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Wie kommt das nur?

Die Halbmonatsschrift ›Lacerba‹ (Florenz, I. Jahrgang, Heft 2) bringt eine Übersetzung von Aphorismen aus »Sprüche und Widersprüche« und »Pro domo et mundo«, die recht gut zu sein scheint. Immerhin ist es auch gut, daß als letzter der vierunddreißig Aphorismen — gemäß der Vereinbarung — dieser übersetzt wurde:

Tradurre un’opera di lingua in un’altra lingua significa mandare uno oltre il confine, levargli la sua pelle, e fargli indossare dipoi il costume del paese.

Und erfreulich ist, daß man auch in Italien versteht, daß:

Il parlamentarismo e l’accasermamento della prostituzione politica.

In dem gleichen Heft steht ein Aufsatz »Giorgio Brandes. Una Stroncatura« (von Tavolato), dessen Anfang auch dem Nichtitaliener gut klingen dürfte:

In tutta la sua vita il mezzano letterario Giorgio Morris Cohen Brandes non ha fatto altro che mangiar libri e cacar recensioni.

In ›La Voce‹, einer Florentiner Wochenschrift (V. Nr. 7) hat die »Libreria della Voce« der deutschen Literatur eine Rubrik eingeräumt: »Opere die Carlo Kraus«. Das ist nur deshalb auffallend, weil in Florenz vermutlich niemand diese Opere kauft und weil es in Wien keinem Buchhändler einfiele, sie zu annoncieren, und in München, wo sie verlegt sind, keinem, sie in ein Schaufenster zu stellen. Nun wird von der betroffenen Seite auf nichts mehr gepfiffen als auf solche Ehren, aber das italienische Kuriosum muß doch verzeichnet werden, zu Zwecken der Selbstberäucherung, die bekanntlich darin besteht, daß man vor Stummen sagt, irgendwo sei geredet worden. Aber es ist weit über alle Bedürfnisse der Eitelkeit hinaus notwendig, zu erwähnen, daß in einem italienischen Blatt — wieder in der ›Voce‹ — eine Revue deutscher Revuen erschien, in der es heißt:

.... e poi — Die Fackel di Karl Kraus.

Mi è cosa gratissima poter segnalare ancora una volta questa rivista e quest’uomo all’ attenzione degli italiani intelligenti. Più si legge Karl Kraus e più bisogna convincersi che egli è uno dei maggiori stilisti tedeschi di tutti i tempi. Non gli domandate la ragione dei suoi amori e dei suoi odi: badate allo stile. E troverete la sua lingua tanto avvincente che il contenuto materiale, l’aneddotico delle sue satire va perdendo, durante la lettura, importanza e sapore originali; resta, puro godimento, la perfezione della forma e le idee. — Riparlerô di Kraus nella Voce. i.t.

Wie kommt das nur, wie erklärt sich das in dieser Welt der Verbindungen, wofern sie es dem Besprochenen glauben sollte, daß er nie ein Heft nach Florenz geschickt und von der dort erscheinenden Literatur keine Ahnung hatte? Und warum muß es notiert werden? Nur weil wir in Berlin ein sogenanntes ›Literarisches Echo‹ haben, welches auch eine Revue der Revuen hält und wohl die schamloseste Fälschung einer Statistik vorstellt, die je gewagt wurde. Das Totschweigen, das die Kritik ausübt, wenn sie sich nicht anders helfen kann, ist ein heiliges Recht der Notwehr. Die Mißgeburten, die die Erkenntnis eines verpfuschten Lebens zu dem verzweifelten Ausweg geführt hat, öffentlich zu meinen, werden von mir bloß getadelt, weil sie Mißgeburten sind, also dort gepackt, wo sie nichts dafür können. Daraus aber, daß sie sich gegen mich wehren, indem sie kuschen, mache ich ihnen den geringsten Vorwurf. Ich wollte, ich könnte mir’s bei ihnen richten, daß durch weitere vierzehn Jahre über mich geschwiegen wird. Wie aber Druckerschwärze zu Schlechtigkeit verleitet, zeigt erst eine Redaktion, die sich das scheinbar harmloseste Amt vorbehalten hat: einfach zu registrieren, was es in der Literatur gibt. Da, müßte man glauben, kann es doch zu keiner Lumperei kommen. Schön, die Konversationslexika werden von Journalisten bedient und lassen sich von denen sagen, wem man die Ehre erweisen soll, für die Welt geboren zu sein. Aber was sagt man zu einer Statistik, die auf die Frage: Weißt du wieviel Sterne stehen, die Antwort hat: Der Sirius paßt uns nicht? Zu einem Echo, das sich den Schall aussucht, auf den es zurückkommt? Das ist mir eine nette Physik! Wie denn, wenn das Fremdwörterbuch das Wort »Echo« ausließe, weil es ihm nicht sympathisch ist? Aber nein, da steht: es war eine Nymphe, die der Gram unerwiderter Liebe zu dem eitlen Narzissus bis zu einem Hauch verzehrte, dem nur noch eine erwidernde Stimme blieb. Ach, sie ging dann nach Berlin und hat sich dort so über mich gegiftet, daß ihr kein Ton mehr blieb. Dagegen, wenn in der ›Grazer Tagespost‹ eine Notiz über Herrn Bartsch erscheint, was sich doch eigentlich von selbst versteht — ruft sie’s zurück. Nichts entgeht dieser Nymphe; nur alles, was mit mir zusammenhängt. Kein fremder Beitrag der Fackel — zur Zeit, da sie noch solche hatte —, kein Liliencron oder Wedekind, kein Strindberg oder Przybyszewski ward je an der Stelle verzeichnet, wo jeder launige Reporter auf Verewigung rechnen darf. Meine Nestroy-Feier, die — nicht als literarische Leistung, nur als kritisches Beispiel — jeden weiteren Festartikel als Abklatsch erscheinen ließ, den Dichter zur Auferstehung gebracht und seinen Historikern, die es in Dankbriefen bekundeten, Aug und Ohr geöffnet hat, wurde verschwiegen und was der Stenograph der Neuen Freien Presse in einem Theaterblatt plauderte, zitiert. Das dreihundertste Heft der Fackel — mit den Beiträgen der ersten Menschen Deutschlands — mußte immerhin für eine Revue der Revuen verlockender sein als die Tatsache, daß im Neuen Wiener Journal der Nachdruck eines Waschzettels über die Kritik einer Besprechung der gesammelten Rezensionen eines Journalisten erschienen ist. Echo widerstand. So daß man fast fürchten könnte, der Gram unerwiderter Liebe zu dieser Nymphe könnte einen Narzissus verzehren. Aber dem bleibt noch immer eine Stimme, um das Echo zu ersuchen, es möge ihn gern haben. Er ist eitel; ihm genügt sein Spiegelbild, er kann den Widerhall entbehren. Und ihm bleibt die Hoffnung, daß die kommenden Literarhistoriker — falls die kommenden Hebammen es nicht vorziehen, die Früchte abzutreiben — sich zwar nicht aus dem Literarischen Echo über die Fackel, wohl aber aus der Fackel über das Literarische Echo Bescheid holen werden. Denn obschon ich keine Statistik führe, wird man mir doch nicht nachsagen können, daß ich ein Fälscher bin. Und wiewohl es mir nicht gegeben ist, auszusprechen was ist — im Grunewald ist auch ein feines Echo —, so wird man mir doch das Zeugnis nicht vorenthalten können, daß ich immer gesagt habe, wie’s ist. Sollte es aber der Nymphe Echo nicht passen, so werde ich ihr eins auf die Pappen geben, daß sie überhaupt keinen Hauch mehr hervorbringen wird.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 372/373, XV. Jahr
Wien, 1. April 1913.