Zum Hauptinhalt springen

"Auf den Knien des Herzens"

Augustinus hatte solche Wippchen aus dem Hebräischen des N. T. Dort ist vom Antlitz der Erde, vom Antlitz der Hand, vom Antlitz der Füße die Rede. Die orientalische Mythologie und auch die griechische wird zum stilisierten Wippchen. Und wie die Mythologie, so kann das Wippchen ans Erhabene grenzen. Man liest tief ergriffen in dem inbrünstigen "Gebet Manasse" nach tiefster Zerknirschung (Vers 11): "Darum beuge ich nun die Knie meines Herzens und bitte dich, Herr, um Gnade." Man sollte das Gebet Manasse lesen, um zu verstehen, mit welchen Gefühlen Heinrich von Kleist (24. Januar 1808) an Goethe schrieb: "Es ist auf den Knien meines Herzens, dass ich (mit dem ersten Hefte des Phoebus) vor Ihnen erscheine." Wie vor seinem Gotte. Goethe, hart wie immer gegen Kleist, erinnerte sich wohl schwerlich, dass er dasselbe wunderschöne Wippchen vor langen Jahren (Mai 1775) gegen Herder gebraucht hatte: "Deine Art zu fegen — und nicht etwa aus dem Kehricht Gold zu sieben, sondern den Kehricht zur lebenden Pflanze umzupalingenesieren, legt mich immer auf die Knie meines Herzens."

Die unbewußte Metaphermischung kann ein Lachen nicht erregen, weil wir eben leider nur bei ungewohnten, seltenen oder poetischen Worten unsre Phantasie bemühen, die gewohnten Worte der Umgangssprache jedoch vorstellungslos zu gebrauchen pflegen wie mathematische Formeln. Da aber jedes unserer Worte, auch das abstrakteste, schließlich auf Sinneseindrücke zurückgeht, die zu bezeichnen der einzige Sinn des Wortes ist, so ist der Rückweg vom Wort zur Vorstellung immer möglich, wo die Etymologie offenbar oder auffindbar ist; aber auch dann, wenn die Etymologie nicht nur dem Volksbewußtsein, sondern auch der Wissenschaft verloren gegangen ist, ist es gar nicht anders möglich, als dass die Entstehung eines Worts, wenn auch noch so mittelbar und mikroskopisch, irgend einen Einfluß auf die Vorstellung übt, die wir nicht ohne Bemühung unserer Phantasie durch das Wort bezeichnen. Unter den vielen Merkmalen eines Dings hat die Sprache in Urzeiten einmal ein einzelnes hervorgehoben, um das Ding gewissermaßen zu symbolisieren. In dem Namen Kose steckt die Bezeichnung der Farbe immer noch drin, auch wenn wir uns des etymologischen Zusammenhangs nicht bewußt sind. Aber auch wo der größte Scharfsinn die Etymologie nicht mehr auffinden kann, muß die ehemalige Auswahl des Merkmals noch irgendwie nachwirken. Das Bild muß ohne Gnade schief werden — wenn auch nicht immer in einer für uns wahrnehmbaren Weise —, sobald es mit einem anderen Worte in Zusammenhang gebracht wird.

Noch einmal: man wende mir nicht ein, das alles sei — berechtigte oder unberechtigte — ästhetische Kritik, aber nicht Sprachkritik. Es ist Sprachkritik, denn auch der vielgenannte Sprachgeist ist ein Poet, der mit seinen armseligen paar Worten durch Metaphern auszukommen sucht. Der Mond als Hirte von Lämmerwolken ist noch poetisch, ob man das Bild nun schön oder komisch finden mag. Aber auch der einfache Mann spricht von Lämmerwolken oder Schäfchen und empfindet nicht mehr die Verwegenheit des Bildes.

Ganz widerwärtig werden die "Wippchen", wenn ihr Erzeuger mehr Geist als Sprachgeschmack besitzt. Bei meinem lieben Hamann, den ich wahrhaftig trotz alledem hoch genug einschätze, jagen die Bilder einander oft wie bei pathologischer Gedankenflucht. Ich finde in Hamanns "Apologie des Buchstabens h," einem seiner hübschesten Flugblätter, das folgende Ungeheuer: "Ein deutscher Kopf, mit dessen Kalbe Wolf [der Philosoph ist gemeint, mit dem 'deutschen Kopfe' auf Leibniz angespielt] sich unsterblich gepflügt ..." Dieses "Kalb des Kopfes" übertrifft noch Schillers Tigergriff des Geiers; und steht nicht vereinzelt.