Zum Hauptinhalt springen

§ 44. Reduktion der transzendentalen Erfahrung auf die Eigenheitssphäre

Ist nun die transzendentale Konstitution und damit der transzendentale Sinn von Fremdsubjekten in Frage, und in weiterer Konsequenz in Frage eine universale Sinnesschicht, die, von ihnen ausstrahlend, allererst objektive Welt für mich möglich macht, so kann der hier fragliche Sinn von Fremdsubjekten noch nicht der von objektiven, von weltlich seienden Anderen sein. Um hier richtig vorzugehen, ist es ein erstes methodisches Erfordernis, daß wir zunächst innerhalb der transzendentalen Universalsphäre eine eigentümliche Art thematischer epoché durchführen. Wir schalten alles jetzt Fragliche vorerst aus dem thematischen Felde aus, das ist, wir sehen von allen konstitutiven Leistungen der auf fremde Subjektivität unmittelbar oder mittelbar bezogenen Intentionalität ab und umgrenzen zunächst den Gesamtzusammenhang derjenigen Intentionalität, der aktuellen und potentiellen, in der sich das Ego in seiner Eigenheit konstituiert und in der es von ihr unabtrennbare, also selbst ihrer Eigenheit zuzurechnende synthetische Einheiten konstituiert.

Die Reduktion auf meine transzendentale Eigensphäre oder mein transzendentales konkretes Ich-selbst durch Abstraktion von allem, was mir transzendentale Konstitution als Fremdes ergibt, hat hier einen ungewöhnlichen Sinn. In der natürlichen Einstellung der Weltlichkeit finde ich unterschieden und in der Form des Gegenüber: mich und die Anderen. Abstrahiere ich von den Anderen in gewöhnlichem Sinne, so bleibe ich allein zurück. Aber solche Abstraktion ist nicht radikal, solches Allein-Sein ändert noch nichts an dem natürlichen Weltsinn des Für-jedermann-Erfahrbar, der auch dem natürlich verstandenen Ich anhaftet und nicht verloren ist, wenn eine universale Pest mich allein übrig gelassen hätte. In der transzendentalen Einstellung und zugleich in der vorhin bezeichneten konstitutiven Abstraktion ist aber mein — des Meditierenden — Ego in seiner transzendentalen Eigenheit nicht das auf ein bloßes Korrelatphänomen reduzierte gewöhnliche Menschen-Ich innerhalb des Gesamtphänomens der Welt. Vielmehr handelt es sich um eine wesensmäßige Struktur der universalen Konstitution, in der das transzendentale Ego als eine objektive Welt konstituierendes dahinlebt.

Das mir als Ego spezifisch Eigene, mein konkretes Sein als Monade rein in mir selbst und für mich selbst in abgeschlossener Eigenheit, befaßt wie jede so auch die auf Fremdes gerichtete Intentionalität, nur daß zunächst aus methodischen Gründen deren synthetische Leistung (die Wirklichkeit des Fremden für mich) thematisch ausgeschaltet bleiben soll. In dieser ausgezeichneten Intentionalität konstituiert sich der neue Seinssinn, der mein monadisches Ego in seiner Selbsteigenheit überschreitet, und es konstituiert sich ein Ego nicht als Ich-selbst, sondern als sich in meinem eigenen Ich, meiner Monade spiegelndes. Aber das zweite Ego ist nicht schlechthin da und eigentlich selbstgegeben, sondern es ist als alter ego konstituiert, wobei das durch diesen Ausdruck alter ego als Moment angedeutete Ego Ich-selbst in meiner Eigenheit bin. Der Andere verweist seinem konstituierten Sinne nach auf mich selbst, der Andere ist Spiegelung meiner selbst, und doch nicht eigentlich Spiegelung; Analogon meiner selbst, und doch wieder nicht Analogon im gewöhnlichen Sinne. Ist also, und als erstes, das Ego in seiner Eigenheit umgrenzt und in seinem Bestande — nicht nur an Erlebnissen, sondern auch an von ihm konkret unabtrennbaren Geltungseinheiten — überschaut und gegliedert, so muß, daran anschließend, die Frage gestellt werden, wie mein Ego innerhalb seiner Eigenheit unter dem Titel „Fremderfahrung“ eben Fremdes konstituieren kann — also mit einem Sinne, der das Konstituierte von dem konkreten Bestande des sinnkonstituierenden konkreten Ich-selbst ausschließt, irgendwie als sein Analogon. Zunächst betrifft das irgendwelche alter ego's, dann aber alles, was von diesen her Sinnbestimmungen gewinnt, kurzum eine objektive Welt in der eigentlichen und vollen Bedeutung.

Diese Problematik wird an Verständlichkeit gewinnen, wenn wir daran gehen, die Eigenheitssphäre des Ego zu charakterisieren, bzw. die sie ergebende abstraktive epoché explizit durchzuführen. Die thematische Ausschaltung der konstitutiven Leistungen der Fremderfahrung und mit ihr aller auf Fremdes bezüglichen Bewußtseinsweisen besagt jetzt nicht bloß die phänomenologische epoché hinsichtlich der naiven Seinsgeltung des Fremden wie alles naiv geradehin für uns seienden Objektiven. Die transzendentale Einstellung ist ja immer und bleibt vorausgesetzt, der gemäß alles vordem geradehin für uns Seiende ausschließlich als Phänomen, als vermeinter und sich bewährender Sinn genommen wird, rein wie es als Korrelat der zu enthüllenden konstitutiven Systeme für uns Seinssinn gewonnen hat und gewinnt. Eben diese Enthüllung und Sinnesklärung bereiten wir jetzt durch die neuartige epoché, und des näheren auf folgende Weise vor.

Als transzendental Eingestellter versuche ich zunächst innerhalb meines transzendentalen Erfahrungshorizontes das Mir-Eigene zu umgrenzen. Es ist, sage ich mir zunächst, Nicht-Fremdes. Ich beginne damit, diesen Erfahrungshorizont von allem Fremden überhaupt abstraktiv zu befreien. Es gehört zum transzendentalen Phänomen der Welt, daß sie in einstimmiger Erfahrung geradehin gegeben ist, und so gilt es, sie überschauend darauf zu achten, wie Fremdes sinnmitbestimmend auftritt, und es, soweit es das tut, abstraktiv auszuschalten. So abstrahieren wir zunächst von dem, was Menschen und Tieren ihren spezifischen Sinn als sozusagen ich-artigen lebenden Wesen gibt, und in weiterer Folge von allen Bestimmungen der phänomenalen Welt, die in ihrem Sinne auf Andere als Ichsubjekte verweisen und sie danach voraussetzen, wie alle Kulturprädikate. Wir können dafür auch sagen, wir abstrahieren von allem Fremdgeistigen als dem, was am hier fraglichen Fremden seinen spezifischen Sinn ermöglicht. Auch der Charakter der Umweltlichkeit für jedermann, das Für-jedermann-da- und -zugänglich-Sein, Jedermann-in-Leben-und-Streben-etwas-angehen-oder-nicht-angehen-Können, der allen Objekten der phänomenalen Welt eignet und ihre Fremdheit ausmacht, ist nicht zu übersehen und ist abstraktiv auszuschließen.

Wir konstatieren dabei ein Wichtiges. In der Abstraktion verbleibt uns eine einheitlich zusammenhängende Schicht des Phänomens Welt, des transzendentalen Korrelats der kontinuierlich einstimmig fortgehenden Welterfahrung. Wir können trotz unserer Abstraktion kontinuierlich in der erfahrenden Anschauung fortgehen, ausschließlich in dieser Schicht verbleibend. Diese einheitliche Schicht ist ferner dadurch ausgezeichnet, daß sie die wesensmäßig fundierende ist, d. h. ich kann offenbar nicht das Fremde als Erfahrung haben, also nicht den Sinn objektive Welt als Erfahrungssinn haben, ohne jene Schicht in wirklicher Erfahrung zu haben, während nicht das Umgekehrte der Fall ist.

Betrachten wir das Ergebnis unserer Abstraktion näher, also das, was sie uns übrig läßt. Es scheidet sich am Phänomen der Welt, der mit objektivem Sinn erscheinenden, eine Unterschicht ab als eigenheitliche „Natur“, die wohlunterschieden bleiben muß von bloßer Natur schlechthin, also derjenigen, die das Thema des Naturforschers wird. Diese erwächst zwar auch durch Abstraktion, nämlich von allem Psychischen und von den personal entsprungenen Prädikaten der objektiven Welt. Aber was in dieser Abstraktion des Naturforschers gewonnen wird, ist eine zur objektiven Welt selbst (in transzendentaler Einstellung zum gegenständlichen Sinn „objektive Welt“) gehörige, also selbst objektive Schicht, wie denn das, wovon abstrahiert wird, seinerseits Objektives ist (objektives Psychisches, objektive Kulturprädikate usw.).

Aber in unserer Abstraktion verschwindet ja der Sinn „objektiv“ ganz und gar, der allem Weltlichen zugehört als intersubjektiv Konstituiertem, als einem für jedermann Erfahrbaren usw. So gehört zu meiner Eigenheit (als von allem Sinn fremder Subjektivität gereinigter) ein Sinn bloße Natur, der eben auch dieses Für-jedermann verloren hat, also keineswegs für eine abstraktive Schicht der Welt selbst bzw. ihres Sinnes genommen werden darf. Unter den eigentlich gefaßten Körpern dieser Natur finde ich dann in einziger Auszeichnung meinen Leib, nämlich als den einzigen, der nicht bloßer Körper ist, sondern eben Leib, das einzige Objekt innerhalb meiner abstraktiven Weltschicht, dem ich erfahrungsgemäß Empfindungsfelder zurechne, obschon in verschiedenen Zugehörigkeitsweisen (Tastempfindungsfeld, Wärme-Kälte-Feld usw.), das einzige, in dem ich unmittelbar schalte und walte, und insonderheit walte in jedem seiner Organe. Ich nehme, mit den Händen kinästhetisch tastend, mit den Augen ebenso sehend usw., wahr und kann jederzeit so wahrnehmen, wobei diese Kinästhesen der Organe im Ich tue verlaufen und meinem Ich kann unterstehen; ferner kann ich, diese Kinästhesen ins Spiel setzend, stoßen, schieben usw. und dadurch unmittelbar und dann mittelbar leiblich handeln. Ferner: Wahrnehmend tätig erfahre ich (oder kann ich erfahren) alle Natur, darunter die eigene Leiblichkeit, die darin also auf sich selbst zurückbezogen ist. Das wird dadurch möglich, daß ich jeweils mittels der einen Hand die andre, mittels einer Hand ein Auge usw. wahrnehmen kann, wobei fungierendes Organ zum Objekt und Objekt zum fungierenden Organ werden muß. Und ebenso für das allgemein mögliche ursprüngliche Behandeln der Natur und der Leiblichkeit selbst durch die Leiblichkeit, die also auch praktisch auf sich selbst bezogen ist.

Die Herausstellung meines eigenheitlich reduzierten Leibes bedeutet schon ein Stück Herausstellung des eigenheitlichen Wesens des objektiven Phänomens Ich als dieser Mensch. Wenn ich andere Menschen eigenheitlich reduziere, so gewinne ich eigenheitliche Körper, wenn ich mich reduziere als Menschen, so gewinne ich meinen Leib und meine Seele, oder mich als psychophysische Einheit, in ihr mein personales Ich, das in diesem Leib und mittels seiner in der Außenwelt wirkt, von ihr leidet, und so überhaupt vermöge der beständigen Erfahrung solcher einzigartigen Ichbezogenheiten und Lebensbezogenheiten mit dem körperlichen Leib psychophysisch einig konstituiert ist. Ist die eigenheitliche Reinigung an der Außenwelt und am Leibe und am psychophysischen Ganzen vollzogen, so habe ich meinen natürlichen Sinn eines Ich insofern verloren, als ausgeschieden bleibt jeder Sinnbezug auf ein mögliches Uns oder Wir und alle meine Weltlichkeit im natürlichen Sinne. In meiner geistigen Eigenheit bin ich aber doch identischer Ichpol meiner mannigfaltigen reinen Erlebnisse, derjenigen meiner passiven und aktiven Intentionalität, und aller von daher gestifteten und zu stiftenden Habitualitäten.

So haben wir durch diese eigentümliche abstraktive Sinnesausscheidung des Fremden eine Art „Welt“ übrig behalten, eine eigenheitlich reduzierte Natur, ihr durch den körperlichen Leib eingeordnet das psychophysische Ich mit Leib und Seele und personalem Ich, lauter Einzigartigkeiten dieser reduzierten „Welt“. Offenbar kommen darin auch vor Prädikate, die von rein diesem Ich her Bedeutung haben, wie z. B. Wert- und Werkprädikate. All das (darum die beständigen Anführungszeichen) ist also ganz und gar nichts Weltliches im natürlichen Sinn, sondern nur das ausschließlich Eigene in meiner Welterfahrung, überall durch sie Hindurchgehende und in ihr auch einheitlich anschaulich Zusammenhängende. Was wir also in diesem eigenheitlichen Weltphänomen an Gliederungen unterscheiden, ist konkret einig, wie sich auch darin zeigt, daß die raumzeitliche Form — aber die entsprechend eigenheitlich reduzierte — mit in dieses reduzierte Weltphänomen eingeht; auch also die reduzierten „Objekte“, die „Dinge“, das „psychophysische Ich“ sind außereinander. Hier aber fällt uns ein Merkwürdiges auf — eine Kette von Evidenzen, die sich doch in der Verkettung als Paradoxien anmuten. Von der Abbiendung des Fremden wird nicht betroffen das gesamte psychische Leben meiner, dieses psychophysischen Ich, darunter mein welterfahrendes Leben, also nicht meine wirklichen und möglichen Erfahrungen von Fremdem. Es gehört also in mein seelisches Sein hinein die gesamte Konstitution der für mich seienden Welt, und in weiterer Folge auch deren Scheidung in die konstitutiven Systeme, die Eigenheitliches und die Fremdes konstituieren. Ich, das reduzierte Menschen-Ich (psychophysische Ich), bin also konstituiert als Glied der Welt, mit dem mannigfaltigen Außer-mir, aber ich selbst in meiner Seele konstituiere das alles und trage es intentional in mir. Sollte sich gar zeigen lassen, daß alles als Eigenheitliches Konstituierte, also auch die reduzierte Welt, zum konkreten Wesen des konstituierenden Subjekts als unabtrennbare innere Bestimmung gehört, so fände sich in der Selbstexplikation des Ich seine eigenheitliche Welt als drinnen, und andererseits fände das Ich, geradehin seine Welt durchlaufend, sich selbst als Glied ihrer Äußerlichkeiten und schiede zwischen sich und Außenwelt.