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September 1918

Ausgebaut und Vertieft

Der geistige Tiefstand, der diese Katastrophe ermöglicht hat und dessen Vertiefung durch eben diese Katastrophe ausgebaut wurde, enthüllt sich am greifbarsten in der völligen Ausgesetztheit, in der sich die Gehirne vor dem Schlagwort befinden. Wehrloser und gebannter ist kein Schaf vor der Boa constrictor als der durchhaltende Verstand vor der Phrase. Sein Opfer ist aber um so tragischer, als er zugleich das Subjekt und das Objekt der Fütterung ist. Gelingt es einem jener Menschen, die in Ämtern sitzen und deren Aufgabe es ist, die Knappheit an Phantasie oder Lebensmitteln in ein dürftiges Deutsch zu übersetzen, ein solches Merkwort zu finden, so kann man sicher sein, daß der darbende Bürger durch Monate daran zu zehren haben wird, bis von ihm nichts übrig bleibt. Der Effekt wäre freilich ein auch nicht annähernd so ausgiebiger, wenn die Sprache der Ämter nicht ein Sprachrohr hätte, durch das jede Botschaft erst schmackhaft wird, oder vielmehr, wenn es nicht hierzulande einen so hervorragenden Wiederkäuer gäbe, dessen täglich zweimal zwanzigmal produzierte Tätigkeit ein Schlagwort erst appetitlich macht. Die bürokratische Kost, die einem vielleicht widerstehen möchte, wenn sie nicht vom Speichelfluß dieser Beredsamkeit aufgeweicht würde, ist nach solcher Prozedur nicht wiederzuerkennen, und es ist am Ende ganz sonderbar, wie die abgelegenste Kanzleiphrase als frische Jargonwendung wirkt, nachdem sie jener in den Mund genommen hat. Als vor dem Krieg einmal der Betmann Hohlweg, der doch weit eher ein Pastor als ein Rabbiner ist, die Bereitwilligkeit Deutschlands, für den Bundesgenossen zu »fechten«, ausgesprochen hatte, war durch Tage der Schrei eines Echos hörbar, dessen Unaufhörlichkeit die Klangfarbe hatte: Er hat gesagt, er wird für uns fechten, fechten wird er für uns hat er gesagt. Ebenso unerbittlich hat dieser Vorbeter aller Blutandachten in der Gelegenheit gehaust, die durch das Schlagwort »Entspannung« bezeichnet war. Ein solches Schlagwort versetzt ihn in eine derartige Aufregung, daß man glaubt, der unaufhörliche Schlag, mit dem er das Gehirn des Lesers trifft, werde schließlich ihn treffen. Wenn man dereinst versuchen sollte, die geistige Akustik dieser Zeit nach ihrem durchdringendsten Geräusch darzustellen, so wird man über die Tragfähigkeit ihres Gehörs noch mehr staunen als über die ihrer Scham. Denn es kann heute kein noch so armseliger Lebenslaut der Staatsdummheit – erfunden, um die Menschheit über den Mangel ihrer Selbstverständlichkeiten zu betrügen – ausgestoßen werden, ohne daß er in diesem Schalltrichter zum Losungswort einer Weltentscheidung würde. Die Speiwürdigkeit dieses Zeitalters ist aber wohl noch nie so plastisch an uns herangetreten wie in der Orgie dieses Merkworts vom Ausbau und von der Vertiefung. Entseelter und so um den Sinn des Dings gebracht war die Papiersprache, die wir in diesem Krieg ausatmen, noch nie, und die Gewure, die imstande war, durch Wochen an dem ausgespucktesten Surrogat zu schlingen, verdient schon allen Respekt. Es war rein so, als ob die Borniertheit, die dergleichen erfindet, die Absicht gehabt hätte, durch Hinwerfen eines Brockens das furchtbare Haustier, das wir uns halten, rabiat zu machen, wissend, daß es sich auf so etwas werfen und daß es dann ein Schauspiel geben werde und eine Ablenkung für die vielen, denen etwas Gebackenes oder Gebratenes lieber ist als etwas Ausgebautes und Vertieftes. Schon etliche Monate vorher rollte der erste Donner, und ich habe eine Probe davon gegeben, die ausgereicht hat, um den Überdruß an der Sache im Ekel am Wort fühlen zu lassen. Damals war es der Graf Czernin, dem nicht oft genug nachgesagt werden konnte, daß er ausgebaut und vertieft habe, und ich überschrieb es: »Das kann man nicht oft genug hören«. Dennoch war’s nur ein lächerliches Vorspiel im Vergleich zu dem was kommen sollte; »ein Tändeln« mit der Idee, wie das Großmaul in stillern Stunden zu sagen pflegt. Das Trommelfeuer, das nun anhub, sollte alles Erlebte übertreffen. So ausgebaut und vertieft ward nie zuvor. Wären die Menschen, denen das angetan wird, noch imstande, die völlige Erstarrtheit des vorgeschriebenen Denkens, die solche Gassenhauer des politischen Optimismus entstehen läßt, zu spüren, sie hätten sich dagegen aufgebäumt; sie hätten den Erfindern, den Ingenieuren des Ausbaues und der Vertiefung begreiflich gemacht, daß es zur Not angeht, eine öde Sache durch ein ödes Bild anschaulich zu machen, daß es aber unmöglich ist, sie durch zwei öde Bilder anschaulich zu machen, weil hiedurch nicht die Realität, die verglichen werden soll, die politische, sondern wieder nur die Realität, mit der verglichen werden soll, die technische, anschaulich gemacht wird, indem ja der technische Ausbau von der technischen Vertiefung im Sinne verschieden ist, der bildliche jedoch mit der bildlichen so sehr zusammenfällt, daß er eben zusammenfällt. Wer zum erstenmal vom Ausbau eines Bündnisses gesprochen hat, der hat nicht gerade die Sprache bereichert, wenn er schon das Heil der Menschheit vermehrt hat; wer aber vom Ausbau und von der Vertiefung eines Bündnisses gesprochen hat, der hat der Sprache einen heillosen Verlust beigebracht. Wie nun ein Korybant in dieser dürftigen Gelegenheit gerast hat; welch einem Rausch der Nüchternheit wir standhalten mußten; wie dieser Exzeß rapid auf alle benachbarten Lebensgebiete übergriff, so daß rechts und links nun auf einmal auch alles andere ausgebaut und vertieft war, alle anderen Bündnisse, bei Freund und Feind, und beinahe sogar das, was wirklich den Sinn dieses Verfahrens trug, als etwa eine Eisenbahn oder ein Kanal; vor allem aber, wie der Wahnsinn dieser Kuppelung offenbar war, wenn die beiden Methoden getrennt wurden, so als ob wirklich der Ausbau des Bündnisses etwas anderes zu bedeuten hätte als dessen Vertiefung – das zeigt der folgende Strudel, der nur ein Zitat aus dem Katarakt vorstellt, welcher verheerend, von keiner beschwörenden Vernunft aufgehalten, aller Papiernot trotzend, epidemischer als alle spanische Krankheit über unser politisches Terrain dahingegangen ist:

13. Mai:

Ausbau und Vertiefung des Bündnisses.

— — hiebei ergab sich volles Einvernehmen in allen diesen Fragen und der Entschluß, das bestehende Bündnisverhältnis auszubauen und zu vertiefen.

Wichtige Ergebnisse der Kaiserzusammenkunft.

Ausbau und Vertiefung des bestehenden Bündnisverhältnisses.

— — wurde im vollen Einvernehmen der Entschluß gefaßt, das bestehende Bündnisverhältnis auszubauen und zu vertiefen. In welcher Form der Ausbau und die Vertiefung geschehen sollen, wird heute noch nicht mitgeteilt. — — Der Krieg hat den Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses zur Notwendigkeit gemacht. In welcher Richtung dieser Ausbau und die Vertiefung sich vollziehen sollen, wird in der amtlichen Mitteilung nicht angedeutet. — — Gewiß wird es der Wunsch der beiderseitigen Generalstäbe sein, den Vorteil, den die Monarchie und Deutschland.. durch den Grundsatz hatten, der im Kriege Schulter an Schulter genannt wurde, auch künftig zu behalten, auszubauen und zu vertiefen.

Mitteilungen von unterrichteter Seite.

— — Wir müssen also an dem Defensivbündnis festhalten und für einen Ausbau und eine Vertiefung dieses Bündnisses .. nur andere Vorbedingungen schaffen.

14. Mai:

Ausbau und Vertiefung des Bündnisses mit Deutschland.

Volles Einvernehmen über das künftige Verhältnis.

— — und die von ihnen geschaffenen Tatsachen sollen durch Ausbau und Vertiefung zur Regel für die Zukunft erhoben werden. — — Wir brauchen nur den Ereignissen des Krieges zu folgen, um zu verstehen, warum der Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses unvermeidlich geworden sind. — — Die Einheit der Front für die Mittelmächte ist eine zureichende Ursache für die militärische Vertiefung des Bündnisses. — —

Nun und der Ausbau? Geduld:

Der Plan, den Mittelmächten die Rohstoffe auch nach dem Kriege zu entziehen, wird mit der Nachricht vom wirtschaftlichen Ausbau des Bündnisses beantwortet.

Der Ausbau des Bündnisses mit Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht.

Das Bündnis mit Deutschland.

Der Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses zwischen der Monarchie und Deutschland haben einen Zusammenhang mit der polnischen Frage — —

Nachrichten über gefälschte deutsche Friedensangebote.

— — Wahr ist der Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses zwischen der Monarchie und Deutschland — —

Die Erneuerung des Bündnisses mit Deutschland.

Die amtliche Mitteilung, daß bei der Kaiserzusammenkunft im deutschen großen Hauptquartier der Ausbau und die Vertiefung des zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn bestehenden Bündnisses abgeschlossen worden ist, wird von der Berliner Presse erörtert.

15. Mai:

Sie (die Welt) wird damit rechnen müssen, daß England mit seinen vierhundert Millionen Einwohnern.. die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ausbaut und vertieft, um seine Überlegenheit in der Versorgung mit Rohstoffen noch zu vermehren. — — Welchen Einfluß könnten die Nachrichten über den Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses auf die Politik der Entente haben? Die Wirkung dürfte nachhaltig sein.

Der Schluß aus diesen Worten ist gerechtfertigt, daß der wesentliche Zweck des Ausbaues und der Vertiefung in der Öffentlichkeit richtig erkannt worden sei.

16. Mai:

In dieser letzten Stunde der Monarchenbegegnung fühlten aber alle Zeugen dieses historischen Ereignisses, daß der Bund zwischen beiden Mittelmächten .. in des Wortes wahrster Bedeutung vertieft worden ist.

— — die Grundlagen einer wesentlichen Vertiefung — —

Der Ausbau des Bündnisses und die Entente

... der Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses mußten unter solchen Umständen die Entente überraschen.

Der Ausbau des Bündnisses und die polnische Frage.

Der Ausbau der Technischen Hochschule und der Stadtrat.

Wiener Börse: — — und die große Bedeutung des politischen und militärischen Ausbaues des Bündnisses wurde weiter eingehend besprochen. Insbesondere wurde hervorgehoben, daß die Vertiefung — —

23. Mai:

Es ist anzunehmen, daß bei dieser Gelegenheit auch die Besprechungen über die zur Vertiefung und zum Ausbau des Bündnisses zu treffenden Vereinbarungen beginnen werden.

24. Mai:

Der Ausbau des wirtschaftlichen Bündnisses mit Deutschland.

... deshalb ist es von besonderem Interesse, zu hören, was dieses hervorragende Mitglied des Kabinetts Wekerle über die Beschlüsse, betreffend den Ausbau des wirtschaftlichen Bündnisses mit Deutschland sagt ... »... Ich selbst strebte immer eine Vertiefung des Wirtschaftsverhältnisses zum Deutschen Reiche an ...«

4. Juni:

... die Welt hörte die Verkündigung, daß der Entschluß gefaßt worden sei, das Bündnis auszubauen und zu vertiefen — — Die Vertiefung des Bündnisses werden die Monarchie und Deutschland nach dem Kriege als Bedürfnis empfinden — — Sicherheit kann nur werden durch Ausbau und Vertiefung des Bündnisses. — — Budget, Anleihen und Steuern können nicht warten, bis das Bündnis mit Deutschland politisch, militärisch und wirtschaftlich ausgebaut ist.

Konstantinopel, 4. Juni:

... In Besprechung der Vertiefung des Bündnisses der Mittelmächte erklärte Redner ... Dr. Friedjung schloß mit einem dreifachen Hoch und Eljen auf den Ausbau und die Dauer des Bündnisses der beiden Mittelmächte mit der Türkei.

5. Juni:

Das Bündnis und seine Vertiefung.

— — die erste Frage galt der Vertiefung des Bündnisses der Mittelmächte — —

Der Ausbau des österreichisch-ungarisch-deutschen Bündnisses in militärischer Beziehung.

— — Die Vertiefung des Bündnisses auch in militärischer Hinsicht ist darum eine unbedingte Notwendigkeit.

Dr. Wekerle und Graf Tisza über die Vertiefung des Bündnisses. — — Äußerungen von einer Seite gefallen sind, die gegen eine Vertiefung des Bündnisses Bedenken hegte.

13. Juni:

Der Ausbau des Sieges bei Noyon.

Graf Burian über die Vertiefung des Bündnisses.

1. Juli:

Die Beratungen in Salzburg über den Ausbau des Bündnisses. — — sind die leitenden Auffassungen bei der wirtschaftlichen Vertiefung des Bündnisses — — Wirtschaftsgebiet, dessen Grundmauern in Salzburg aufgerichtet werden sollen — —

Und noch im September konnte dieser von keiner Materialnot abgeschreckte Förderer des Baugewerbes die Genugtuung erleben, daß der deutsche Kaiser dem Hetman nachrühmte, er habe »die Ukraine zu einem neuen geordneten Staatswesen auszubauen begonnen«, worauf der Hetman der Hoffnung Ausdruck gab, daß »die Beziehungen zwischen dem mächtigen Deutschen Reiche und der Ukraine sich immer mehr vertiefen werden«. Inzwischen hatte sich aber bereits eine Folge der Vertiefung des andern Bündnisses gezeigt:

Berlin, 23. Mai. (Privattelegramm des »Neuen Wiener Journals«.) Die »Tägliche Rundschau« meldet aus dem Haag: »Times« melden aus Turin, daß die italienische Börse seit der deutsch-österreichischen Kaiserzusammenkunft eine bemerkenswert flaue Stimmung zeige. Man glaubt, daß die Italiener durch die Tiefe des Bündnisses sehr enttäuscht worden sind.

Der Ausbau hingegen scheint vorläufig noch keinen Eindruck auf sie zu machen. Immerhin mehrten sich von Tag zu Tag die Symptome, die es dem publizistischen Wortführer der Zentralmächte rätlich erscheinen ließen, die Entente darüber zu beruhigen, daß man auch hier einem Völkerbund nicht mehr abgeneigt sei und daß »die Einrichtung der Schiedsgerichte nach dem Kriege stark ausgebaut werden müsse«.

Was aber, kann man fragen, wäre geschehen, wenn ein sogenannter Staatsmann, also der Vertreter eines zumeist verfehlten Berufs, der, wie nicht allein der Fall des Herrn Kühlmann beweist, nicht einmal die Fähigkeit zum Privatmann hat, die Parole ausgegeben hätte, die Verhandlungen seien angebahnt und in Fluß gebracht worden?* Das Geringste wäre gewesen, daß nunmehr — im gespenstischen Gehorsam, mit dem die Phrase überallhin und noch in ihr eigenes Gebiet folgt — auch die Schiffahrt zwischen Wien und Budapest in Fluß gebracht und eine neue Zugsverbindung zwischen Wien und Berlin angebahnt würde. Da aber in solchem Fall die Gefahr der Koffereinbrüche und der Postdiebstähle in hohem Grade besteht, so wurde für alle Fälle rechtzeitig verlautbart:

Die Abwehrmaßregeln gegen die Diebstähle an Postgütern, die bereits getroffen wurden, sind im unablässigen Ausbau begriffen.

Was nützt das aber? Da eben in den Zeiten des Ausbaus und auch der Vertiefung die Eisenbahndiebstähle überhandgenommen haben, so bleibt nichts übrig, als das Reisegepäck versichern zu lassen. Da müßten aber die Versicherungsgesellschaften auch nach dem Rechten sehn:

Ein Ausbau der Bestimmungen über die Versicherung des Reisegepäcks ist heute um so dringlicher, als die beraubten Objekte von den Eisenbahndieben geradezu kunstgerecht behandelt werden.

Etwa so wie die Seele der Völker von den Diplomaten. Welche Feinheiten da möglich sind, welche Komplikationen da eintreten können, zeigt ein Vorfall, der sich beim Ausbau und bei der Vertiefung zugetragen hat. Nämlich das Bündnis, kaum ausgebaut und vertieft, ist plötzlich noch »ausgelegt« worden. Die neuerlichen Beratungen im deutschen Hauptquartier haben amtliche Mitteilungen zur Folge gehabt und diese einen Veitstanz, der alle bisherige Leidenschaft als den Zustand der Totenstarre erscheinen läßt. »Die Fassung in Wien und Berlin« bringt den Unglücklichen derart aus der Fassung, daß er zuerst nur zu jappen beginnt, bis er in unartikulierten Lauten hervorbringt, was ihn eigentlich so aufregt. Wir hören, daß es der Ausbau sei, vermissen die Vertiefung und erfahren:

Eine genaue Prüfung des Textes der in Wien und Berlin veröffentlichten Mitteilung zeigt einen Unterschied, der in die Augen springt.

Und nun fängt er an in die Augen zu springen, er, jener.

Die beiden Communiqués sind in den Sätzen, in den Ausdrücken und in den spärlichen Mitteilungen gleichlautend, mit einer einzigen Ausnahme.

Nein, die erfahren wir noch lange nicht.

In Wien und Berlin wird gesagt — — In Wien und Berlin wird erzählt — — In Wien und Berlin wird mitgeteilt — — da ist volle Gleichheit im Inhalte und in der Form. — — wird mit Genugtuung aufgenommen werden. Denn nichts kann wichtiger sein als der Felsblock — — nichts kann das Gefühl der Sicherheit mehr befestigen — —

Nun also. Und der Unterschied?

Das in Wien veröffentlichte Communiqué sagt, die Zusammenkunft der beiden Kaiser habe auch festgestellt, »daß die erlauchten Monarchen an ihren im Mai gefaßten bündnisvertiefenden Beschlüssen festhalten«. Das in Berlin veröffentlichte Communiqué sagt, die Zusammenkunft habe »auch die gleiche und treueste Auslegung des Bündnisses festgestellt«. Wenn der Satz über das Festhalten an den Maibeschlüssen, betreffend die Vertiefung des Bündnisses, im Wiener Communiqué in ein Verhältnis gebracht wird zu dem Satze über die gleiche und treueste Auslegung des Bündnisses im Berliner Communiqué, so ergibt sich kein Widerspruch, sondern nur die Tatsache, daß in jeder der beiden Mitteilungen von etwas anderem gesprochen wird.

Nun also.

Die gleiche und treueste Auslegung des Bündnisses kann nicht im Gegensatze zu den Maibeschlüssen über die Vertiefung des Bündnisses sein und diese wäre undenkbar ohne die gleiche und die treueste Auslegung des jetzigen Bündnisses.

Gewiß nicht.

Aber dem deutschen Publikum wird etwas mitgeteilt, was das Wiener Communiqué nicht sagt, und umgekehrt. Es handelt sich um Erklärungen, die, nebeneinandergestellt und in einem und demselben Communiqué veröffentlicht, nichts Auffallendes hätten. Sie fallen nur auf, weil in einem Communiqué vom Festhalten an der Bündnisvertiefung nichts zu lesen ist und in dem anderen wieder nichts von der gleichen und treuesten Auslegung des jetzigen Bündnisses. Mitteilungen über die Zusammenkunft der Kaiser pflegen im Einvernehmen verfaßt und dem Publikum zugänglich gemacht zu werden. Graf Burian war somit einverstanden mit dem Hinweis auf die gleiche und treueste Auslegung des Bündnisses und Graf Hertling hat der Feststellung zugestimmt, daß die beiden Kaiser an ihren im Mai gefaßten bündnisvertiefenden Beschlüssen festhalten. Beide Staatsmänner sprechen aus beiden Communiqués und keiner von ihnen kann über die Zusammenkunft sagen, was der andere nicht billigt.

Gewiß nicht. So weit wären wir also beruhigt, sind es aber noch immer nicht. Denn es ist nicht nur die Auslegung des Bündnisses auszulegen, sondern die gleiche und treueste Auslegung des Bündnisses und nicht nur des Bündnisses, sondern des jetzigen Bündnisses im Gegensatz zum Bündnisse als solchem, und hinter den Gitterstäben dieser Begriffe hin und her gejagt, in der Selbstqual vielfacher Zwangshandlung heillos verzappelt, verröchelt der auslegende Verstand ins Delirium.

Aber die Ungleichheit der Fassung dürfte trotzdem nicht grundlos sein. Die Andeutung ist zu erkennen, daß die Monarchie bei der Vertiefung des Bündnisses nach den im Mai gefaßten Beschlüssen die polnische Frage zur Lösung bringen will. Graf Burian hat sie schon im Juni damit in Zusammenhang gebracht. Deshalb wird die Vertiefung des Bündnisses im Wiener Communiqué unterstrichen. Das Berliner Communiqué spricht von der gleichen und treuesten Auslegung des jetzigen Bündnisses. Es will dessen Bestand und Wirkung in keine Abhängigkeit von den schwebenden Fragen des Ausbaues sowie von der austro-polnischen Lösung bringen ...

Denn das fehlte noch! Die Vertiefung kann ausgelegt, aber der Ausbau kann doch nicht verlegt werden.

Auch die treueste Auslegung des Bündnisses —

Ist das noch die gleiche? Er ermattet!

ist, wie das Berliner Communiqué sagt, in der Monarchie und in Deutschland gleich. Graf Burian will die Vertiefung des Bündnisses und Graf Hertling auch. Der deutsche Reichskanzler will aber das jetzige Bündnis, selbst wenn es nicht vertieft werden könnte. Die Monarchie teilt diese Ansicht. Die Grundauffassungen über das Zusammenstehen kommen aus Notwendigkeiten. Die treueste Auslegung des Bündnisses ist wechselseitige Unterstützung an den Fronten gegen den Feind. Das tut die Entente; das sollten die Mittelmächte tun.

Sie tun es, weiß Gott, sie tun es, auch wenn ihnen einer nicht so heftig zuredete und selbst wenn’s ihnen übel ausgelegt werden sollte. Welch ein Bild vertiefter Nibelungentreue, wenn zwischen den beiden Schultern dieser Kopfsteht, immer in siedender Sorge um die gegenseitigen Bündnispflichten, zu deren Wahrung er schließlich noch dieses Opfer auf sich nimmt:

Berlin, 20. August.

Gegenüber gewissen Auffassungen in der Presse wird in hiesigen informierten Kreisen betont, daß bis heute eine amtliche Erklärung über Einzelheiten der Besprechungen im Großen Hauptquartier nicht veröffentlicht wurde. Von einem Unterschied zwischen dem deutschen und österreichischen amtlichen Bericht über die Zusammenkunft könne keine Rede sein.

Welch ein Abschluß der geredeten Unendlichkeit! Nein, ehe das noch geschah, war’s toll genug. Ohne alle Auslegung: Das war kein Schlagwort mehr, das war ein Fluch: Ausgebaut und vertieft sollst du werden! Und ein Schlachtbankier, der sich sonst wahrlich mehr aufs Einnehmen als aufs Auslegen versteht, ahndete die Sünden der Väter und es war ein Strafgericht über die lesende Menschheit wie nie zuvor. Denn keinen von allen jenen, die da schreiben, liest man mehr mit den Ohren als diesen da. Nie aber ist so der ganze Inhalt einer Zeit Geräusch geworden, nie so der Bund von Ton und Ding, einer hoffnungslosen Welt und eines verzweifelten Rhythmus, ausgebaut und vertieft gewesen, und schwer lastete es auf Hirn und Herz jener Minderheit, die noch spürt, was ihr getan wird und deren Scham das Wort so viel wie die Tat gilt. Was diese bedeutet, das empfand sie, und daß sie es täglich zu hören bekam, das machte sie mir zum erbarmenswürdigsten Ohrenzeugen eines Verhängnisses. Und als ich ihr darum, den ganzen Explosivstoff erfassend, den hier die dämonische Regie des Zufalls just damals in denselben Kübel trug, das da vorlas:

DIE CHINESISCH-JAPANISCHE MILITÄRKONVENTION.

Volle Herrschaft Japans in China.

Bern, 30. Mai.

Der »Shanghai Gazette« zufolge haben die geheimen Abmachungen der eben zustande gekommenen Militärkonvention zwischen Japan und China folgenden Inhalt:

Die chinesische Polizei wird von Japan neu organisiert.

Japan übernimmt die Leitung sämtlicher chinesischer Arsenale und Werften.

Japan erhält das Recht, in allen Teilen Chinas Eisen und Kohle zu fördern.

Japan erhält alle geforderten Privilegien in der äußeren und in der inneren Mongolei, ferner in der Mandschurei.

Schließlich sind eine Anzahl von Maßnahmen getroffen, die das Finanz- und Ernährungswesen Chinas japanischem Einfluß unterwerfen — —

da war eine Stille atemloser Bejahung, in die ich zu noch nie erlebter Tragödienwirkung und zu einem Beifall, der die überstandene Orgie überdröhnte, mit dem schlichten Nachsatz fuhr:

Mit einem Wort — das Bündnis zwischen Japan und China ist ausgebaut und vertieft.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 484-498, XX. Jahr
Wien, 15. Oktober 1918.