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Satz vom ausgeschlossenen Dritten

3. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Dieses oberste Denkgesetz will besagen, dass von zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzten Urteilen eines wahr sein müsse. Er ist also eine Umkehrung des Satzes vom Widerspruch. Wir hatten gelernt, dass die Wahrheit des einen Urteils die Falschheit des anderen beweise; jetzt erfahren wir dazu, dass aus der Falschheit des einen Satzes die Wahrheit des anderen folge.

Der von uns eben gewonnene Standpunkt, die Überzeugung von der Nichtigkeit des Negationsbegriffs, wird uns dieses oberste Denkgesetz rasch abfertigen lassen. Vorher aber wird es gut sein, an einem Beispiel zu zeigen, wie wenig sich wirkliches Denken oder Sprechen um dieses logische Grundgesetz kümmere.

Der Naturforscher entdeckt unter dem Mikroskop einen Organismus, der ihm bald unter die Definition des Tieres, bald unter die der Pflanze zu fallen scheint. Nach dem Satze vom Widerspruch dürfte der Forscher nicht zugleich sagen dürfen: diese Amöbe z. B. ist ein Tier, ist eine Pflanze. Er sagte es aber. Und nach dem Grundsatz vom ausgeschlossenen Dritten müßte er sagen: diese Amöbe gehört ohne Gnade entweder zum Tierreich oder zum Pflanzenreich. Das sagt er aber nicht, wenn er nur Haeckel ist, sondern kommt mehr oder weniger klar zu der Überzeugung, dass Tier und Pflanze nur fließende, konträre Gegensätze sind, dass es ein Drittes zwischen ihnen gibt, wenn die Sprache das auch bisher noch nicht gewußt hat. Er wird also infolge dieser Erkenntnis oder Beobachtung für dieses Dritte einen neuen Begriff, ein neues Wort erfinden und über, unter oder zwischen dem Tier- und Pflanzenreich ein neues Reich aufstellen, das der Protisten. Damit werden sich die obersten Denkgesetze wieder eine Weile beruhigen, bis zur nächsten sprachschöpferischen Beobachtung.

Der Logiker hat unrecht, der mir hier einwirft, Tier und Pflanze seien auch für ihn nur konträre Gegensätze gewesen. Das ist nicht wahr. Von Aristoteles bis Haeckel umfaßte der obere Begriff Organismus nur die Tiere und die Nicht-Tiere. Solange man überhaupt seine Aufmerksamkeit auf die Organismen der Erde richtete, solange fiel der kontradiktorische Gegensatz Tier und Nicht-Tier mit dem konträren Gegensatz Tier und Pflanze zusammen. Oder besser: wir können an diesem Beispiel verfolgen, wie sich die natürliche Sprache gegen negative Begriffe wehrt und wie die reine Negation, das ist der kontradiktorische Gegensatz nichts ist als eine konstruktive Hilfslinie der Logik. Wir können die artikulierten Laute "Nicht-Tier" gewiß aussprechen oder dieses Wortbild aufschreiben, aber dieses logische Gegenteil von Tier ist kein Begriff, ist kein Zeichen für irgend etwas. Es ist die Unendlichkeit, also etwas Unvorstellbares, nachdem man den Begriff Tier davon abgezogen hat. Soll ich mir unter der Negation von Tier etwas denken können, so muß ich die Kontradiktion fallen lassen, so muß ich den künstlichen Begriff der Unendlichkeit vergessen und den Gegensatz unter einem weniger abstrakten Gattungsbegriff suchen; so wird der Widerspruch zum Gegenteil, das Nicht-Tier zur Pflanze. Wer mir das noch bestreitet, der wird mir vielleicht beistimmen, wenn ich unklarere Begriffe wähle. Gott und Nicht-Gott bilden eine Kontradiktion, einen logischen Widerspruch. Soll ich mir aber unter Nicht-Gott irgend etwas denken können, so muß ich für Nicht-Gott ein wirkliches Wort setzen, so muß ich Gott und Nicht-Gott unter den noch höheren Begriff des "Seienden" bringen, wo sich dann der Nicht-Gott oder die Welt als bloß konträrer Gegensatz von Gott, als sein Gegenteil herausstellen wird. Es ist das freilich nur Geschwätz, aber die Logik muß es anerkennen. Ganz ebenso steht es um den Gegensatz von Ich und Nicht-Ich in der Fichteschen Philosophie. Für unsere wirkliche Erkenntnis gibt es nur fließende, konträre Gegenteile, auf welche weder der Satz vom Widerspruch noch der vom ausgeschlossenen Dritten anwendbar ist; zum Zwecke ihrer Begriffsspielereien allein konstruierte die Logik sich einen kontradiktorischen Gegensatz, für welchen unsere Sprache kein Wort hat, unser Denken keine Vorstellung, kein Beispiel.

Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten läßt sich grammatikalisch auch so ausdrücken, dass nach ihm jedes Subjekt mit jedem Prädikat verbunden werden könne, nämlich bald bejahend, bald verneinend. Prüft man z. B. die Zusammengehörigkeit der Begriffe Mittelalter und Gelb, so wird das dritte von den obersten Denkgesetzen uns sagen lassen: das Mittelalter ist nicht gelb, besser das Mittelalter ist nichtgelb. Unser Satz führt also zu der Weisheit, dass disparate Begriffe nicht zusammengehören. Erst wenn von einem nüchternen Menschen einmal gefragt worden wäre, ob das Mittelalter gelb sei, ob die Elektrizität vierfüßig sei, erst dann hätte unser Satz einen Wert. Der Satz ist also wertlos und würde wertlos bleiben, auch wenn er wahr wäre. Wahr aber kann der Satz vom ausgeschlossenen Dritten für uns so wenig sein wie der Satz vom Widerspruch, weil er doch auf dem Gebrauch eines unrichtigen Begriffs beruht, dem vom kontradiktorischen Gegensatz. Für uns wären widersprechende Urteile doch nur Auseinanderlegungen von widersprechenden Begriffen, widersprechende Begriffe nur Erinnerungen an widersprechende Vorstellungen. Und kontradiktorisch widersprechende Vorstellungen gibt es nicht in der Wirklichkeitswelt. Weiß und schwarz sind Gegenteile, aber sie widersprechen einander nicht, sie fließen in grau zusammen. Ein Widerspruch bestünde zwischen den Vorstellungen weiß und nichtweiß. Doch die Vorstellung nicht-weiß kennen wir nicht, man wollte denn mit nicht-weiß in gezierter Weise etwa so viel sagen wie mit grau. Eine Vorstellung nicht-weiß, die logischerweise zugleich alle anderen Farben, alle nicht-weißen Gegenstände der Welt und dazu alle Abstraktionen bezeichnen müßte, eine solche Vorstellung suchen wir vergebens in unserem Gedächtnis, in unserer Sprache. Wir kommen also wieder zu einem traurigen Schluß. Soll der Satz vom ausgeschlossenen Dritten besagen, alles müsse schwarz sein, wenn es nicht weiß sei, so ist der Satz schreiend falsch. Soll aber der Satz besagen, alles müsse nicht-weiß sein, wenn es nicht weiß sei, so geht seine Albernheit über das erlaubte Maß hinaus.

Ich will auch diesmal nicht vergessen hinzuzufügen, dass man den Wahnsinnigen leicht dazu bringen kann, auch die Wahrheit des dritten obersten Denkgesetzes zuzugeben. Er wird einsehen, dass eine Suppenschüssel entweder eine Krone ist oder keine Krone ist, und wird im übrigen bei seinem Wahn bleiben.

Man hat oft versucht, die Dreieinigkeit dieser obersten Denkgesetze auf eine wirkliche Einheit zurückzuführen, und besonders Schopenhauer wird dafür gelobt, dass er (Welt a. W. u. V. II. 3) sie alle drei aus dem Dritten hervorgehen ließ. Wirklich scheint der Satz "A ist entweder B oder ist nicht B" die Formeln zu vereinfachen. Wir aber wissen, dass alle Urteile nur Tautologien sind. Wir können sie also alle auf die Formel "A ist A" zurückführen und erkennen in dieser Formel sofort, wie bettelhaft arm die drei obersten Denkgesetze sind.

Der Satz der Identität will die Tautologie "A ist A" durch die höhere Weisheit "A ist immer A" begründen; er ist also eine Tautologie in zweiter Potenz, eine Kinderei.

Der Satz vom Widerspruch klingt nach etwas, wenn man ihn besagen läßt, A müsse entweder B sein, oder es sei nicht B. Da aber alle Urteile Tautologien sind, also schließlich "A ist A" lauten, so besagt der Satz vom Widerspruch, dass A immer entweder A sei oder nicht A. Und denselben tiefsinnigen Unsinn besagt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten.

Lassen wir aber die logischen Kunststücke und anderen Spaß beiseite, betrachten wir unser Denken oder Sprechen auch auf dieser Stufe psychologisch, so werden wir freilich anstatt oberster Denkgesetze nur die Ahnung vorfinden, dass das Gefühl der Gewißheit, das wir von vielen Dingen auf der Welt haben, dass dieses unser Gefühl subjektiver Überzeugung, subjektiver Sicherheit einen objektiven Grund habe. Diese Ahnung, diese Sehnsucht nach objektiver Gewißheit ist selbst nicht Kenntnis, sondern Glaube. Das alleroberste Denkgesetz, der Satz vom zureichenden Grunde, ist ein Glaubenssatz und darum nicht faßbarer für Vorstellung und Sprache als irgendein anderer Glaubenssatz. Die eben kritisierten drei obersten Denkgesetze aber sind wie Fäden eines Spinngewebes, tauglich zum Einfangen von Fliegen, nichtssagend oder falsch, wie die drei alten Beweise für das Dasein Gottes.