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Kant

Diese Einsicht in das Wesen von Erfahrung und Denken, welche sich auf dieser Stufe nicht mehr als Gegensätze, sondern als zwei Betrachtungsweisen des Gedächtnisses darstellen, verdanken wir einer Fortführung der Kantschen Kritik, und wir würden sie Kant selbst verdanken, wenn Kant anstatt einer Kritik der reinen Vernunft eine Kritik der Vernunft überhaupt unternommen hätte, wenn er nicht als der scharfsinnigste und hoffentlich letzte aller Wortrealisten Abstraktionen für Wirklichkeit, Worte für definierbare Urteile, uneinlösbare Scheine für bare Münze genommen hätte. So hatte er vollkommen recht, wenn er gegenüber der englischen Überschätzung der Erfahrung den Anteil hervorhob, den das Denken an jeder Erfahrung hat, so hatte er unrecht, wenn er ein reines, sin apriorisches Denken aufstellte, zu welchem Erfahrung nicht notwendig sei. Er hatte noch nicht erkannt, dass Erfahrung und Denken, beides, nur Gedächtnis oder Sprache sei, das eine Mal von vorn, das andere Mal von hinten angesehen; und er ahnte noch nicht, Kant, der doch als erster eine Entwicklung des Planetensystems gelehrt hatte, dass eine Entwicklungslehre der Organismen wenig über hundert Jahre nach Erscheinen seiner Theorie des Himmels den Weg zu einer neuen Theorie des Denkens, zu einer psychologischen Erklärung des Aposteriori und Apriori weisen werde.

Kants Gründe gegen die alleinige Herrschaft der Erfahrung, also gegen allen Materialismus, brauchen nicht wiederholt zu werden. Es ist für uns ein Gemeinplatz geworden, dass man die Welt, das Ding-an-sich, nur aus unserem Bewußtsein, aus unserem subjektiven Denken erschließen dürfe und nicht umgekehrt. Ist schon zur banalsten Erfahrung eine Ver-gleichung zweier Wahrnehmungen, also Denken notwendig, so ist jede höhere Erfahrung, jede Wissenschaft mit ihren sogenannten Gesetzen, ein Hinzukommen des Denkens zur Erfahrung. Gesetzmäßigkeit ist regelmäßige Ursächlichkeit; und den Begriff der Ursache hat noch niemals eine bloße Wahrnehmung in der Welt gefunden. Das hat ja Kant eben gelehrt und es Humes Kritik des Ursachbegriffs hinzugefügt; dass schon das Projizieren einer Wahrnehmung in die Außenwelt, also schon die einfachste objektive Wahrnehmung, die z. B. die Grünempfindung auf den Baum vor meinem Fenster zurückführt, unkontrollierbar eine Ursache der Sinnesempfindung hypostasiert.