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IV

Vom Künstler

Schöpferische Menschen können sich dem Eindruck fremder Schöpfung sperren. Darum verhalten sie sich oft zur Welt ablehnend, wenngleich sie nicht selten deren Unvollkommenheit empfinden.

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Wenn Gott sah, daß es gut war, so hat ihm der Menschenglaube zwar die Eitelkeit, aber nicht die Unsicherheit des Schöpfers zugeschrieben.

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Der Künstler lasse sich nie durch Eitelkeit zur Selbstzufriedenheit hinreißen.

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Die Kunst muß mißfallen. Der Künstler will gefallen, aber er tut nichts zu Gefallen. Die Eitelkeit des Künstlers befriedigt sich im Schaffen. Die Eitelkeit des Weibes befriedigt sich am Echo. Sie ist schöpferisch wie jene, wie das Schaffen selbst. Sie lebt im Beifall. Der Künstler, dem das Leben den Beifall von rechtswegen versagt, antizipiert ihn.

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Das Zeichen der Künstlerschaft: Für sich aus dem Selbstverständlichen ein Problem machen und die Probleme der andern entscheiden; für andere wissen und sich selbst in die Hölle zweifeln; einen Diener fragen und einem Herrn antworten.

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Die Kunst des Schreibenden läßt ihn auf dem Luftseil einer hochgespannten Periode nicht schwanken, aber sie macht ihm einen Punkt problematisch. Er mag sich des Ungewohnten vermessen; aber jede Regel löse sich ihm in ein Chaos von Zweifeln.

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Wenn ich über sie zu schreiben habe, zweifle ich an der Sonne Klarheit, von der ich überzeugt bin.

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Der Kommis sagt, ich sei eitel. In der Tat, meine Unsicherheit macht mich eitler als den Kommis seine Position.

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Die Fähigkeit, nach schneller Entscheidung zu zweifeln, ist die höchste und männlichste.

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Es gibt einen produktiven Zweifel, der über ein totes Ultimatum hinausgeht. Ich könnte Hefte mit den Gedanken füllen, die ich bis zu einem Gedanken, und Bände mit jenen, die ich nach einem Gedanken gedacht habe.

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Die meisten Schreiber sind so unbescheiden, daß sie immer von der Sache sprechen, wenn sie von sich sprechen sollten.

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Das Verlangen, daß ein Satz zweimal gelesen werde, weil erst dann Sinn und Schönheit aufgehen, gilt für anmaßend oder hirnverbrannt. So weit hat der Journalismus das Publikum gebracht. Es kann sich unter der Kunst des Wortes nichts anderes vorstellen, als die Fähigkeit, eine Meinung deutlich zu machen. Man schreibt »über« etwas. Die Anstreicher haben den Geschmack an der Malerei noch nicht so gründlich korrumpiert wie die Journalisten den Geschmack am Schrifttum. Oder der Snobismus hilft dort und bewahrt das Publikum davor, zuzugeben, daß es auch am Gemälde nur den Vorgang erfasse. Jeder Börsengalopin weiß heute, daß er anstandshalber zwei Minuten vor einem Bilde stehen bleiben muß. In Wahrheit ist er auch damit zufrieden, daß über etwas gemalt wird. Die Heuchelei, mit der die Blinden von der Farbe reden, ist schlimm. Aber schlimmer ist die Keckheit, mit der die Tauben die Sprache als Instrument des Lärms reklamieren.

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Warum ist das Publikum so frech gegen die Literatur? Weil es die Sprache beherrscht. Die Leute würden sich ganz ebenso gegen die andern Künste vorwagen, wenn es ein Verständigungsmittel wäre, sich anzusingen, sich mit Farbe zu beschmieren oder mit Gips zu bewerfen. Das Unglück ist eben, daß die Wortkunst aus einem Material arbeitet, das der Bagage täglich durch die Finger geht. Darum ist der Literatur nicht zu helfen. Je weiter sie sich von der Verständlichkeit entfernt, desto zudringlicher reklamiert das Publikum sein Material. Das Beste wäre noch, die Literatur so lange vor dem Publikum zu verheimlichen, bis ein Gesetz zustandekommt, welches den Leuten die Umgangssprache verbietet und ihnen nur erlaubt, sich in dringenden Fällen einer Zeichensprache zu bedienen. Aber ehe dieses Gesetz zustandekommt, dürften sie wohl gelernt haben, die Arie »Wie geht das Geschäft?« mit einem Stillleben zu beantworten.

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Der Journalismus, der die Geister in seinen Stall treibt, erobert indessen ihre Weide. Tagschreiber möchten Autoren sein. Es erscheinen Feuilletonsammlungen, an denen man nichts so sehr bestaunt, als daß dem Buchbinder die Arbeit nicht in der Hand zerfallen ist. Brot wird aus Brosamen gebacken. Was ist es, das ihnen Hoffnung auf die Fortdauer macht? Das fortdauernde Interesse an dem Stoff, den sie sich »wählen«. Wenn einer über die Ewigkeit plaudert, sollte er da nicht gehört werden, so lange die Ewigkeit dauert? Von diesem Trugschluß lebt der Journalismus. Er hat immer die größten Themen und unter seinen Händen kann die Ewigkeit aktuell werden; aber sie muß ihm auch ebenso leicht wieder veralten. Der Künstler gestaltet den Tag, die Stunde, die Minute. Sein Anlaß mag zeitlich und lokal noch so begrenzt und bedingt sein, sein Werk wächst umso grenzenloser und freier, je weiter es dem Anlaß entrückt wird. Es veralte getrost im Augenblick: es verjüngt sich in Jahrzehnten.

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Dawider vermag die wertverschiebende Tendenz des Journalismus nichts auszurichten. Er kann den Uhren, die er aufzieht, Garantiescheine für ein Säkulum mitgeben: sie stehen schon, wenn der Käufer den Laden verlassen hat. Der Uhrmacher sagt, die Zeit sei schuld, nicht die Uhr, und möchte jene zum Stehen bringen, um den Ruf der Uhr zu retten. Er macht die Stunde schlecht oder schweigt sie tot. Aber ihr Genius zieht weiter und macht hell und dunkel, obschon das Zifferblatt es anders will. Wenn es zehn schlägt und elf zeigt, können wir im Mittag halten, und die Sonne lacht über die gekränkten Uhrmacher.

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Daß doch alle Überhebung der Mechanik, die sich mit dem Ruhm sozialer Nützlichkeit nicht bescheiden will, die Naturnotwendigkeiten nicht zu »richten« vermag! Die Journalisten versichern einander, ihre Werke seien unsterblich, aber nicht einmal die Versicherung bleibt erhalten, wiewohl sie wahrlich Anspruch darauf hätte. Daneben hat ein Geheimnis die Kraft, sich selbst in aller Mund zu bringen. Österreich ist das Land, wo am lautesten gesprochen und am längsten geschwiegen wird. Es ist das Land, in dem Festzüge veranstaltet und Tropfsteinhöhlen entdeckt werden »Dabei stellte es sich heraus, daß man es nicht mit einer der vielen unbedeutenden Höhlen, wie sie im Kalkgebirge häufig vorkommen, sondern mit gewaltigen unterirdischen Räumen, die sich stundenweit ins Innere des Berges erstrecken, zu tun habe. Die Höhle führt durch festes Gestein horizontal in den Berg und kann bis zur Tiefe von dreihundert Metern ohne jede Gefahr von jedermann begangen werden Auch weiterhin sind die Schwierigkeiten des Eindringens nicht erheblich und stehen gar nicht im Verhältnis zu dem wunderbaren Anblick, der sich dem Beschauer bietet. Ein Spitzbogengewölbe von unabsehbarer Höhe umschließt herrliche Tropfsteinbildungen. Auf dem Boden liegen ganz absonderlich geformte Gebilde aus Kalzit und noch nicht erstarrter Bergmilch. An den Seitenwänden finden sich zarte Figuren von weißer und blauer Struktur, Bergkristall und Eisenblüte. Die Forscher drangen stundenweit gegen die Mitte des Berges vor und konnten in den Gängen und Stollen kein Ende finden ...« Ist dies die Sprache der Höhlenkunde? Die Literaturforschung spricht anders. Wir sind andere Sehenswürdigkeiten gewohnt: Festzüge, die das Auge der Zeitgenossen blenden wie ein Gebilde aus Wunder und Krida.

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Was vom Stoff lebt, stirbt vor dem Stoffe. Was in der Sprache lebt, lebt mit der Sprache.

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Der Gedankenlose denkt, man habe nur dann einen Gedanken, wenn man ihn hat und in Worte kleidet. Er versteht nicht, daß in Wahrheit nur der ihn hat, der das Wort hat, in das der Gedanke hineinwächst.

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Der Sinn nahm die Form, sie sträubte und ergab sich. Der Gedanke entsprang, der die Züge beider trug.

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Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens.

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Daß eine Form da war vor einem Inhalt, kann ein Leser dem sichtbaren Gedanken nicht ansehen und soll es auch nicht. Aber man zeige es ihm an dem Versuch, einen, der unter die Bewußtseinsschwelle geraten ist, emporzuziehen. Es wird da vergebens sein, in die Breite zu assoziieren. Es nützt nichts, daß der Finder und Verlierer sich durch stoffliches Tasten in die Nähe bringt. Der Gedanke etwa, daß »man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht«, würde nicht auf den Zufall eines Waldes reagieren, den man zu sehen bekäme, und nicht auf die Bäume, die ihn unsichtbar machen. Wohl aber würde er sich wieder auf dem Wege einstellen, auf dem er entstanden ist. Man versuche den Tonfall, die Geste, in der man ihn gedacht haben könnte, bald wird es von etwas schimmern, das irgendwie »verfehlte Wirkung« oder »klein vor groß« ausdrückt, und schon sieht man den Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht. In der Sprache denken heißt nun einmal, aus der Hülle zur Fülle kommen. Wie man des Traums der vergangenen Nacht inne wird, wenn man wieder das Linnen spürt.

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Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet.

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Weil ich den Gedanken beim Wort nehme, kommt er.

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Ich habe manchen Gedanken, den ich nicht habe und nicht in Worte fassen könnte, aus der Sprache geschöpft.

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Der Drucker setzte: »in Worten fassen könnte«. Im Gegenteil und folglich: Ich habe manchen Gedanken, den ich nicht in Worte fassen könnte, in Worten gefaßt.

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Wissenschaft ist Spektralanalyse. Kunst ist Lichtsynthese.

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Der Gedanke ist in der Welt, aber man hat ihn nicht. Er ist durch das Prisma stofflichen Erlebens in Sprachelemente zerstreut: der Künstler schließt sie zum Gedanken.

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Der Gedanke ist ein Gefundenes, ein Wiedergefundenes. Und wer ihn sucht, ist ein ehrlicher Finder, ihm gehört er, auch wenn ihn vor ihm schon ein anderer gefunden hätte.

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Es gibt Vorahmer von Originalen. Wenn Zwei einen Gedanken haben, so gehört er nicht dem, der ihn früher hatte, sondern dem, der ihn besser hat.

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Auch in der Kunst darf der Arme dem Reichen nichts nehmen; wohl aber der Reiche alles dem Armen.

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Es gibt eine Zuständigkeit der Gedanken, die sich um ihren jeweiligen Aufenthalt wenig kümmert.

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Man tadelte Herrn v.H. wegen eines schlechten Satzes. Mit Recht. Denn es stellte sich heraus, daß der Satz von Jean Paul und gut war.

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Immer zieht das Original wieder ein, was ihm entnommen wurde. Auch wenn es später auf die Welt kommt.

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Ein Gedanke ist nur dann echtbürtig, wenn man die Empfindung hat, als ertappe man sich bei einem Plagiat an sich selbst.

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Meinungen sind kontagiös; der Gedanke ist ein Miasma.

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In Zeiten, die Zeit hatten, hatte man an der Kunst etwas aufzulösen. In einer Zeit, die Zeitungen hat, sind Stoff und Form zu rascherem Verständnis getrennt. Weil wir keine Zeit haben, müssen uns die Autoren umständlich sagen, was sich knapp gestalten ließe.

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Der längste Atem gehört zum Aphorismus.

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Einer, der Aphorismen schreiben kann, sollte sich nicht in Aufsätzen zersplittern.

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Der Ausdruck sitze dem Gedanken nicht wie angemessen, sondern wie angegossen.

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Wenn ein Gedanke in zwei Formen leben kann, so hat er es nicht so gut wie zwei Gedanken, die in einer Form leben.

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Vom Künstler und dem Gedanken gelte das Nestroysche Wort: Ich hab’ einen Gefangenen gemacht und er läßt mich nicht mehr los.

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Die Sprache Mutter des Gedankens? Dieser kein Verdienst des Denkenden? O doch, er muß jene schwängern.

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Man staunt nicht mehr über das Wunder der Schöpfung. Aber noch hat man nicht den Mut, es zu erklären, und Gott selbst vermöchte das nicht. Wie Kunst entsteht, wird die Wissenschaft bald heraus haben. Daß die Gedanken aus der Sprache kommen, leugnen vorweg die, welche sprechen können. Denn sie haben an sich ähnliches noch nie beobachtet. Das Kunstwerk entsteht nach ihrer Meinung als Homunkulus. Man nimmt einen Stoff und tut ihm die Form um. Aber wie kommt es, daß sich die Seele Haut und Knochen schafft? Sie, die irgendwo auch ohne Haut und Knochen lebt, während diese nirgend ohne Seele leben können und nicht imstande sind, sie sich zu verschaffen, wenn sie wollen.

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Der Schaffende und die Liebende beweisen sich in der Distanz vom Anlaß zum Erlebnis. Dem Gedanken und der Lust gemeinsam ist die Beiläufigkeit und die Unaufhörlichkeit. Aus dem Künstler und aus dem Weib kann die Umwelt machen, was sie will.

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Der Ethiker muß immer von neuem zur Welt kommen. Der Künstler ein für allemal.

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Wirkung der Kunst ist ein Ding, das ohne Anfang ist und dafür ohne Ende.

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Die Kunst bescheidet sich vor einer Gegenwart, die sich der Ewigkeit überlegen weiß.

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In der Kunst kommt es nicht darauf an, daß man Eier und Fett nimmt, sondern daß man Feuer und Pfanne hat.

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Effekt, sagt Wagner, ist Wirkung ohne Ursache. Kunst ist Ursache ohne Wirkung.

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Der Journalist ist vom Termin angeregt. Er schreibt schlechter, wenn er Zeit hat.

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Ein Redner schrieb: »Möge die Stimme des Freundes nicht ungehört verhallen!« — Die Stimme verhallt, weil sie gehört wird. Das Wort kann auch ungehört nicht verhallen.

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Zur Entschuldigung eines Leseabends:
Literatur ist, wenn ein Gedachtes zugleich ein Gesehenes und ein Gehörtes ist. Sie wird mit Aug’ und Ohr geschrieben. Aber Literatur muß gelesen sein, wenn ihre Elemente sich binden sollen. Nur dem Leser (und nur dem, der ein Leser ist) bleibt sie in der Hand. Er denkt, sieht und hört, und empfängt das Erlebnis in derselben Dreieinigkeit, in der der Künstler das Werk gegeben hat. Man muß lesen, nicht hören, was geschrieben steht. Zum Nachdenken des Gedachten hat der Hörer nicht Zeit, auch nicht, dem Gesehenen nachzusehen. Wohl aber könnte er das Gehörte überhören. Gewiß, der Leser hört auch besser als der Hörer. Diesem bleibt ein Schall. Möge der stark genug sein, ihn als Leser zu werben, damit er nachhole, was er als Hörer versäumt hat.

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Man sagt, der Autor habe einen Einfall in Worte gekleidet. Das kommt daher, daß das Schneidern eine seltenere Gabe ist als das Schreiben. Von jeder Sphäre bezieht man Worte, nur nicht von der literarischen. Was macht der Dichter aus den Worten? Bilder. Oder er bringt sie zu plastischer Wirkung. Wann aber sagt man einmal, es sei ein Gedicht, und hat das höchste gesagt? Wenn es eine Omelette surprise ist.

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Wie ungemäß die Literatur dem Theater ist, zeigt die Inkongruenz von szenischem Apparat und der geistigen Geringfügigkeit seiner Anweisung: — »im Hintergrund stürzt der Kampanile ein.« An den stärksten Leistungen der Bühne hat der Autor das kleinste Verdienst: ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde! (Wäre der Satz keine Dialogstelle, sondern eine szenische Bemerkung im Don Carlos, so würde man erst sehen, wie er zutrifft.) Nun sind solche Taten dem Theater selbst nicht organisch. Aber hat der Autor vielleicht an der schauspielerischen Leistung höheren Anteil? Hundert Seiten Psychologie und Witz können verpuffen, bis endlich unter Applaus geschieht, was jener mit den Worten vorgeschrieben hat: »geht rechts ab und bricht an der Tür schluchzend zusammen«.

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Schon mancher hat durch seine Nachahmer bewiesen, daß er kein Original ist.

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Ein Original, dessen Nachahmer besser sind, ist keines.

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Heinrich Heine hat der deutschen Sprache so sehr das Mieder gelockert, daß heute alle Kommis an ihren Brüsten fingern können.

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Der Nachmacher ist oft besser als der Vormacher.

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Mit dem Dieb ist auch der Eigentümer entlarvt. Er selbst war durch einen Dietrich ins Haus gekommen und ließ die Tür offen.

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Es gibt ebenso Journalisten der Stimmung, wie es Journalisten der Meinung gibt. Jene sind die Lyriker, die dem Publikum ins Ohr gehen. Sie möchten sich unserer Verachtung dadurch entziehen, daß sie schützend den Reim vorhalten. Aber da fassen wir sie erst. Denn sie wehren sich gegen den Verdacht, Diebe zu sein, durch den Beweis, daß sie Betrüger sind.

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Die Feuilletonisten plündern den Hausrat der Natur, um ihre Stimmungen zu bekleiden. Wenn sie sich schneuzen, muß es donnern, sonst würde man die Bedeutung nicht verstehen. »Das ist wie wenn« sagen sie und tun dem Kosmos große Ehre an. Was sich so in der Welt begibt, darf neben ihren Sentiments einherlaufen, und sie sehen nach, obs stimmt. Das nennen sie Vergleiche. In der Tat gelingt es ihnen manchmal, das Vergleichende durch das Verglichene deutlich zu machen. Es ist immerhin eine Angelegenheit der Bildung. Sie wissen Bescheid, wie das ist, wenn ein anderes ist. Wenn Heine sehnsüchtig wird, so ist das, wie wenn ein Fichtenbaum. Zum Glück ist einer da, der mittut. Beim Dichter vollziehen sich die Elementarereignisse in ihm und in ihm geschieht, was draußen geschieht, und in dieser Einmaligkeit gibt es kein Auseinander von Sinn und Bild, keine Trennung von Text und Illustration. Bei Shakespeare ist das Erlebnis vom Undank der Töchter mit dem Bild geboren: Grasmücke so lange den Kuckuck speist, bis er ihr endlich den Kopf abreißt. Heine hätte das Motiv der Undankbarkeit erst in die Natur einführen müssen, um dann das, was herauskommt, mit der gegebenen Situation zu vergleichen. Die Feuilletonisten tragen sich immer hinaus, um sich auszudrücken; wenn sie ein Höheres sich gleichgemacht haben, finden sie, daß sie ihm ähnlich sind; wenn sie fremden Schmuck angelegt haben, erkennen sie sich wieder. Die Dichter sind schon in der Natur enthalten, in deren Belieben es ist, sie auszudrücken. Lyrik liegt jenseits der günstigen Gelegenheit, daß Fichtenbäume träumen. Lyrik ist nicht die Prätension eines kleinen Ich, von der Natur angeschaut und bedient zu werden, sondern beruht auf einer Gegenseitigkeit, bei der auch dem Dichter die Augen übergehen. Die Bequemlichkeit, daß immer ein Sinniges folgt, wenn ein Inniges da ist, hat das deutsche Ohr verführt und unsäglichen Jammer über die Kunst gebracht. Schmach über eine Jugend, die davon nicht lassen will! Die Kunst als Zeitvertreib vertreibt uns die Ewigkeit. Die Natur gefällt uns, weil wir die schönen Dinge in ihr finden, die unsere Lieblinge hineingetan haben, indem sie sagten: Das ist wie wenn. Sie haben das Leben in Ornamente geschnitten; die schmücken nun unsere Leere. Der Fichtenbaum grünt nicht mehr, sondern träumt; was viel poetischer ist. Und es beglaubigt die Sehnsucht des Dichters, die sonst erst bewiesen werden müßte. Er sagt ganz einfach: Wenn dem Fichtenbaum so zumute wäre wie mir, so wäre mir so zumute wie dem Fichtenbaum, nämlich träumerisch.

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Der Leser glaubt, daß ich mich über ihn lustig machen wolle, wenn ich ihm das Gedicht vom Tibetteppich empfehle. Als ob ich ihm nicht, wenn ich mich schon über ihn lustig machen wollte, lieber das Gedicht vom Fichtenbaum empfohlen hätte. Warum aber sollte ich mich denn über den Leser lustig machen? Ich nehme ihn viel ernster, als er mich. Ich habe nie dem Leben vorzuwerfen gewagt, daß es sich mit der deutsch-freisinnigen Politik oder der doppelten Buchhaltung über mich lustig machen wolle. Wenn der Ernst des Lebens wüßte, wie ernst das Leben ist, er würde sich nicht erfrechen, die Kunst heiter zu finden.

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Manchmal lege ich Wert darauf, daß mich ein Wort wie ein offener Mund anspreche, und ich setze einen Doppelpunkt. Dann habe ich diese Grimasse satt und sähe sie lieber zu einem Punkt geschlossen. Solche Laune befriedige ich erst am Antlitz des gedruckten Wortes. Sie bewirkt oft den Verlust von dreitausend Bogen, die ich um alles in der Welt und mit dem Aufwand lächerlicher Kautelen den Augen eines Publikums entziehe, das sich dafür interessiert, was ich über die Revolution in Portugal zu sagen habe. Dann erfährt es, daß ich nichts darüber zu sagen habe, und nimmt mir die Enttäuschung übel. Das Publikum hat immer die größten Themen. Aber wenn es erst ahnte, mit wie kleinen Sorgen ich mir inzwischen Zeit und Gesundheit vertreibe, es würde keinen Versuch mehr mit mir machen.

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Das Wort hat einen Feind, und das ist der Druck. Daß ein Gedanke dem Leser der Gegenwart nicht verständlich ist, ist dem Gedanken organisch. Wenn er aber auch dem ferneren Leser nicht verständlich ist, so trägt eine falsche Lesart die Schuld. Ich glaube unbedingt, daß die Schwierigkeiten der großen Schriftsteller Druckfehler sind, die wir nicht mehr zu finden vermögen. Weil man bisher im Bann der journalistischen Kunstauffassung gemeint hat, die Sprache diene dazu, irgend etwas »auszudrücken«, so mußte man auch glauben, daß Druckfehler nebensächliche Störungen seien, welche die Information des Lesers nicht verhindern können. Den Stoff könnten sie nicht durchlöchern, die Tendenz nicht durchbrechen, der Leser erfahre, was der Autor gemeint hat, und dieser sei ein Pedant oder ein auf die äußere Form bedachter Ästhet, wenn er mehr verlange. Sie wissen nichts von dem, was der Autor erlebt, ehe er zum Schreiben kommt; sie verstehen nichts von dem. was er im Schreiben erlebt: wie sollten sie etwas von dem ahnen, was sich zwischen Geschriebenem und Gelesenem ereignet? Dies Gebiet romantischer Gefahren, wo alle Beute des Gedankens wieder vom Zufall oder dem lauernden Intellekt der Mittelsperson abgenommen wird, ist unerforscht. Der Journalismus, dem dort aus einer freiwilligen Plattheit wenigstens eine unfreiwillige Drolligkeit entstehen mag, für die er dankbar sein sollte, spricht mit scherzendem Vorwurf von einem Druckfehlerteufel. Aber solche Seelen fängt er nicht. Sie leisten ihm ihren Tribut, es kommt ihnen nicht darauf an, denn ihr Reichtum ist unverlierbar. Arm ist der Gedanke. Er hat oft nur ein Wort, nur einen Buchstaben, nur einen Punkt. Eine Tendenz lebt, auch wenn der Teufel ihr ganzes Gehäuse davontrüge. Wenn er aber an eine Perspektive nur anstreift, dann hat er sie auch geholt.

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Wenn in einem Satz ein Druckfehler stehen geblieben ist und er gibt doch einen Sinn, so war der Satz kein Gedanke.

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Ich warne vor Nachdruck. Meine Sätze leben nur in der Luft meiner Sätze: so haben sie keinen Atem. Denn es kommt auf die Luft an, in der ein Wort atmet, und in schlechter krepiert selbst eines von Shakespeare.

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O über die linke Midashand des Journalismus, die jeden fremden Gedanken, den sie berührt, in eine Meinung verwandelt! Wie soll man gestohlenes Gold reklamieren, wenn der Dieb nur Kupfer in der Tasche hat?

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Der Kunst kommt es nicht auf die Meinung an, sie schenkt sie dem Journalismus zu selbständiger Verwertung, und sie ist gerade dann in Gefahr, wenn er ihr recht gibt.

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Mein Wort in der Hand eines Journalisten ist schlechter, als was er selbst schreiben kann. Wozu also die Belästigung des Zitierens? Sie glauben Proben eines Organismus liefern zu können. Um zu zeigen, daß ein Weib schön ist, schneiden sie ihm die Augen aus. Um zu zeigen, daß mein Haus wohnlich ist, setzen sie meinen Balkon auf ihr Trottoir.

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Ein Werk der Sprache in eine andere Sprache übersetzt, heißt, daß einer ohne seine Haut über die Grenze kommt und drüben die Tracht des Landes anzieht.

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Man kann einen Leitartikel, aber kein Gedicht übersetzen. Denn man kann zwar nackt über die Grenze kommen, aber nicht ohne Haut, weil die im Gegensatz zum Kleid nicht nachwächst.

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Wenn man einem deutschen Autor nachsagt, er sei bei den Franzosen in die Schule gegangen, so ist es erst dann das höchste Lob, wenn es nicht wahr ist.

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Ein Gedankenstrich ist zumeist ein Strich durch den Gedanken.

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Es gibt eine Originalität aus Mangel, die nicht imstande ist, sich zur Banalität emporzuschwingen.

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Wer nicht Temperament hat, muß Ornament haben. Ich kenne einen Schriftsteller, der es sich nicht zutraut, das Wort »Skandal« hinzuschreiben, und der deshalb »Skandalum« sagen muß. Denn es gehört mehr Kraft dazu, als er hat, um im gegebenen Augenblick das Wort »Skandal« zu sagen.

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Wer sich darauf verlegt, Präfixe zu töten, dem gehts nicht um die Wurzel. Wer weisen will, beweist nicht; wer kündet, hat nichts zu verkünden.

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In Berlin hat einer einen geschwollenen Hals. Das kommt vom vielen Silbenschlucken. Aber der Kopf geht bei solcher Tätigkeit leer aus.

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Stil. Man kann nicht leugnen, daß dem Schriftsteller Bildung zustatten kommt. Wie schöne Gleichnisse lassen sich nicht gestalten, wenn man die Termini der verschiedenen Wissensgebiete bei der Hand hat! Es kommt also darauf an, sich dieses Material zu beschaffen. Wahrlich, man braucht es fast so notwendig wie Papier und Tinte. Aber haben Papier und Tinte einen schöpferischen Anteil am Werk? Bin ich kein Schriftsteller, wenn ich nicht die Vergleichswelten selbst bereist habe? Bin ich nicht imstande, den Gedanken durch Beziehung auf einen chemischen Vorgang zu erhellen, weil ich diese Beziehung bloß ahne und mir der Fachausdruck fehlt? Ich frage einen Gelehrten oder ich frage ein Buch. Aber in solchem Falle leistet auch das Fremdwörterbuch alle Dienste. Eine Kennerschaft, die ich mir aus einem Fachwerk holte, würde die künstlerische Fügung sprengen und dem Schein der Erudition den Vorrang lassen. Es wäre die hochstaplerische Erschleichung eines Makels. Die Nahrung des Witzes ist eine landläufige Ration von Kenntnissen. Es darf ihm nicht mehr vorgesetzt werden, als er verdauen kann, und unmäßiges Wissen bringt die Kunst von Kräften. Sie setzt Fett an. Nun gibt es Literaten, denen es eben darauf ankommt. Ihnen ist die Bildung nicht Material, sondern Zweck. Sie wollen beweisen, daß sie auch Chemiker sind, wenngleich sie es nicht sind; denn Schriftsteller sind sie bestimmt nicht. Das Material kann man sich beschaffen wie man will, ohne der geistigen Ehrlichkeit etwas zu vergeben; die schöpferische Arbeit besteht in seiner Verwendung, in der Verknüpfung der Sphären, in der Ahnung des Zusammenhanges. Wer schreibt, um Bildung zu zeigen, muß Gedächtnis haben; dann ist er bloß ein Esel. Wenn er die Fachwissenschaft oder den Zettelkasten benützt, ist er auch ein Schwindler. Ich kenne einen Publizisten, der sich lieber die fünf Schreibefinger abhacken ließe, ehe er in einem politischen Leitartikel, der jene dürrste Tatsächlichkeit der Welt behandelt, die der Welt leider unentbehrlich ist. das Wort »Balkanwirren« gebrauchte. Er muß »Hämuskomödie« sagen. Und solche Geistesschweinerei findet im heutigen Deutschland Anklang! Eine typische Figur der Lokalchronik ist jener »Unhold«, der vor Schulen den herausströmenden Mädchen Dinge zeigt, die sie in diesem Alter noch nicht sehen sollen. Was bedeutet aber seine Schädlichkeit gegenüber einem Treiben, mit dem die Schulweisheit vor dem Leben exhibitioniert? Die unerhörte Zumutung, uns bei Besprechung der verworrensten Balkanfragen auch noch in die klassische Geographie verwickeln zu lassen, empfinden heute die wenigsten als Plage. Wäre es selbst kein Defekt, mit dem hier geprotzt wird, wäre der Anblick der Elephantiasis eines Gedächtnisses nicht abscheuerregend, so bliebe der Zustand noch immer als jene ästhetisierende Sucht beklagenswert, die der Fluch unserer Tage ist. Denn die Erörterung von Balkanwirren ist eine Angelegenheit des täglichen Hausbrauches und hat mit der Kunst, also auch mit der Literatur als der Kunst des Wortes, nicht das geringste zu schaffen. Aber jener ist ein Dichter. Er ist nicht im Mai geboren, sondern »unterm Weidemond«. Sein Kampf gilt nicht dem Kaiser, sondern einem »Zollernsproß«. Der nicht in Korfu manchmal weilt, sondern in Korypho. Als Politiker ist unser Mann kein Chamäleon, sondern er gleicht dem »Tier mit den zwei Pigmentschichten unter der Chagrinhaut«. Er enthüllt nicht das homosexuelle Vorleben seiner Gegner, sondern er »spreitet die Spinatgartenschande aus«; aber seine Gegner haben es sich selbst zuzuschreiben, denn sie haben zwar nicht den Verdacht päderastischen Umgangs erregt, aber der »Ruch der Männerminne haftet an ihnen«. Er will die Reichsfassade reinfegen. Aber sein Arbeitskittel ist ein wallendes Gewand, das ein Van de Velde entworfen hat, der Besen ist von Olbrich und die Hände tragen Schmuck von Lalique. Da geht denn die Arbeit nur schwer vonstatten, und sie gleicht eigentlich auch mehr jenem langwierigen Gastmahl des Trimalchio, in dessen Beschreibung es heißt: »Nun folgte ein Gang, welcher unserer Erwartung nicht entsprach; doch zog er durch seine Neuheit aller Augen auf sich«. Da gab es »einen runden Aufsatz, in welchem die zwölf himmlischen Zeichen in einem Kreis geordnet waren, auf deren jedes der Künstler eine Speise gelegt hatte, die ihm zukam«. Da gab es »einen Mischmasch von einem Spanferkel und anderem Fleische, und einen Hasen mit Flügeln, damit er dem Pegasus gleiche«. Und »in den Ecken des Aufsatzes vier Faune, aus deren Schläuchen Brühe, welche aus den Eingeweiden verschiedener Fische wohl zubereitet war, auf die Fische herunterfloß, die in einem Meeresstrudel schwammen«. Dazu erscholl eine Symphonie, und in der Mitte der Tafel stand ein gebackener Priap, der mit allerlei Arten von Obst und Trauben verziert war. Die Kuchen gössen einen balsamischen Duft aus und die Gäste »glaube ten, daß etwas Heiliges darunter verborgen sei«, erhoben sich »und wünschten Glück dem erhabenen Vater des Vaterlandes«. Stimmt alles. Von dem Koch aber hieß es, er sei der kostbarste Kerl von der Welt: »wenn ihr es verlangt, so macht er aus einem Saumagen einen Fisch, aus Speck einen Baum, aus dem Schinken eine Turteltaube, aus den Eingeweiden eine Henne«. Heiliger Petronius — so arbeiten die Ornamentiker aller Zeiten und aller Gebiete! Und wir haben heute in Deutschland eine geistige Küche, von deren Erzeugnissen das Auge satt wird. Ein Bildungskünstler preßt die Leckerbissen von zehn Welten in eine Wurst ... Ach, meinem Stil wird zum Vorwurf gemacht, daß sich hart im Räume die Gedanken stoßen, während die Sachen doch so leicht bei einander wohnen. Und wer von mir Aufschluß über die Sachen erwartet, hat sicherlich recht, aus dem Gedankenpferch zu fliehen. Verweilt er aber, um ihn zu besehen, so wird er eine Architektur gewahren, in der um keine Linie zu viel, um keinen Stein zu wenig ist. Man muß nachdenken; das ist eine harte Forderung, meist unerfüllbar. Aber die Forderung, die der Berliner Bildungsornamentiker stellt, ist bloß lächerlich: man muß Spezialist in allen Fächern sein oder zum Verständnis eines Satzes zehn Bände eines Konversationslexikons wälzen. Der eine schlägt auf den Fels der nüchternsten Prosa, und Gedanken brechen hervor. Der andere schwelgt im Ziergarten seiner Lesefrüchte und in der üppigen Vegetation seiner Tropen. Hätte ich mein Leben damit verbracht, mir die Bildung anzueignen, die jener zu haben vorgibt, ich wüßte vor lauter Hilfsquellen nicht, wie ich mir helfen soll. Ein Kopf, ein Schreibzeug und ein Fremdwörterbuch — wer mehr braucht, hat den Kopf nicht nötig!
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Die Wissenschaft könnte sich nützlich machen. Der Schriftsteller braucht jedes ihrer Fächer, um daraus den Rohstoff seiner Bilder zu beziehen, und oft fehlt ihm ein Terminus, den er ahnt, aber nicht weiß. Nachschlagen ist umständlich, langweilig und läßt einen zu viel erfahren. Da müßten denn, wenn einer beim Schreiben ist, in den andern Zimmern der Wohnung solche Kerle sitzen, die auf ein Signal herbeieilen, wenn jener sie etwas fragen will. Man läutet einmal nach dem Historiker, zweimal nach dem Nationalökonomen, dreimal nach dem Hausknecht, der Medizin studiert hat, und etwa noch nach dem Talmudschüler, der auch das philosophische Rotwälsch beherrscht. Doch dürften sie alle nicht mehr sprechen als wonach sie gefragt werden, und hätten sich nach der Antwort sogleich wieder zu entfernen, weil ihre Nähe über die Leistung hinaus nicht anregt. Natürlich könnte man auf solche Hilfen überhaupt verzichten, und ein künstlerischer Vergleich behielte seinen Wert, auch wenn in seiner Bildung die Lücke der Bildung offenbliebe und einem Fachmann zu nachträglicher Rekrimination Anlaß gäbe. Aber es wäre eine Möglichkeit, die Fachmänner des Verdrusses zu überheben und sie schon vorher einer ebenso nützlichen wie bravourösen Beschäftigung zuzuführen.

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Wenn die Sprache zu einem Vergleich die Volkswirtschaft braucht und es stimmt in etwas nicht, so kann die Sprache nichts dafür. Der Volkswirt soll nachgeben.

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Dient ein Name der satirischen Wirkung, so wird gern eingewendet, der Mann könne für seinen Namen nicht. Der Mann kann aber auch für seinen Talentmangel nicht. Und doch möchte ich glauben, daß er für diesen gezüchtigt werden muß. Nun würde man wieder einwenden, daß auch ein Genie so heißen könnte. Das wäre aber nicht wahr. Oder vielmehr wäre der Name dann nicht lächerlich. Hinwiederum könnte eine satirische Laune selbst an dem Namen Goethe, wenn ihn ein Tölpel geführt hätte, ein Haar finden. Wie an den Großen alles groß ist, so ist an den Lächerlichen alles lächerlich, und wenn ein Name eine Humorquelle eröffnet, so trägt der Träger die Schuld. Er heißt mit Recht so, und wenn er aus Verzweiflung in ein Pseudonym flüchtet, so wird ihn der Spott auch dort zu treffen wissen.

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Man fragt mich manchmal, ob die Namen, die ich in meinen Satiren einführe, echt sind. Ich möchte sagen, daß ich die gefundenen erfinde. Ich gestalte die erfundenen aus dem Ekel der gefundenen. Ich gieße Lettern in Blei um, um daraus Lettern zu schneiden.

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Wenn Polemik nur ein Meinungsstreit ist, so haben Beide Unrecht. Anders, wenn der eine die Macht hat, Recht zu haben. Dann hat der andere nicht das Recht, Recht zu haben. Keine Kunst bedarf so sehr der Natur, die sie ermächtigt, wie die Polemik. Sonst ist sie ein Streit, der, auf die Gasse getragen, gegen die guten Sitten verstößt. Sie ist wahrlich ein Exzeß, den der Rausch nicht entschuldigt, sondern rechtfertigt.

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Er meint nicht mich. Aber seine Unfähigkeit, sich so auszudrücken, daß er mich nicht gemeint hat, ist doch ein Angriff gegen mich.

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Wie komme ich dazu, der Kollege von Leuten zu sein, die ohne inneren Beruf über Probleme des Sexuallebens schreiben? Viel lieber nenne ich den meinen Kollegen, der das schöpferische Geheimnis der Kakaofabrikation erlebt!

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Wer von Berufswegen über die Gründe des Seins nachdenkt, muß nicht einmal so viel zustandebringen, um seine Füße daran zu wärmen. Aber beim Schuhflicken ist schon manch einer den Gründen des Seins nahe gekommen.

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Wenn ich schreibe, muß ich mir immer eine gräßliche Stimme vorstellen, die mich zu unterbrechen sucht. Dieser Widerpart spricht wie irgendeiner, den ich einmal bei einer Theaterpremiere sich wichtig machen sah; er beugt sich über mich und warnt mich davor, mir Feinde zu machen; er grüßt mich aus Furcht, daß ich ihn einmal nennen könnte, ich danke ihm nicht; oder er ist ein Sozialpolitiker, der schlecht riecht, oder ein Historiker, der »Ei, siehe da« sagt oder sonst irgendein Vertrauensmann, den ich zu meinen geheimen Verhandlungen als Vertreter der Außenwelt zulasse. Es stellt sich sofort jene ausgesprochen musische Beziehung her, wie sie der echten Lyrik unentbehrlich ist. Man glaubt es nicht, in welche Verzückung ich so entrückt werde. Nicht faule Äpfel, faule Köpfe brauche ich zur Ekstase. Manche dieser Typen sind mir unentbehrlich geworden, und wenn ich nachts zur Arbeit komme, horche ich, ob nicht ein Mauschel schon im Papierkorb raschelt. Als ich meine Betrachtung »Rhythmus eines österreichischen Sommers« schrieb, hörte ich hinter mir ganz deutlich eine Frauenstimme, die immer wieder sagte: »Roserl ist zwar nicht offiziell, aber offizies verlobt«. Es ist eigentümlich, aber gerade das hat mich bei der Arbeit gehalten. Ich könnte zu jeder einzelnen Sache, die ich je geschrieben habe, ganz genau die Stimme wiedergeben, die sie mir eingesagt hat. Die Amerikafahrt des Männergesangvereins schien einer zu begleiten, der mir immerfort in die Rippen stieß und meinte: I bleib viel lieber doder. (Wie ich denn überhaupt verraten kann, daß mir alles, was ich je an Verdrießlichem mir über das Dasein vom Herzen geschrieben habe, in dem Worte »doder« seine Wurzel hat.) Ganz genau erinnere ich mich wie es in meinem Zimmer zugegangen ist, als ich die Satire auf die Entdeckung des Nordpols verfaßte. Eben als ich mich betreffs des Herrn Cook auf die Seite der Skeptiker stellen wollte und schon die Witze machte, die dann einige Monate später auch die Idealisten gemacht haben, fuhr mir ein Vertreter der intelligenten Mittelklasse mit seinem Finger in meine Nase und sagte: »Lassen Sie’s gut sein, es ist doch eine scheene Leistung!« »Daß der Nordpol entdeckt wurde, ist traurig«, entgegnete ich; »lustig ist dabei nur, daß er nicht entdeckt wurde«. »Lassen Sie’s gut sein«, sagte es hinter mir, »er hat ihn entdeckt!« »Hat er ihn wirklich entdeckt?« fragte ich, um ganz sicher zu gehen und nichts zu überstürzen. »Er hat ihn effektiv entdeckt!«, fuhr es da auf, als wäre es von einer Tarantel gestochen. Ein abgeklärter Nachbar, der sich dreinmischte, sagte: »Der Cook ist natürlich der letzte Schwindler. Aber der Peary, den hab’ ich sehr gut gekannt. Wir haben in den Vierzigerjahren täglich zusammen beim Leidinger Mittag gegessen und schon vorher an der Entdeckung Amerikas teilgenommen ...« So entstand mir jene Arbeit.

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Der Lyriker erstaunt jedesmal von neuem über ein Rosenblatt, wiewohl es dem andern gleicht, wie ein Rosenblatt dem andern. So muß der Satiriker jedesmal von neuem über eine Ungleichheit staunen, und möge sie der andern gleichen, wie eine Häßlichkeit der andern. Und er kann sogar aus einer und derselben hundert Gedichte machen.

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Wunder der Natur! Die Kunstblumen des Herrn von Hofmannsthal, die um 1895 Tau hatten, sind nun verwelkt.

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Im Epischen ist etwas von gefrorner Überflüssigkeit.

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Ich habe gegen die Romanliteratur aus dem Grunde nichts einzuwenden, weil es mir zweckmäßig erscheint, daß das, was mich nicht interessiert, umständlich gesagt wird.

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Der geistige Leser hat das stärkste Mißtrauen gegen jene Erzähler, die sich in exotischen Milieus herumtreiben. Der günstigste Fall ist noch, daß sie nicht dort waren. Aber die meisten sind so geartet, daß sie eine Reise tun müssen, um etwas zu erzählen.

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Es gibt auch eine Zeitexotik, die der Unbegabung ganz ebenso zu Hilfe kommt wie die Behandlung ausländischer Milieus. Entfernung ist in jedem Fall kein Hindernis, sondern das Mimikry mangelnder Persönlichkeit.

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Moderne Architektur ist das aus der richtigen Erkenntnis einer fehlenden Notwendigkeit erschaffene Überflüssige.

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Die andern sind Reißbrettkünstler. Loos ist der Architekt der tabula rasa.

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Sie legen ihm die Hindernisse in den Weg, von denen er sie befreien wollte.

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Die Mittelmäßigkeit revoltiert gegen die Zweckmäßigkeit.

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Zum ersten Mal fühlen die Kunstmaurer, wie sie das Leben als tabula rasa anstarrt. Das hätten wir auch gekonnt! rufen sie, nachdem sie sich erholt haben, während er vor ihren Schnörkeln bekennen muß, daß er es nie vermocht hätte.

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Die beste Methode für den Künstler, gegen das Publikum Recht zu behalten, ist: da zu sein.

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Kokoschka hat ein Porträt von mir gemacht. Schon möglich, daß mich die nicht erkennen werden, die mich kennen. Aber sicher werden mich die erkennen, die mich nicht kennen.

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Der rechte Porträtmaler benützt sein Modell nicht anders, als der schlechte Porträtmaler die Photographie seines Modells. Eine kleine Hilfe braucht man.

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Er malt unähnlich. Man hat keines seiner Porträts erkannt, aber sämtliche Originale.

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An einem wahren Porträt muß man erkennen, welchen Maler es vorstellt.

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Er malte die Lebenden, als wären sie zwei Tage tot. Als er einmal einen Toten malen wollte, war der Sarg schon geschlossen.

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Varieté. Der Humor der Knockabouts ist heute der einzige Humor von Weltanschauung. Weil er tieferen Grund hat, scheint er grundlos zu sein wie die Aktion, die er bietet. Grundlos ist das Lachen, das er in unserer Region auslöst. Wenn ein Mensch plötzlich auf allen Vieren liegt, so ist es eine primitive Kontrastwirkung, der sich schlichte Gemüter nicht entziehen können. Ein feineres Verständnis setzt schon die Darstellung eines Zeremonienmeisters voraus, der auf dem Parkett hinplumpst. Es wäre die ad absurdum- Führung der Würde, der Umständlichkeit, des dekorativen Lebens. Diesen Humor zu verstehen, bietet die mitteleuropäische Kultur alle Voraussetzung. Der Humor der Clowns hat hier keine Wurzel. Wenn sie einander auf den Bauch springen, so kann bloß die Komik der veränderten Lage, des unvorhergesehenen Malheurs verfangen. Aber der amerikanische Humor ist die ad absurdum-Führung eines Lebens, in dem der Mensch Maschine geworden ist. Der Verkehr spielt sich ohne Hindernisse ab; darum ist es plausibel, daß einer zum Fenster hereingeflogen kommt und zur Tür wieder hinausgeworfen wird, die er gleich mitnimmt. Das Leben ist eben ungemein vereinfacht. Da der Komfort das oberste Prinzip ist, so versteht es sich von selbst, daß man Bier haben kann, wenn man einen Menschen anzapft und ein Gefäß unter die Öffnung hält. Die Leute schlagen einander mit der Hacke auf den Schädel und fragen zartfühlend: Haben Sie das bemerkt? Es ist ein unaufhörliches Gemetzel der Maschinen, bei dem kein Blut fließt. Das Leben hat einen Humor, der über Leichen geht, ohne wehzutun. Warum diese Gewalttätigkeit? Sie ist bloß eine Kraftprobe auf die Bequemlichkeit. Man drückt auf einen Knopf, und ein Hausknecht stirbt. Was lästig ist. wird aus dem Weg geräumt. Balken biegen sich auf Wunsch, alles geht flott von statten, müßig ist keiner. Nur ein Papierschnitzel will auf einmal nicht parieren. Es bleibt nicht liegen, wenn man es der Bequemlichkeit halber hingeworfen hat, es geht immer wieder in die Höhe. Das ist ärgerlich, und man sieht sich gezwungen, es mit dem Hammer zu bearbeiten. Noch immer zuckt es. Man will es erschießen. Man sprengt es mit Dynamit. Ein unerhörter Apparat wird aufgeboten, um es zu beruhigen. Das Leben ist furchtbar kompliziert geworden. Schließlich geht alles dunter und drüber, weil irgend ein Ding in der Natur sich dem System nicht fügen wollte ... Vielleicht ein Fetzen Sentimentalität, den ein Defraudant aus Europa herübergebracht hatte.

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Der Bürger duldet nichts Unverständliches im Haus.

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Es gilt, der Weltbestie Intelligenz, an deren Haß der Künstler stirbt, aber von deren Haß die Kunst lebt, den Genickfang zu geben.

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Die vor Bildern grinst und Bücher über die Achsel liest, die sich durch Unglauben ihre Überlegenheit vor Gott und durch Frechheit ihre Sicherheit vor dem Künstler beweist!

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Der Erzähler ist für die Leute da? Wenn die Abende lang werden? Man kürze sie ihnen anders! Ihnen noch etwas erzählen? Bevor die Nacht kommt, etwas Spannendes? Etwas in Lieferungen? Strychnin und die Folter! Der Abend dauert zu lange.