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Oktober 1913

Der Neger

In Hamburg, nöch, scheint ′n Mann zu leben, der ’ne Annäherung Weißer an Schwarze und vice versa, wie das so kommt, wenn bei Hagenbeck ’ne Ausstellung ist, mal partout nich vertragen kann. Müssen dolle Dinge passiert sein, nöch, und so was wird man denn sein Leben lang nicht los. Das ist der Mann, von dem alle die Aufschreie in den ›Hamburger Nachrichten‹ herrühren, und der nun ruft:

Pfui!

Die Usambara-Post (26. Juli) bringt folgenden Brief eines deutschen Mädchens (natürlich Berlinerin), der an einen Europäer in Tanga geschickt wurde, bei dem der Herr Mambo angestellt sein sollte, jedoch wahrscheinlich an die falsche Adresse ging:

Sehr geehrter und lieber Herr Mambo! Entschuldigen Sie, bitte, wenn ich als eine Ihnen bisher gänzlich Unbekannte mich mit einer sehr großen Bitte an Sie wende und mich den Ausführungen Ihres Sohnes Josef, dessen Brief Sie vielleicht inzwischen schon erhalten haben werden, anschließe. — Ich verkehre seit länger als einem halben Jahr mit Ihrem Sohn hier in Berlin. Nun werden mir aber von seiten eines andern Mädchens, mit dem Ihr Sohn vorher verkehrte, große Schwierigkeiten gemacht, die einen weiteren Verkehr hier mit ihm fast zur Unmöglichkeit machen. Wie ich schon erwähnte, verkehre ich jetzt über ein Jahr mit Ihrem Herrn Sohn und habe ihn in dieser kurzen Zeit so kennen und lieben gelernt, daß ich ohne ihn nicht mehr leben könnte. Ich selbst bin hier in Berlin im Bureau beschäftigt, verdiene aber leider nicht so viel, daß ich mir die 700 Mark Reisegeld hätte zusammensparen können, sonst, wenn mein Verdienst danach wäre, hätte ich mir gern jeden Pfennig abgespart, um ihn für das Reisegeld für uns beide zurückzulegen. Ich würde Ihnen darum unendlich dankbar sein, wenn Sie den Bitten Ihres Sohnes und auch meiner Bitte entsprechen und das Geld schicken würden, es soll ja nur geborgt sein, wenn wir erst drüben sind, will ich gleich wieder in Stellung gehen und Ihnen dann alles auf Heller und Pfennig zurückgeben. Ich möchte ja so furchtbar gern einmal nach Tanga kommen, erstens, um meinen Josef dann ganz für mich haben zu können, und dann auch, um seine lieben Eltern einmal kennen zu lernen. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, daß ich mit einer so unbescheidenen Bitte an Sie herantrete, wo Sie noch gar nicht einmal wissen können, ob ich es überhaupt würdig bin, von Ihnen aufgenommen zu werden, aber ich werde mich ganz gewiß dessen würdig erzeigen! Rechnen Sie bitte meine Unbescheidenheit meiner großen Liebe zu, die mich mit Ihrem Sohn verbindet! ... Ich gebe mich der kühnen Hoffnung hin, daß Sie vielleicht meinem und auch dem Wunsche Ihres Sohnes Rechnung tragen werden, und erlaube mir, Sie wie auch Ihre Frau Gemahlin unbekannterweise herzlichst zu begrüßen.

Ihre ganz ergebene H.O. (Folgt genaue Adresse.)

Es ekelt einen, wenn man dieses brünstige Geschwätz liest, und wir bedauern nur, daß die Usambara-Post so rücksichtsvoll gewesen ist, den Namen der Schreiberin nicht zu nennen. Solchen Geistern und Gesinnungsgenossinnen, die es leider ja auch in Hamburg gibt, kann man nur beikommen und sie zur Vernunft bringen, indem man sie offen an den Pranger stellt. In welcher Schule mag wohl die Briefschreiberin gewesen sein, daß sie alle Scham vermissen läßt und so offen bekennt, daß sie sich an einen Neger wegwirft! ...

Wie schwer es unter solchen Umständen ist, den Wunsch zu unterdrücken, einmal dabei zu sein, wie dieser Schriftleiter dabei ist, wie seine Begleiterin sich an einen bei Hagenbeck ausgestellten Neger eben wegzuwerfen beginnt, noch — das läßt sich gar nicht sagen! Und noch weniger, wie man es bedauern muß, daß man nicht schon früher einmal dabei war. Es ließe sich akkurat der Moment feststellen, wo die angesammelte Tobsucht zu jenem Pfui! erstarrt. Und prüfen, ob dieses Pfui! nicht noch immer brünstiger sei als der Brief der Schreiberin, und ob es nicht kulturvoller wäre, den Namen des Schreibers an den Pranger zu stellen, der für den frechen Raub eines Briefes kein Pfui hat. Ich brauche nicht erst zu sagen, aus welchem Zusammenleben mir eine bessere Menschenhoffnung zu erblühen scheint, aus dem der Berlinerin mit ihrem Mambo oder aus der Einheirat, die die deutschen »Schriftleiter« rekommandieren. Auch sei es ferne von mir, die Neger durch die Versicherung kränken zu wollen, daß ich, wiewohl ich nur zwei von ihnen kennen gelernt habe und zweihundert deutsche Schriftleiter, nicht zweifle, bei welcher Rasse mehr Verstand, Menschlichkeit und Güte ist. Freilich sind die Schriftleiter zwar die Beherrscher, doch nicht die Auslese der Zivilisation. Darum ist es aber wichtig, ausdrücklich festzustellen, daß ich einmal einen Neger gesehen habe, der der Kulturlosigkeit einer ganzen Stadt ausgeliefert war und mir den Eindruck einer unter die Kaffern geratenen weißen Seele machte. Er war Chauffeur und er machte nicht nur an und für sich unter den Leuten, durch die er hindurch mußte, den Eindruck eines Gentleman, sondern er blieb es auch, als sie die ihnen innewohnende Gemeinheit an ihm sich austoben ließen. Denn nicht nur, daß das stereotype Spalier offener Mäuler und gereckter Arme ihn begleitete und der ewige Ruf: »A Näägaa —!« aus dem Boden sprang und wie festgewurzelt dastand, wenn er mit seinem Automobil vorüberflitzte — wir hörten auch, wenn ein Wachmann den Verkehr aufhielt, Sentenzen, Ratschläge, Verwünschungen wie: »Geh hörst’rr schau drr den schwoazen Murl an!«, »Hörst Muri, wosch di o!«, »Na woart du schwoaza Pülcher!«, »Geh ham, Schwoazer, verschandelst uns jo die gonze Stodt!«, »Do fohr oba, zur Daunau und wosch diii —!«, »Hörst, wann i di drwisch, nacher schau di an, schwoaza Kinäsa!«, »Jessas, a narrischer Indianer!«, »Aschanti vadächtigaa —!«, »Tepataa —!«, »Stinkataa —!« Ein Denker hielt sich die Stirn und rief: »Ah — jetzt waß i ollas!« Was, verriet er nicht. Eine Megäre, deren Säfte in Wallung kamen, rettete sich in einen Lachkrampf, ihren Begleiter fragend: »Hirst, is dr der am ganzen Kirper schwoaz?« Das Automobil entflieht, und auf meine Frage, wie ihm das Leben gefalle, antwortet, die Achsel zuckend, dieser Schwarze im reinsten Deutsch: »Ach, die Wiener haben eben keine Kultur.« Ich beschloß, ihn zu schützen, indem ich künftig das Prävenire spielen und auf jeden Maulaufreißer mit dem Finger zeigen wollte: »A Wienaa —!« Aber es half nichts. Die Neger sind nun einmal in unserer Mitte auffallend, und das Auffallende zieht eine Welt von Wilden, Weibern und Besoffenen an. Der Neger macht sich dadurch auffällig, daß der Weiße unruhig wird. Manchmal aber exzediert auch der Neger, er, der zumeist gegen die ärgsten Pöbeleien der Zivilisierten seine Ruhe bewahrt. Da war einmal einer in Wien, Diener in einem Geschäftshaus. Er bekam Sehnsucht nach der Heimat und sein Herr schickte ihn zurück. Dort angelangt, bekam er Sehnsucht nach seinem Herrn und fuhr wieder nach Wien. Hier angelangt, kam er eben zum Begräbnis seines Herrn zurecht. Auf dem Friedhof kam es zu einem Negerexzeß, der die herumstehenden Weißen in starres Staunen versetzte. Mit seinen wilden Negerfäusten soll dieser Untermensch gegen die Unabänderlichkeit rebelliert haben, gestampft, getanzt, geschrien — matchiche macabre — daß allen, die es sahen, der schwarze Schmerz das Grab zu überwachsen drohte, es zu verschlingen schien und sie, von Graun gepackt, mit einem Pfui und ihrer bleichen Trauer zurück ins Leben flohn, in das Geschäft, weg von der Stätte, wo Naturgewalten rauften und wo der Schwarze und der Tod sichs unter sich nun auszumachen hatten.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 384/385, XV. Jahr
Wien, 13. Oktober 1913.