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Februar 1915

Ein Tag aus der Zeit, die die grosse geworden war

»— — — Um 6 Uhr traten wir an, schweigsam, keiner sagte ein Wort. Die sich näherstehenden Kameraden reichten sich noch einmal die Hand. — — — Er sprang vor, kam aber gleich wieder zurückgekrochen; — — das ganze Kinn, der Mund, alles weggerissen; beim Verbinden fiel die halbe Zunge zum Munde heraus, er hatte auch den Arm zerschossen. Dann ging alles vor, da setzten feindliche Maschinengewehre ein, es war furchtbar. Die Kameraden fielen rechts und links, der Leutnant schrie: ›Ich bin fertig!‹ Er hatte Arm und Bein zerschossen. — — Ich sah Tote, denen der ganze Kopf zerschmettert war. Die Wut war furchtbar, die Ruhe aber eisern, das Gewehr lag in der Hand wie ein Schraubstock. — — — Neben mir lagen Pferde und Menschen über- und untereinander. — — — Dann kam Morast. — — Meine Gruppe war nur noch zwei Mann stark — — — besonders der Schützengraben war bis oben ›ran voll. Dann sammelte sich die Kompagnie. Es fehlten der Hauptmann, die Leutnants und einundvierzig Mann. — — — Der Oberst begrüßt uns mit dem Rufe: ›Guten Morgen, erstes Bataillon!‹ Dann wollte er reden, aber wir hörten nur ein Stammeln, er weinte! Da sprach der General. Er sagte, wir hätten einen achtmal so starken Feind fast vernichtet und das Bataillon wäre für alle Zeit berühmt. Dann gab er uns ein Hurra! Da stand ein ganzes Regiment und weinte. — — — Dann traten wir weg und bekamen Essen, aber es schmeckte keinem. Um ½4 Uhr begruben wir die Toten und um 7 Uhr ging es wieder in den Schützengraben, wo wir heute noch sitzen.« — Das war am 20. Oktober. Inzwischen hat auch den Schreiber dieses Briefes das tödliche Blei getroffen.

Es ist wirklich ein gesellschaftliches Ereignis gewesen, eine jener hübschen, wienerischen »Sensationen«, bei denen man so gerne »dabei ist«. In unoffizieller, gemütlicher Weise ist gestern nachmittag das große Kaiser Wilhelm-Kaffee im Grögerhofe der Weihburggasse Nr. 10 bis 12 eröffnet worden. Wunderschön sind die das ganze Erdgeschoß und Mezzanin umfassenden, ideal ventilierten Räume mit ihrer fein abgetönten, noblen Architektur, die durch die Lichterflut zu erlesenen Farbenwirkungen zusammengeschlossen wird. Und so warm, so intim sind die Plätze und Ecken, zu denen sich die weitzügige, brillante Anlage der Säle löst, ein von deutschem Geist erfülltes Reich echt heimatlicher Behaglichkeit. Blumengeschmückt grüßen die Künstlerbildnisse unseres Monarchen und des deutschen Kaisers. Die Fahne wagefreudigen Kaufmannsgeistes hält dieses Unternehmen auch in ernster Zeit hoch. Überall frohes, fesselndes Getriebe. Man zeigt einander, »wer da ist«: die umringten Schauspielerinnen dort oben im reizenden Estradensalon, die Künstler, Beamten, die Herren der Diplomatie, Offiziere, Finanzwelt. Man drängt sich um die Schreibstube und das Hamburger Büfett mit seinen köstlichen, kleinen Spezialitäten, die Damen delektieren sich in der Konditorei, und frohe, kleine Gruppen richten es sich in der Bar behaglich ein. Mit diesem Prachtkaffee zieht neuer, modernster Geist ins wienerische Kaffeehausleben ein. Bis spät in die Nacht währt das Treiben, und wer das Kaiser Wilhelm-Kaffee verläßt, weiß, daß er morgen, übermorgen und immer wieder kommen wird.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 405, XVI. Jahr
Wien, 23. Februar 1915.