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Dezember 1912

Und in Kriegszeiten

ward kundgetan, daß die Kerntruppen der Wiener Gesellschaft vor dem auf der Bühne aufgestellten Johann Strauß-Denkmal defilieren würden mit dem Siegfried Löwy an der Spitze. In Bereitschaft sein ist Alles. Überall bildeten sich Gruppen. Ein Sorgenvoller gestikulierte und man hörte die Worte: »Und ich sag Ihnen, er hätt doch Pik-As ausspielen sollen!« Selbst in den Foyers schleicht die bange Sorge. »Haben Sie schon gehört?«, entringt es sich einem schwer Atmenden. »Was denn?« »Die Mutzi Putzi ist nicht zu haben!« »Nicht möglich! Ist das authentisch?« ... Wie, es ist nur die Oberschicht, die überall in Europa fault und glänzt? Hier ist alles Oberschicht; denn sie läßt sich zu allem herab und alles verständigt sich durch Feuilleton, Trinkgeld und Operette. Die patriotische Begeisterung ist da, der Blumenmann erzählt in der Kaiserbar, daß man in der Habsburger- Weinstube den Prinz Eugen verlangt hat. Zehn Jahre lang haben sie für das Milieu der Danilos und Njegusche geschwärmt, weils der Librettist wollte. Rassenstolz wird die Gesellschaft erst, wenn der Leitartikler es empfiehlt. Nun verhüte Gott, daß einer Lustigen Witwe das Pendant ersteht. Eine Nation, die 75.000 Kronen jährlich an Herrn Treumann zahlt, soll sich nicht über die Milliarden beklagen, die für militärische Zwecke geopfert werden. Wenn die Geschäfte schlecht gehen, so ist es nur, weil sie früher zu gut gegangen sind. Kein Mitleid mit einer Gesellschaft, in der es den Kultureinbrechern am besten ging! Die Aufführungsziffer einer modernen Operette ist die blutigste Zahl, die je in der Geschichte eine verlorene Schlacht bedeutet hat. Eine Operettenkultur rückt zu Zeiten auch mit Kriegsbegeisterung aus. Ihre Soldaten sind Schreiber. Völlig verantwortungslose Subjekte, die heute eine Premiere und morgen einen Krieg lancieren. Heroische Witzblattgeister, die zur Tat der andern einen Reim finden und das offizielle Österreich wegen Zurückhaltung tadeln. Wohl steht der Soldat über dem Hofrat, aber noch unter dem Feigling steht der anonyme Kriegshetzer. Und der erbärmlichste aller Regenwürmer, die je bei schlechtem Wetter herausgekrochen sind, ist der vom Staat ausgehaltene Schöngeist, der den Staat in amtsfreien Stunden verhöhnt und unter einem nom de guerre zum Krieg ruft. Der schmähliche Mut ahnt nicht, daß es einen Rest von Kulturgefühl gibt, den die Sorge lähmt, einen Rest von Wert zu gefährden und eine Fülle von Unwert zu bewahren. Die jahrzehntelange Übung von Giftmischern zu verantworten, reicht die Wehrmacht Europas nicht aus, und im Krieg, der heute nur ein Ausbruch des Friedens wäre, erneuert sich keine Kultur mehr, sondern rettet sich durch Selbstmord vor dem Henker. Es gibt nur einen wahren Sieg: die Abtretung des Unrats an den feindlichen Staat. Nicht daß eine gehorsame Masse von einem ihr unbekannten Willen, aber daß sie von einer ihr unbekannten Schuld in Gefahr geführt wird, macht sie mitleidswürdig. Was können sie dafür, daß Banden, die über Druckerschwärze verfügen, Taten und Kurse lenken und den Argwohn des Volks in Musik ersäufen? Was können sie dafür, daß die Harmlosigkeit dem Goethe- Denkmal einen Maronibrater-Deckel aufsetzt und die Presse es heiter findet, weil er »schwungvoll« wie eine Couleurmütze gewirkt hat und die Maronibraterlaterne in Goethes Hand »gleichsam als Kommentar zu seinem berühmten Wort ›Mehr Licht‹«! Was können sie dafür, daß im wildesten Frieden der Geist dieses Vaterlandes, vom Schönpflug gezeichnet, drei Ringstraßenherren (Zivil und Uniform) einen Dialog führen läßt:

Franz: Kinder, Maderln gibt’s in dem Wien — aber schon großartig. Rudi (stolz): Ich kenn’ sie Alle. Mucki: Kinder, red’n wir von was G’scheiterem. Ich hab’ einen Riesen-Hunger. Franz: Dagegen gibt’s nur ein Mittel: Geh’n wir essen! Rudi: Ja, ja.. aber wohin denn nur?.. Mucki: Das is gut. Hast denn eine Auswahl, wenn Du in der Kärntnerstraße stehst? Da gibt’s doch nur den Hopfner! Rudi: Richtig! Richtig! (lachend) Fast hätte ich auf das Beste vergessen. Franz, Du wirst zufrieden sein. Besser kannst Du Dir’s gar nicht wünschen. Und die Gesellschaft! Ich treff immer eine Menge Bekannte beim Hopfner.. Mucki (unterbrechend): Nur keine langen Reden, Kinder. Und nachher? Rudi (eifrig): Da hab’ ich eine Idee. Wir fahren zum Five o’clock in Hopfners Parkhotel nach Hietzing. Is Dir’s recht, Franzi? Franz: Einverstanden. Ich hab’ schon lang hinauswollen. Soll großartig sein.. Mucki: Weiter, weiter. Für den Abend werd’ ich mit einem Programm dienen. Hast Du net morgen Namenstag, Franzi? Franz: Auf was Du alles denkst! Mucki: Also paßt’s auf! Morgen eröffnet der Hopfner den Graben-Keller. Großartig, sag’ ich Euch! Endlich wird man auch in der Stadt am Graben essen können! Kinder, da geh’n wir hin und feiern den Namenstag vom Franzi. Ist’s Euch recht? Franz und Rudi (im Chor): Einverstanden! Der Mucki soll leben! (Die drei Freunde gehen Arm in Arm zum Hopfner in der Kärntnerstraße, um dort den ersten Teil des Programms, das Diner, zu absolvieren.)

Eine Gastwirtreklame? Nein, ein Kriegsbericht!

Vgl.: Die Fackel, Nr. 363/364/365, XIV. Jahr
Wien, 12. Dezember 1912.