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Der klopfende Mann

»Europa«, steht in dem vorzüglichen Amerika-Buch von Andre Siegfried, »Europa vergeudet Menschen und spart Dinge; Amerika vergeudet die Dinge, aber spart die Menschen.« Eine Antithese besten französischen Stils: wieweit sie richtig ist, steht dahin … Nun gut. Aber da sitzt nun ein Bauer vor der Scheune und klopft, ping-pang macht es, ping-pang … Er hat sich da so eine kleine Schmiede aufgebaut, darin repariert er, was er für die Wagen und die Geschirre braucht und für die Pflüge … Jetzt klopft er sich etwas zurecht … .

Nach einer Stunde klopft er noch immer. Still und beharrlich …

Ja, lohnt denn das? Die Amerikaner lachten ihn aus – kein Amerikaner setzt sich vor eine Scheune und klopft eine Stunde lang auf einem gebogenen Stück Eisen herum. Er kauft ein neues. Oder er hat eine Maschine, die Krummes grade biegt. Und ist überhaupt ein praktischer Mensch. Ergel?

Zur Zeit sind sie in Europa dabei, eine Metaphysik der schwerfälligen Handklopferei aufzubauen. Sie fühlen den schrecklichen Leerlauf des Maschinenlebens, und nun tappen sie verschreckt zurück und suchen die verlorene Seele am Spinnstuhl, weil die Großmama, als sie dem Großvater eins spann, eine Art Seele gehabt hat. Wir auch! wir auch!

Wobei zu sagen wäre, dass der europäische Amerikanismus ein wildgewordenes Europa, aber nicht Amerika ist. Und dass man nicht umkehren kann sondern hindurch muß. Und dass der Kampf zwischen Mensch und Maschine ausgefochten werden muß bis zum Ende: bis zum Sieg des Menschen. Und dass jene leicht faschistische deutsche Bewegung, die da zu den Bauern zurückwill, aus den allerbesten und saubersten Motiven herkommt (solange das nicht die Unternehmer, wie bei Herrn Hitler, in die Finger bekommen haben), und dass Flucht keine Überwindung ist. Wieder Kerzenbeleuchtung ist noch gar nichts. Ein Elektrizitätswerk mit nicht versklavten Bergarbeitern: das erst wäre ein Sieg.

Ja, sagen sie, aber der Mann, der da klopft: der denkt sich so schöne innerliche Sachen aus; der Amerikaner ist nur standardisierter Murks. Ich weiß nicht, wie der Amerikaner ist; mein Gefühl ist gegen ihn, aber nach dem hat mich niemand gefragt. Ob aber der Kleinbauer oder der Landprolet in geduckter Dumpfheit sich gar so viel Schönes beim Klopfen ausdenkt, ja, ob er auch nur bis in Tiefen hineinfühlt, in die ihm der Kinobesucher aus der Stadt nicht folgen kann, das möchte ich bezweifeln. Der klopfende Mann an der Scheune ist der Natur örtlich näher als der Büromensch, das ist wahr. Aber welcher Natur? Einer gezähmten, einer durch die Katasterämter gegangenen, einer aufgeteilten, einer parzellierten, einer braven Natur. Von jener Natur, die Goethe in jenem schönen Stück Prosa besang – von der wird er wohl nicht viel erfühlen. Romantische Städter packen in den Klopfemann viel hinein: ihre Sehnsucht, ihren negativen Asphaltwillen, ihren Trieb, ›mal hinauszukommen‹, und zum Schluß, wenns politisch wird, ein Endchen Faschismus.

Und was täte der Bauer, wenn er nicht klopfte? Und wem wird die mechanisierte Arbeit aufgebürdet? Und wer klopft dann?

Soziallyrik ist keine soziale Revolution.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 09.09.1930, Nr. 37, S. 419.