Zum Hauptinhalt springen

Nachahmung

Lesen wir ästhetische Schriften des 18. Jahrhunderts, so kehrt die Grundanschauung immer wieder, dass die Poesie oder die Wortkunst in Nachahmung der Wirklichkeit bestehe; Lessings Laokoon ist nur die tiefsinnigste Untersuchung, welche auf diesem alten Irrtum beruht. Gerade aus Lessings Laokoon erkennen wir aber deutlich, wie sehr der Glaube, es sei die Sprache eine Schallnachahmung der Wirklichkeit, mit diesen aristotelisch-französischen Lehren von der nachahmenden Dichtkunst verquickt war.

Unsere Annahme, dass die ursprünglichen Worte nur aus einer Situation heraus verständlich waren, nur auf einen besonderen Punkt des Bildes hinwiesen, mit Hilfe dieses Punktes an das ganze Bild zu erinnern suchten, unsere Behauptung ferner, dass auch die ausgebildete Sprache nicht mehr leiste als die Wachrufung von besonders belichteten Erinnerungsbildern, führt uns wieder auf einem anderen Wege zu der Erkenntnis, eine wie große Überschätzung der Sprache auch in der Nachahmungstheorie der Ästhetiker enthalten war. Nur müssen wir dazu noch tiefer graben, als es Wegener (Untersuchungen, S. 96—99) getan hat.

Wir müssen uns nämlich ins Gedächtnis zurückrufen, dass es doch nur relativer Zufall war, wenn die menschliche Sprache als Lautsprache sich entwickelte, wenn die Erinnerung an die Eindrücke aller unserer Sinne an hörbare Zeichen geknüpft blieb. Die letzte Tatsache unserer Psychologiekritik, dass schließlich sogar unsere Sinne selbst Zufallssinne sind, würde hier in das graue Elend der Sprachverzweiflung führen.

Die Hörbarkeit der Menschensprache, dass wir also hörbare und nicht sichtbare Zeichen verwenden, ist ebenso nützlich für die Beziehung der redenden Menschen untereinander, als sie schädlich ist für die Beziehung des Menschen zu der beredeten Wirklichkeitswelt. Die in einer Lautsprache redenden Menschen können sich auf weitere Entfernung miteinander unterhalten, als sie es (bei der notwendigen Feinheit der Ausdrucksmittel) durch eine sichtbare Sprache, durch Mienenspiel oder Fingerbewegung tun könnten. Aber anderseits dringt das Auge viel weiter als die menschliche Stimme. Der Mensch sieht die Bewegungen der Sterne, aber hört die Sphärenharmonie nicht; er sieht auch auf der Erde noch Bäume, Menschen und Tiere, deren Rauschen, deren Sprechen, deren Laute er nicht vernehmen kann. Wenn nun schon die Schallnachahmung ohnehin auf den geringen Teil der Natur sich beschränkt haben müßte, der von selber tönt, so wäre sie innerhalb dieses Teils auch noch auf nahe Naturgegenstände beschränkt gewesen.

Nun wissen wir, dass alle unsere zahlreichen Onomato-pöien metaphorisch zu erklären sind. Eine scheinbare Ausnahme bilden nur die Fälle, in denen ein Mensch nach seinem Lieblingsworte benannt worden ist, wie wenn Blücher der Marschall "Vorwärts" heißt. Es ist aber ein Unterschied zwischen dem Eigennamen "Vorwärts" und etwa einem angeblich schallnachahmenden Gattungsnamen wie die Worte Wauwau, Kikeriki usw. in der Kindersprache. Eigennamen nach Lieblingsworten gehen aus einer Neckerei hervor; zwischen der Nachahmung aus Neckerei und dem Worte Kikeriki als Gattungsnamen besteht aber eine gewaltige Kluft, die sprachloses Spiel von der Sprache trennt.

Man achte auf die Kinder. Wenn ein Knabe keine andere Absicht hat, als einen Hahn zu necken und etwa mit ihm um die Wette zu krähen, so ahmt er den Hahnenschrei wirklich und möglichst natürlich nach; wenn er den Begriff Hahn bezeichnen will, so kräht er nicht, sondern gebraucht das artikulierte Wort Kikeriki. Wir wissen, dass diese Lautform erst in jüngster Zeit entstanden ist; im 18. Jahrhundert sagte man Kikri und glaubte den Hahnenschrei so zu hören; im 16. Jahrhundert hieß die Schallnachahmung gar Tutterhui.

Ein Spiel zwischen dem Kinde und dem Hahn können wir uns als auf Schallnachahmung beruhend denken; denn der Hahn soll durch das natürliche Kikeriki nicht an etwas erinnert werden, er soll unmittelbar getäuscht werden. Sprache aber ist etwas zwischen den Menschen, und sprechende Menschen wollen einander zunächst nicht täuschen, wollen einander an gemeinsame Wahrnehmungen erinnern. Wollte ein Mensch den anderen an das Gesamtbild eines Hahnes erinnern, so wäre z. B. ein natürliches und musikalisches Krähen nicht nur unbequem; eine Durchführung dieses Sprachprinzips wäre trotz der Begabung des Menschen für Nachäfferei undurchführbar. Und eine Artikulation des Hahnenschreis würde wieder nicht zum Ziele führen, wenn der eine Mensch den Schrei als Kikri, der andere als Tutterhui artikulieren würde. Es ist also die wahre Nachahmung nicht eine Nachahmung der Wirklichkeitswelt, sondern eine Nachahmung zwischen den Menschen, welche allerdings sofort zur Sprache führt.