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Onomatopöie der Betonung

Das unmittelbare Verständnis für den Ton der Stimme ist auch noch heute (und selbst für den Ton unverstandener Sprachen) viel lebhafter als das oft behauptete Verständnis für die Symbolik der Laute. Die Symbolik der Laute dürfte wohl durchaus auf Gewohnheit beruhen, und wir wissen schon, dass die durch Laute ausgedrückte Onomatopöie eine akustische Täuschung ist, dass wir für Klangnachahmung halten, was nur eine akustische Metapher ist. Anders steht es um das, was ich die Onomatopöie der Betonung nennen möchte. Diese kann unbildlich sein, wirklich, sie kann also, ja sie muß der artikulierten Klangnachahmung vorausgegangen sein. Ich greife wieder zu meinem Beispiel vom Kuckuck. Die geheimnisvolle, wenigstens bis jetzt nicht aufgeklärte Verwandtschaft zwischen Ton und Laut läßt es uns natürlich erscheinen, dass wir den Ruf dieses Vogels mit Hilfe des Konsonanten "k" und des Vokals "u" nachahmen. Ein Jäger aber oder ein talentvoller Dorfjunge, der diesen Ruf wirklich nachahmen will, der auf den Kuckuck selbst und nicht auf andere Menschen mit Klangnachahmung wirken will, der artikuliert nicht menschlich, er sagt weder k noch u, sondern bringt konsonant- und vokallose Töne hervor, die einzig und allein die Höhe der beiden (oder drei?) Töne nachahmen. Dann erst erkennt nicht nur ein andrer Mensch den Ruf, sondern der Vogel selbst. Denn der Vogel selbst weiß ja nicht, dass er Kuckuck gesprochen und geschrieben wird.

Für die Ironie wäre die ganze Untersuchung des Tons von vorne anzustellen. Es ist offenbar, dass da ein inneres Lachen mittönt, welches (in der Judensprache z. B. häufig durch eine Geste unterstützt) das Wort in seinen Gegensinn verkehrt. Es ist nicht schwer, die Möglichkeit einzusehen, dass diese Verkehrung, die jedesmal nur ein momentaner Sprachgebrauch ist, unter Umständen die Bedeutung der Laute dauernd ändern kann. Ich erinnere an meinen Versuch, den Ausdruck der Negation zu erklären (vgl. S. 149), daran, dass z. B. ein Wort wie "ungeduldig", also die Verneinung von geduldig, zusammenfällt mit der Art, wie etwa ein lebhafter Jude mit einem kurzen Lachen ironisch sagen würde "hn geduldig". Dann wäre der jetzige Konsonant "n" als Zeichen der Verneinung eine wirkliche, eine metaphorische Onomatopöie. Der urzeitliche Ausdruck für die Ablehnung oder Verneinung jedoch, die Klangnachahmung des Lachens, wäre eine echte Onomatopöie.

Auch die Betonung beim liebevollen Interesse ist noch nicht genügend beobachtet worden. Ich vermute, dass die völlig unartikuliert gurrenden Töne, die wir so leicht im Verkehre mit Kindern und andern geliebten Personen ausstoßen und die irgendwie echte Onomatopöie sein müssen, den ersten Anlaß zu den Wortbildungen gegeben haben, die wir Diminutive nennen. Ist doch die allgemeine Gewohnheit der Menschensprache, das Geliebte durch Verkleinerung zu bezeichnen, wieder eine Metapher. Sehr merkwürdig ist da die Erscheinung, dass im Chilenischen Diminutive durch Erweichung von Konsonanten gebildet werden; "t" wird zu "ch", wie in unserer Kindersprache "k" zu "t" wird. Es ist ein feststehender Zug der Menschensprache, dass ihre natürlichen Ausdrucksmittel zu künstlichen herabsinken, was mit Rücksicht auf die Mitteilbarkeit von Gedanken immer für einen Fortschritt gelten mag. Der Zug nach Abstraktion, wie sie heute in der Entwicklung unserer Schriftsprachen so viel bewundert vorliegt, hat schon in Urzeiten begonnen, als die Verschiedenheit der Betonungen, die echte Onomatopöie in "Artikulationen" gewissermaßen versteinert wurde, in der metaphorischen Onomatopöie. Schon dadurch ist unser Tongefühl zugunsten unsers Lautgefühls schwächer geworden, ganz abgesehen davon, dass wir eben für unsere Laute eine ungeheuer tiefe Wissenschaft haben, das ABC nämlich, dass wir ein ABC für die Betonung aber entbehren. So können wir gar nicht wissen, ob die Missionare und Linguisten, welche die Onomatopöien "wilder" Völkerschaften in unserem ABC niederschreiben, nicht selbst Opfer der akustischen Metapher geworden sind, oder ob die Eingeborenen bereits den Schritt von der Tonempfindung zur Lautempfindung gemacht haben. Wenn ich lese, dass im Batta der Begriff "kriechen" mit dzarar ausgedrückt wird, dass dann das Kriechen kleiner Tiere mit dzirir, das Kriechen gefährlicher Raubtiere mit dzurur nachgeahmt wird, so habe ich das unabweisbare Gefühl, dass ich im Lande der Batta diese Unterscheidung sofort verstanden hätte, und zwar nicht durch Lautsymbolik, sondern durch Tonsymbolik, durch echte Onomatopöie.

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