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Der kleine Pan röchelt noch

April 1911

Man sollte meinen, daß von Kultur erst dort die Rede sein könne, wo die Frage der Zimmerreinheit geklärt ist. Was nützen uns die schönen Künste des Spitzes, wenn die Hose leidet? Ecco. Darüber gibt’s keine Debatte, und wenn das demokratische Gefühl in den beteiligten Kreisen hier die Politik ausspielt, so liegt insoferne ein bedauerliches Mißverständnis vor, als durch Politik höchstens die Freiheit vom Maulkorb erstrebt werden kann, nie aber das Recht, zu stinken. Ein anderes Mißverständnis liegt in der Entrüstung darüber, daß man einem Genius wie Herrn Alfred Kerr imputieren wolle, er habe Unsauberkeiten begangen, um das Geschäft einer Halbmonatsschrift zu heben. Da die Halbmonatsschrift nicht Herrn Kerr gehört, so dürfte keiner von den vielen, die sich bei dieser Begebenheit die Nase zuhielten, Herrn Kerr für den Cassirer der Sensation gehalten haben. Der Fall liegt schlimmer. Herr Kerr tat wie Herr Harden, aber aus reinen Motiven. Er hat eine ungeistige Aktion aus Überzeugung vertreten. Er reicht an die Beweggründe des Herrn Harden nicht heran. Um eine schlechte Sache zu führen, muß man ein guter Politiker sein. Herr Kerr ist nur das Opfer seines politischen Ehrgeizes. Herr Harden ist für eine Unanständigkeit verantwortlich; er weiß, daß es im Leben ohne ethische Betriebsunfälle nicht abgeht, und die Kollegen von der Branche können darüber streiten, ob er zu weit gegangen ist. Herr Kerr aber hat einen geistigen Horizont entblößt, der so eng ist, daß ihm nur eine Unanständigkeit zur Erweiterung hilft, und wäre es selbst eine, die er sonst erkennen würde. Er ist der Typus, der seine Gehirnwindungen als Ornament trägt und, da ein Muster der Mode unterworfen ist, keinen Versuch der Renovierung scheut. Die verzweifelte Sehnsucht, von der Nuance zur Tat zu kommen, macht den blasiertesten Artisten wehrlos vor Devisen wie: Alle Menschen müssen gleich sein, Per aspera ad astra oder J’accuse. Die Linie, die durch die feinsten Schwingungen und apartesten Drehungen nicht populär wird, gibt sich einer Perspektive preis, in der sie als Fläche wirkt. Das Problem des Ästheten — Herr Kerr ist einer, und mögen ihn noch linearere Naturen um seine Raumfülle beneiden — ist von Nestroy mit unvergeßlichen Worten umrissen worden. »Glauben Sie mir, junger Mann! Auch der Kommis hat Stunden, wo er sich auf ein Zuckerfaß lahnt und in süße Träumereien versinkt; da fallt es ihm dann wie ein fünfundzwanzig Pfund-Gewicht aufs Herz, daß er von Jugend auf ans G’wölb gefesselt war, wie ein Blassei an die Hütten. Wenn man nur aus unkompletten Makulaturbüchern etwas vom Weltleben weiß, wenn man den Sonnenaufgang nur vom Bodenfenster, die Abendröte nur aus Erzählungen der Kundschaften kennt, da bleibt eine Leere im Innern, die alle Ölfässer des Südens, alle Heringfässer des Nordens nicht ausfüllen, eine Abgeschmacktheit, die alle Muskatblüt Indiens nicht würzen kann.« Mit einem Wort, auch der Feuilletonist hat Stunden, wo er sich nach dem Leitartikel sehnt. »Der Diener ist der Sklav’ des Herrn, der Herr der Sklav’ des Geschäfts«, sagt einer, der dem Prinzipal wohl geholfen, aber von dem Handel nichts profitiert hat. Und: »Wenn ich nur einen vifen Punkt wüßt’ in meinem Leben, wenn ich nur von ein paar Tag’ sagen könnt’: da bin ich ein verfluchter Kerl gewesen. Aber nein! Ich war nie ein verfluchter Kerl. Wie schön wär’ das, wenn ich einmal als alter Handelsherr mit die andern alten Handelsherren beim jungen Wein sitz’ ... wenn ich dann beim lebhaften Ausverkauf alter Geschichten sagen könnt’: Oh! Ich war auch einmal ein verfluchter Kerl! Ein Teuxelsmensch! Ich muß — ich muß um jeden Preis dieses Verfluchtekerlbewußtsein mir erringen! ... Halt! Ich hab’s! ... Ich mach’ mir einen Jux! ... Für die ganze Zukunft will ich mir die kahlen Wände meines Herzens mit Bildern der Erinnerung schmücken. Ich mach’ mir einen Jux!« Einen Jux will er sich machen, der Weinberl. Einen ethischen Spaß nennt es der Herr Kerr. Er will einmal beim lebhaften Ausverkauf alter Geschichten sagen können: Oh! Ich war ein verfluchter Kerr! ... Er habe ja nicht auf das Pathos des Moralphilisters spekuliert. Aber der ethische Spaß lebt von der Heuchelei so gut wie das moralistische Pathos, und es gehört schon ein tüchtiges geistiges Defizit dazu, zu glauben, es sei kulturvoller, durch die Enthüllung eines hochgestellten Lasters das Gewieher des Bürgers herauszufordern, als seine Wut. Als ob in erotischen Situationen eine Heiterkeit möglich wäre, wenn’s kein Ärgernis in der Welt gäbe, als ob Schwankfabrikanten nicht rückwärts gekehrte Mucker wären und die Zote nicht das Widerspiel, das widrige, der Zensur. Ein Überzensor, der Herrn von Jagow kontrolliert hätte, wäre weit sympathischer als dieser Pan, der ein Bocksgelächter anschlug, aber nur gleich dem Sohn des Hermes blinden Lärm erzeugte. Es ist die Sehnsucht nach dem Leitartikel. Denn im Leitartikel wird eine Tat getutet, während im Feuilleton nur eine Tüte gedreht wird. Ob es nun für den ›Tag‹ zizerlweis oder für die ›Königsberger Allgemeine‹ in einem Zug geschieht. Ich halte die Enthüllung, daß die rechte Hand des Herrn Kerr nicht weiß wie die linke schreibt, allerdings für eine Enthüllung des Herrn Kerr, wiewohl ich ihrer nicht bedurft und ganz genau gewußt habe, daß unter den impressionistischen Fetzen ein gesunder Plauderer steckt. Ich halte die Entschuldigung, die die tölpelhaften Helfer des Herrn Kerr vorbringen, der Stil ergebe sich aus dem Gegenstand, der behandelt wird, für ein Malheur. Denn es ist auffallend, würde Herr Kerr in Parenthese sagen, und es ist monströs, würde ich fortsetzen, daß sich die organischen Notwendigkeiten so genau an die redaktionellen Verpflichtungen halten, und daß einer, der in Berlin mit dem Matchiche Furore macht, in Königsberg so gut Polka tanzt. Freilich würde ich hinzufügen, daß ich an den Matchiche nie geglaubt habe, und daß es wirklich gehupft wie gesprungen ist, wie diese Tänzerischen (die ein Echo von Nietzsche in eine Verbalinjurie verwandeln) das Tempo ihres Lebensgefühls nehmen. Takt halten sie in keinem Fall. Was aber ferner auffällt, ist, daß die Arbeitseinteilung des Herrn Kerr seinen Verehrern nicht auffällt, ja, daß sie fortfahren, seine oszillierenden Banalitäten, die vor dem kategorischen Imperativ von Königsberg sofort zur Ruhe kommen und als Zeitungsgedanken agnosziert werden, im Munde zu führen und als »fanalhafte Symptome der aufregenden Herrlichkeit dieses Künstlers« zu empfehlen. Wenn Herr Kerr in Königsberg »die Seligkeit, die Seligkeit, die Seligkeit des Daseins« preisen wollte, würde sie ihm zweimal gestrichen werden, und mit Recht. Denn wenn er es einmal tut, ist es bloß keine Weltanschauung, aber wenn er es dreimal tut, ist es bloß eine schmalzige Stimme. Ich glaube, daß man sich da auf mein Ohr verlassen kann. Auch habe ich wohl ein Gefühl für die Abhängigkeiten des Stils, den nicht nur der »Gegenstand« bedingt. Zum Beispiel bin ich selbst schon in der nämlichen Minute von einer Apokalypse zu einem Hausmeistertratsch hinuntergestiegen. Aber ich lasse mich hängen, wenn nicht eine Blutuntersuchung die Identität ergibt. Und wenn sie nicht bei den Kontrasten des Herrn Kerr die Nullität ergibt, jene, die eine Verwandlung auf technischem Wege ermöglicht. Meine Verehrer, die mich nur halb so gut verstanden wie verehrt haben, müßten dies einsehen, und sie dürften mir nicht abtrünnig werden, weil sie es nicht einsehen. Wenn mir aber ein Weichkopf, der Absynth noch immer für einen ganz besondern Saft hält und von der Unentbehrlichkeit des Montmartre überzeugt ist, »Austriazismen« vorwirft, so muß ich mich in die Resignation flüchten. Denn mein Stil wimmelt nicht nur von Austriazismen, sondern sogar von Judaismen, die jenem nur nicht aufgefallen zu sein scheinen, mein Stil kreischt von allen Geräuschen der Welt, er kann für Wien und für den Kosmos geschrieben sein, aber nicht für Berlin und Königsberg. Es schmerzt mich ja, daß ich so vielen Leuten den Glauben an mich nehme, weil ich ihnen den Glauben an andere nehmen muß. Aber war es schon bei Heine unerläßlich, so muß ich auf die Anbetung vollends verzichten, wenn sie von der Duldung einer Kerr-Religion abhängen soll. Selbst die einfältigsten unter meinen ehemaligen Verehrern (jene, die imstande sind, zugleich zu sagen, daß ich ein nationales Ereignis bin und daß ich mich schämen soll; die Herrn Kerr den einzigen ebenbürtigen Kritiker nennen, der es wagen dürfte, mich zu stellen, und dann behaupten, die Nennung meines Namens in seiner Nähe sei mir zu Kopf gestiegen), selbst solche müßten doch vor der Freiwilligkeit meines Angriffs stutzig werden und sich überlegen, ob es nicht endlich an der Zeit wäre, sich statt über mich über Herrn Kerr aufklären zu lassen. Denn meine Beweggründe sind auch nicht zu verdächtigen. Ich bin weder ein »Schlechtweggekommener« noch ein »verhaltener Dyspeptiker«, Herr Kerr hat sich immer sehr freundlich gegen mich benommen und ich habe ihm gegenüber stets einen guten Magen bewährt. Ferner hätte ich allen Grund, das Odium gewisser Bundesgenossenschaften zu fliehen und die Zustimmung von Leuten zu meiden, mit denen man nur dann ein Urteil gemeinsam haben möchte, wenn sie es einem ohne Angabe der Quelle abdrucken, von solchen, die Herrn Kerr Stil-, Moral- und Urteilswechsel nur deshalb vorwerfen, weil sie keinen Stil, keine Moral und kein Urteil zu wechseln haben. Wenn die starke Hemmung, auf einer Schmiere des Geistes auch nur ein Extempore abzugeben, mich nicht halten konnte, dann war die Lust wohl größer. Nicht die, die literarische Persönlichkeit des Herrn Kerr für einen Irrtum büßen zu lassen, sondern den Zusammenhang zwischen Tat und Stil zu beweisen. Nicht ihn wie einen Holzbock aus dem Schlafzimmer zu jagen oder wie einen Harden aus dem Geschäft, sondern die Schnüffelei als Erlebnis zu erklären, den Skandal als den Tatendrang eines von den Ereignissen ausgesperrten Feuilletonisten. Herr Alfred Kerr ist nicht unwürdig, in ein geistiges Problem bezogen zu werden. Die kulturelle Niedrigkeit dieser Sensation ist nicht in dem Mittel, sondern in dem Zweck begründet, den man Herrn Kerr erst einräumen muß, um zur Geringschätzung zu gelangen. Die antikorruptionistische Absicht des Mannes, nicht die Skandalsucht macht ihn primitiv. Denn das ist der Fall Kerr: die geistige Belanglosigkeit des Jagow’schen Vergehens und der Eifer, mit dem sich ein Komplizierter auf der Tatsachenebene zu schaffen macht. Und da ihm Herr O.A.H. Schmitz, ein Mann, der in einem schlechten Feuilleton nie seine gute Erziehung vergißt, also immerhin ein Sachverständiger für die ›Pan‹-Affäre, Vorwürfe zu machen beginnt, antwortet Herr Kerr bitter, daß man schließlich »noch die Kreuzigung eines wirklichen Heilands oder die französische Revolution« pathosfrei und weltmännisch betrachten werde. Er ist ein Fanatiker. Er scheint von seiner Mission, dem Herrn v. Jagow Absichten auf Frau Durieux nachzuweisen, so erfüllt, von dem umwälzenden Erlebnis, eine Unregelmäßigkeit im Polizeipräsidium entdeckt zu haben, so erschüttert zu sein, daß ihm Nuancen nicht mehr auffallen. Der Unterschied zwischen der französischen Revolution und der Verwertung des Briefes des Herrn v. Jagow ist nämlich bloß der, daß man nicht Aristokrat sein muß, um das spätere Ereignis zu mißbilligen. Ekstatiker übersehen dergleichen. Je länger sie beschaulich gelebt haben, um so dringender verlangen sie zu wirken. Sie wollen für ihr Tun auch leiden; sie wollen aber nicht mißverstanden werden. Die Reinheit des Glaubens ist außer Zweifel; mißverstanden wird höchstens das vielfach punktierte und verklammerte Bekenntnis. Dafür war mir die vorhergehende Stelle ganz klar: »Wenn Schmitz auch nicht durch hervorragenden Scharfsinn ausgezeichnet ist, plaudert er doch geschmackvoll, umgänglich und scheut keine Anstrengung, einen leicht abgeklärten Eindruck zu ertrotzen«. Ein Satz, der immerhin auch für das Plaudertalent des Verfassers zeugt und ganz gut in Königsberg gedruckt werden könnte. Ich kenne Herrn Kerr noch aus der Zeit, wo er Wert darauf legte, daß auch in Breslau Subjekt und Prädikat an rechter Stelle standen. Schon damals, wo die Welt der Erscheinungen sich ihm noch nicht nuanciert hatte, gelüstete es ihn nach einer Tat. Er beschuldigte den alten Tappert, den ernstesten Musiklehrer Berlins, den Hunger dazu getrieben hatte, sich als Kritiker bei Herrn Leo Leipziger zu verdingen, dieses »Amt« zur Erteilung von Privatstunden an Sänger mißbraucht zu haben. Der Kritiker hatte schon früher unterrichtet, und berühmte Sänger, die seinen Tadel nicht fürchten mußten, konnten seinen Rat brauchen. Der Greis, den die Ranküne der Fachgenossen in die Klage hineingetrieben hatte, weinte im Gerichtszimmer, und der Antikorruptionist erreichte, daß Herr Leipziger eine Gage ersparen konnte. Tragisch ist, als Einzelfall nicht für den typischen Übelstand, sondern für die Geistlosigkeit des Enthüllers geopfert zu werden. Mir war es Beruf, mich mit Einzelfällen abzugeben, und noch im Mißgriff der Person verfehlte ich die Sache nicht. Den Irrtum berichtigte die Leidenschaft. Herr Kerr, der sich zum Kampf gegen die Korruption von Fall zu Fall entschließen mußte, hat keinen Zusammenhang mit seinen Wahrheiten. Er ist ein Episodist, während Herr Harden kein Heldenspieler ist. Er will sich nur Bewegung machen, er schwingt Keulen, damit das ästhetische Fett heruntergeht. Theaterkritik ist eine sitzende Beschäftigung. Man sieht im Zwischenakt den Zensor mit der Salondame sprechen und ruft J’accuse. Es entsteht eine kleine Panik und man beruhigt sich wieder. Es jaccuselt im Feuilleton schon die längste Zeit. Und wird einer, der den Mund zu weit aufgemacht hat, niedergezischt, so sind sofort die Claqueure da, die die eigene Sache mit der fremden Sache und die persönliche mit der allgemeinen verbinden, zwischen den Herren Harden und Kerr gegen mich entscheiden und anarchisch die entstehende Verwirrung zu einem Schüttelreim benützen möchten. Als dem beschädigten Herrn Harden Dichter zu Hilfe eilten, als ihr gutes Recht auf Kritiklosigkeit von einer Zeitschrift mißbraucht wurde, nannte Herr Kerr diese ein Schafsblatt. Pan ist der Gott der Herden, und Herr Kerr verzeichnet liebevoll, was jetzt den Leithammeln nachgeblökt wird. Wenn ich besudelt werde und von denen, die mich vergöttert haben, so ersteht mir kein Helfer unter jenen, die es heute noch tun. Das ist nicht unerträglich. Die polemische Unfähigkeit des Herrn Kerr bedarf der Stütze. Daß sie sie eben deshalb nicht verdient, weil sie ihrer bedarf, geht den Helfern nicht ein. Herr Kerr, der jene zu züchtigen versprach, die seine Feststellungen verschweigen wollten, verschweigt meine Widerlegungen. Er begnügt sich mit einem Argument, das ihm ein Geist zur Verfügung gestellt hat, unter dessen Schutz keine Schlacht gegen mich zu gewinnen ist. Aber so leicht will ich ihm das Leben nicht machen. Wenn er schon wie ein Harden reden kann, durch die Fähigkeit, wie ein Harden zu schweigen, wird er seine Anhänger nicht enttäuschen wollen. Es geht denn doch nicht an, daß man auf einem sorgsam vorbereiteten Terrain nicht erscheint, den Gegner, den weder unsaubere Motive noch ein ehrloses Vorleben noch Namenlosigkeit kampfunwürdig machen, glatt im Stiche läßt und die Zuschauer nach Hause schickt. (Es ist auffallend). Herr Kerr zitiert drei Zeilen und Herr Cassirer stellt Strafantrag gegen den Berliner verantwortlichen Redakteur der ›Fackel‹. Die Arbeitsteilung ist im Stil der Affäre. Herr Kerr hat dem Herrn Cassirer bestätigt, daß er sich gegen die Veröffentlichung gesträubt habe, und Herr Cassirer dem Herrn Kerr, daß er zur Veröffentlichung befugt gewesen sei. Ich bin aber unduldsamer als Herr v. Jagow. Ich bestehe Herrn Kerr gegenüber auf dem Rendezvous, zu dem ich ihn mit Berufung auf mein Zensoramt geladen habe, und was die Ehre des Herrn Cassirer anlangt, so muß ich es freilich ihm als Geschäftsmann überlassen, zu entscheiden, ob durch eine Fortsetzung der Sensation im Gerichtssaal für den ›Pan‹ noch etwas herauszufetzen ist. Nur möchte ich ihn bitten, den Berliner verantwortlichen Redakteur, der den Angriff vielleicht später gelesen hat als er selbst, aus dem Spiele zu lassen und mit mir vorlieb zu nehmen. Ich will auch vor einem Berliner Gericht verantwortlich sein und verspreche, daß ich mich gegebenenfalls auch als österreichischer Staatsbürger den Folgen eines Freispruchs nicht entziehen werde. Was die Helfer betrifft, so gebe ich ihnen eines zu bedenken. Das Café des Westens ist ein geistig schlecht ventiliertes Kaffeehaus. Ich könnte da ein bißchen Luft einlassen und würde dabei auf die Erhitzung der Stammgäste keine Rücksicht nehmen. Sie mögen sich den Schmerz darüber, daß ich ihrem Glauben an Herrn Kerr abtrünnig wurde, nicht zu sehr zu Herzen nehmen, und wenn sie nicht anders können, sich im Ausdruck mäßigen und nicht das Problem der Zimmerreinheit, das durch die Affäre selbst berührt wurde, noch mehr verwirren. Ich verlange nicht Verehrung, aber anständiges Benehmen. Sie mögen bedenken, daß mir meine polemische Laune nicht so leicht zu verderben ist, denn während andere Polemiker sich dadurch beliebt machen, daß ihnen der Atem ausgeht, regt mich das Fortleben meiner Objekte immer von neuem an. Sie mögen bedenken, daß ich die Großen bis zu den Schatten verfolge und auch dort nicht freigebe, aber auch schon manchem kleinen Mann den Nachruhm gesichert habe. Das kommt davon, daß mir die, welche ich treffe, nur Beispiele sind, und die, welche ich gestalte, nur Anlässe. Über den Verlust des Herrn Kerr, dem solche Willkür nicht zur Verfügung steht und dem nicht Phantasie die polemische Potenz erhöht, müssen sie sich trösten. Sie müssen endlich aufhören zu glauben, daß auch nur eine der nachkommenden Generationen, und machte man selbst den Versuch, die Säuglinge der Zukunft mit Absynth aufzuziehen, sich auch nur eine Stunde lang erinnern wird, daß um 1910 in Berlin Leute gelebt haben, die sich für Tänzer hielten, weil sie nicht gehen konnten, in die Aktion flüchteten, weil ihnen die Persönlichkeit ausging, und zwischen Kunst und Leben sich mit Psycholozelach die Zeit vertrieben haben. Wenn diese vorbei ist und sich meine Satire nicht erbarmt, kommt nichts dergleichen auf die Nachwelt! Und was sind denn das für Helden, die mir vor der Nase herumfuchteln, wenn ihr Heiland der Polemik gegen einen Polemiker die gegen einen Polizisten vorzieht? Man ist über ihre Herkunft informiert. Als Gott einen Mann namens Pfemfert erschuf, vergriff er sich und nahm zu viel Lehm. Kopf und Kehle wurden voll davon. Der Mensch hustete: Pf ... mpf .. t. Und Gott ward unmutig und sprach: Heiße fortan so! ...1 Und das sind meine Gegner! Ich habe zu viel Odem bekommen, ich blase sie weg. Noch ein Wort, und es könnte ein Südwind gehen, daß sie Herrn Alfred Kerr von einem Journalisten, Herrn Cassirer von einem Verleger und den Montmartre vom Kreuzberg nicht unterscheiden!

Vgl.: Die Fackel, Nr. 321/322, XIII. Jahr
Wien, 29. April 1911.


  1. Zur Ehre des damals an die falsche Seite Verirrten sei festgestellt, daß er inzwischen wiederholt und nachdrücklich den Irrtum bekannt und — in der ›Aktion‹ (XVIII 2/3) — jene »Rettungsaktion für Herrn Kerr« bereut hat, die, »als Karl Kraus ihn beinahe völlig niedergeboxt hatte«, so erfolgreich durchgeführt worden sei, »daß der Fasterledigte sich allmählich wieder an die Öffentlichkeit wagen durfte«. Er wird bald wieder in den Zustand zurückfinden, aus dem er gerettet wurde.