Zum Hauptinhalt springen

Wahrhaftigkeit

Wahrhaftigkeit. „Daß das, was jemand sich selbst oder einem andern sagt, wahr sei, dafür kann er nicht jederzeit stehen (denn er kann irren); dafür aber kann und muß er stehen, daß sein Bekenntnis oder Geständnis wahrhaft sei; denn dessen ist er sich unmittelbar bewußt. Er vergleicht nämlich im ersteren Falle seine Aussage mit dem Objekt im logischen Urteile (durch den Verstand); im zweiten Fall aber, da er sein Fürwahrhalten bekennt, mit dem Subjekt (vor dem Gewissen).“ Diese Wahrhaftigkeit ist die „formale Gewissenhaftigkeit“, während die „materiale Gewissenhaftigkeit“ in der Behutsamkeit besteht, „nichts auf die Gefahr, daß es unrecht sei, zu wagen“. In der Sorgfalt, „keine Fürwahrhalten vorzugeben, dessen man sich nicht bewußt ist“, besteht die formale Gewissenhaftigkeit, welche der Grund der Wahrhaftigkeit ist. Wer also ohne innerliches Bewußtsein sagt: „er glaube“, der lügt. — Im Menschen ist ein Hang zur Unlauterkeit, zur Unwahrhaftigkeit, zur „feinen Betrügerei“. Die Lügenhaftigkeit ist eine „Nichtswürdigkeit“, „wodurch dem Menschen aller Charakter abgesprochen wird“, Theodizee Schlußanmerk. (VI 149 ff.), vgl. Theodizee, Eid. „Wahrhaftigkeit ist erhaben“, Schön. u. Erh. 2. Abs. (VIII 20); „der Grundzug und das Wesentlichste eines Charakters“, Über Pädagogik (VIII 232 ff.). Man muß sagen, „der Mensch habe ein Recht auf seine eigene Wahrhaftigkeit (veracitas), d. i. auf die subjektive Wahrheit in seiner Person“. „Wahrhaftigkeit in Aussagen, die man nicht umgehen kann, ist formale Pflicht des Menschen gegen jeden, es mag ihm oder einem anderen daraus auch noch so großer Nachteil erwachsen; und ob ich zwar dem, welcher mich ungerechterweise zur Aussage nötigt, nicht unrecht tue, wenn ich sie verfälsche, so tue ich doch durch eine solche Verfälschung, die darum auch (obzwar nicht im Sinne des Juristen) Lüge genannt werden kann, im wesentlichsten Stücke der Pflicht überhaupt unrecht: d. i. ich mache, so viel an mir ist, daß Aussagen (Deklarationen) überhaupt keinen Glauben finden, mithin auch alle Rechte, die auf Verträgen gegründet werden, wegfallen und ihre Kraft einbüßen; welches ein Unrecht ist, das der Menschheit überhaupt zugefügt wird.“ „Die Lüge also ... bedarf nicht des Zusatzes, daß sie einem anderen schaden müsse; wie die Juristen es zu ihrer Definition verlangen ... Denn sie schadet jederzeit einem anderen, wenngleich nicht einem anderen Menschen, doch der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht.“ Es ist „ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot: in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein“. Wahrheit ist „kein Besitztum .... auf welchen dem einen das Recht verwilligt, anderen aber verweigert werden könne“. Wahrhaftigkeit ist eine unbedingte Pflicht, „die in allen Verhältnissen gilt“ (auch z. B. gegenüber dem Mörder, welcher fragt, ob der von ihm Ange-feindete zu Hause sei), Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen (VI 201 ff.). Vgl. Lüge, Lauterkeit.