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Erkenntnisgrund ist der Begriff

Sprechen wir aber von dem Grund unserer Erkenntnisse, von Erkenntnisgründen, so ist der Vorgang ein ganz anderer. Nur bildlich oder figürlich fragen wir dann nach einem Warum, denn dann handelt es sich uns einzig und allein darum, ob unser Denken oder unsere Sprache noch mit der Erscheinungswelt übereinstimmt oder nicht. Unsere Sinneseindrücke sind es, die die Übereinstimmung mit den Dingen selbst geben; und wir nennen unsere Vorstellungen richtig, solange unsere Sinne gesund sind. Das Gedächtnis unserer Sinneseindrücke ist die Sammlung unserer Begriffe; und wir nennen unsere Begriffe in bildlicher Sprache richtig, wenn unser Gedächtnis treu war und so gesund, dass es immer nur wirklich ähnliche Vorstellungen begrifflich zusammenfaßte. Unsere Erkenntnis nun aber besteht aus Urteilen, zu denen wir unsere Begriffe auseinanderlegen; und wenn wir an unsere Urteile den Anspruch erheben, dass sie wahr seien, das heißt mit der Wirklichkeitswelt übereinstimmen, so ist es ein recht unglückliches Bild der Sprache (wenn sie auch dieses Bild seit zweitausend Jahren ahnungslos gebraucht), diesen Anspruch oder Wunsch eine Notwendigkeit zu nennen. Es ist doch sonnenklar, dass die Richtigkeit der Begriffe nichts mit der Notwendigkeit zu tun hätte, selbst wenn diese Richtigkeit mehr als eine ungefähre wäre. Die Zeichnung eines Gegenstandes kann richtig sein; eine notwendige Beziehung zwischen Gegenstand und Zeichnung besteht nicht.

Der Sprachgebrauch ist nun ängstlich genug, den Begriff der Richtigkeit lieber auf Begriffe anzuwenden als auf Urteile; Urteile, welche mit der Wirklichkeit ungefähr übereinstimmen, nennen wir gern w a h r e Urteile, doch nur deshalb, weil wir wohl die Begriffe, aber nicht die Urteile, wohl die erläuternden Zeichnungen, nicht aber das wissenschaftliche System mit den Dingen selbst vergleichen können. Unter Richtigkeit verstehen wir die unmittelbare, unter Wahrheit die mittelbare, also dunklere Übereinstimmung mit der Erscheinungswelt, die wir die Wirklichkeit nennen.

Der uralte Irrtum der Sprache oder des Denkens besteht nun darin, der mittelbaren Wahrheit, der Ableitung von Urteilen aus Begriffen oder anderen Urteilen deshalb den Charakter der Notwendigkeit beizulegen, weil uns an der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit allein gelegen ist, weil wir die Notwendigkeit der Natur nicht aus dem Auge lassen. Die Folge der Jahreszeiten ist notwendig, unsere Erkenntnis dieser Folge ist uns nur nützlich.

Hätte das Ableiten eines Urteils aus einem anderen jemals zu einer neuen Erkenntnis geführt, so wäre an ein Verhältnis von Ursache und Wirkung zu denken; wir aber wissen, dass alles Urteilen und Schließen nur ein besonnener Rückschritt von den Begriffen auf ihre Sinneseindrücke ist, dass alles Urteilen und Schließen nur ein beschauliches Spielen und Tautologieren ist, dass man Urteile aus anderen Urteilen nicht im Ernste "ableitet", wir gelangen also zu der sicheren Überzeugung, dass das abgeleitete Urteil zu seinem Begriff oder seinen Prämissen eher noch im Verhältnis der Ursache als in dem der Wirkung steht, dass man das abgeleitete Urteil nicht einmal eine zeitliche Folge, geschweige denn eine Folgenwirkung des Begriffs oder der Prämissen nennen kann. Und so fügen wir hinzu, dass der Satz oder der Begriff, aus dem andere Sätze abgeleitet werden, nur fälschlich der Ursache ähnlich gefunden, nur fälschlich ein Grund, der Grund einer Erkenntnis, genannt werden kann. Wir leugnen damit jede Möglichkeit, durch Schlußfolgerungen im Denken fortzuschreiten, wir sprechen der Logik damit jeglichen Wert ab.