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Sichtbarkeit der Dinge

Geiger behauptet nun, dass die menschliche Sprache (im Gegensatz zu dem tierischen Schrei, der Furcht oder Begierde ausdrücke) jedesmal auf Gesichtsvorstellungen reagiert habe, dass die Sprache niemals etwas bloß Gehörtes, niemals das Gehörte als solches, sondern stets als etwas mindestens auch Gesehenes bezeichne. (I, S. 23.) Es ist das eine unbeweisbare, aber die Phantasie befruchtende Vorstellung, die auf Darwin zurückgeht, dass nämlich die menschliche Sprache nicht durch Klangnachahmung, sondern durch ein lebhaftes Mienenspiel, durch "Mitgrinsen" ursprünglich entstanden sei.

Die Sprache übersetzt also aus einer Sinnengruppe in die andere, und schon darum wird es klar, dass der Mensch mit seiner Sprache nicht die unmittelbare Empfindung ausdrücken oder beschreiben kann. In Wahrheit sind die Empfindungen die Elemente unseres Geisteslebens, und kein einziges dieser Elemente können wir durch Worte beschreiben. Etwas ungenau meint Geiger, dass das Bewußtsein oder die Erinnerung von Vorstellungen das erste sei, was sprachlich ausgedrückt werden könne. Jedenfalls kennt Geiger bereits die Wichtigkeit der Erinnerung für die menschliche Sprache, die für uns die Vernunft ist. "Wenn es denkbar wäre, dass einem empfindenden Wesen die Fähigkeit sich zu erinnern ganz gebräche, so müßte dieses Wesen in jedem Augenblicke, wo auf seine Empfindung gewirkt wird, aus einem dumpfen Schlafe erwachen und nach geschehener Erregung alsbald wieder in denselben dumpfen Schlaf zurücksinken; es würde nur in dem einen Augenblicke leben, wo es empfindet, und auch in diesem ganz anders als ein der Erinnerung fähiges Geschöpf" (I, S. 36).

Ohne Übergang gelangt Geiger nun dazu, dieses Haften am Sichtbaren sprachgeschichtlich zu beweisen. Der Baum interessiere den Menschen von dem Augenblicke an, wo er als Holz in menschliche Behandlung gerate; von da aus ergreife die Sprache dieses Ding als Balken, Brett, Tisch usw., so wie es mit dem Objekte der tierischen Gebärde (?) in Berührung gerate.

Doch bevor Geiger noch in die Wirrnis seiner etymologischen Beweisgründe zurücksinkt, weiß er die Bedeutung der Gestalt für die Begriffsbildung anschaulich zu machen. Was unsere Empfindungen erregt und nachher in unserer Erinnerung haften bleibt, ist immer nur eine einzelne Äußerung des Dings. Die äußere Erscheinung, die Gestalt des Dings ist es aber, was wohl auf dem Wege der Gedankenassoziation uns veranlaßt, die verschiedenen Empfindungen (z. B. rot, duftend, vielblättrig usw. von einer Rose) auf eine einheitliche Ursache zurückzuführen und so, weit lebhafter als bei den Tieren, einen Begriff zu erzeugen. Geiger geht zu weit, wenn er die gesehene Gestalt ausschließlich für den Grund unserer Vorstellung von Ursachen erklärt; gewiß ist, dass die sichtbare Welt uns deutlicher als die hörbare, riechbare usw. von einer Welt außer uns Kunde zu bringen scheint und dass uns die sinnliche Welt allerdings zunächst eine sichtbare Welt ist. Ich möchte dazu die Vermutung äußern, dass unsere Anschauung vom Raum, die doch wesentlich unserer Vorstellung von einer Wirklichkeit zugrunde liegt, ganz anders beschaffen wäre, wenn wir nicht zufällig eine greifende Hand besäßen, eine Hand mit der Fläche von vier Fingern und dem gegenüberstehenden Daumen; in jeder Greifbewegung der Hand üben wir praktisch die drei Dimensionen des Raums ein. Es will mich bedünken, dass der Handraum des Menschen ganz anders vorgestellt werden müsse als etwa der Fußraum des laufenden Tieres; der dreidimensionale Raum mag beim Tiere eher durch die Bewegungen des Fressens entstehen, als Maulraum.