »Ich bedaure, nicht zwanzig Jahre früher hergekommen zu sein, den Planeten Erde nicht schon mit jungen Augen von der andern Seite kennengelernt zu haben – eh ich meine Werke schrieb. Und kann nur jedem deutschen Dichter raten, das Experiment so bald wie möglich anzustellen. Hier erst wird er gewahr werden des Sterblichen, Örtlichgebundenen, Engen in seiner und seiner Zeitgenossen Begriffswelt.«

Und wieder ist aus diesem Buch zu lernen, dass nicht unsre Antworten auf viele Probleme falsch sind, sondern vor allem unsre Fragen. Kultur oder Unkultur – das ist eine europäische Frage. Drüben gilt andres. Und was vor allem gar nichts gilt, das ist deutsche Politik. Die Lektüre dieses kleinen Buches ist sehr nützlich; es ist geeignet, die jämmerliche Monomanie und die egozentrische Weltbetrachtung unsrer Leute vielleicht, unter Umständen, ein bißchen, von Herzen, mit Schmerzen, ein klein wenig zu heilen. Oder gar nicht. Denn sie scheint unheilbar.

Peter Panter
Die Weltbühne, 13.03.1924, Nr. 11, S. 350.