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Fratzen an den Mauern

Ihr schimpft immer so über die Kubisten – aber geht doch einmal durch Berlin! Da werdet ihr euer blaues Wunder erleben, was euch da alles von den Häuserwänden entgegengrinst! Ich kannte einen alten Feldwebel, der war die Ruhe selbst. Und wenn sich unser Kommandeur so recht ausgeschrien hatte, so ganz und gar stockheiser war vor lauter Wut und Eifer, und die Tür war hinter ihm zugeknallt, dann sagte der Weibel, still und verwundert: »Was er nur hat?« – Daran muß ich denken, wenn ich diese Plakate sehe.

Da schleichen schauerliche Gespenster mit Affenarmen einher, im Maul halten sie zwei Säbel und eine kleine Kanone, mit dem linken Hinterfuß ermorden sie eine fünfköpfige Beamtenfamilie, mit dem rechten zertreten sie zwei Regierungsbezirke, dass die Flammen nur so herausschlagen … Da sitzen Kinder auf Särgen herum, weil kein Stuhl da ist; wilde Tatarenfratzen sehen dich böse an, weil du morgen abend um acht Uhr nicht in einen Vortrag gehen willst, und grauenhaft geschwungene Mordmesser sind noch das mindeste … Was er nur hat?

Die Liga zur Abwehr des Bolschewismus und andere zu lobpreisende Organisationen bekleben seit Wochen die Mauern Berlins mit diesen scheußlichen Zetteln, aber ich glaube nicht, dass das irgendeinen Sinn und Verstand hat. Der Bolschewismus ist kein Bürgerbubu, den man an die Wand malt, um den kleinen Kindern angst zu machen. Diese unselige Stimmungsmache stammt noch aus der Zeit der Kriegsanleihen; ich denke, der vaterländische Unterricht hat gründlich gezeigt, dass man mit der Methode, den Deutschen für ein kleines Kind zu halten, nicht weit kommt.

Der Bolschewismus ist ein wirtschaftliches, ein politisches Problem, das ernsthaft geprüft zu werden verdient – an diese Fratzen da glaubt kein Mensch. Der Gegner der Bolschewisten wird dadurch nicht geschreckt – und der Freund lacht darüber. Jetzt sind sie dabei, das alte schauerlich-schöne Gemälde »Die Jagd nach dem Glück«, eine bessere Zahnbürstenreklame, in ein Antibolschewistenplakat umzugestalten; ein Preisausschreiben ist schon in die Welt gegangen.

Wen wollt ihr überzeugen? »Die Massen … « Ja, glaubt ihr, ihr gehört nicht selbst dazu? Glaubt ihr, ihr bedürft nicht der Aufklärung? Und wer ist denn heute – nach dem widerwärtigen Feldzug des verstorbenen Kriegspresseamts – noch so dumm, an Plakate und an allerhand Allegorien zu glauben, nur, weil sie eben gedruckt und an die Mauern gepappt sind? Höchstens die Verfertiger.

Klärt die Deutschen auf, aber macht sie nicht mit Mauerfratzen kopfscheu. Hätten die Droschkenpferde Kunstverstand – sie gingen durch. Das wäre dann eine Wirkung der Plakate. Es gibt so viele schöne Dinge anzupreisen: Klaviere, Reitsessel, Schreibmaschinen, Spielklubs und Ballokale, Syndetikon und Schlagschaum und beides in einem – muß es gerade der Bolschewismus sein?

Ignaz Wrobel
Berliner Tageblatt, 29.03.1919, Nr. 137.