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Geschichte der Philosophie Selbstzersetzung des Metaphorischen

Ich kann aber dem Reize nicht widerstehen, mit einigen Worten wenigstens anzudeuten, wie die Geschichte der Philosophie (insofern sie nicht durch individuelle Köpfe gemacht und darum zufällig ist wie alle Geschichte) sich als eine langsame Selbstzersetzung des Metaphorischen ausdeuten ließe. Freilich darf man da nur die Philosophien betrachten, die historisch aufeinander beruhen, und muß von dem Denkgeschäft der Inder absehen, welche bereits in alter Zeit das Wirklichkeitsbild als ein Blendwerk der Maya betrachteten, als eine angeborene Täuschung, hervorgerufen durch falsche Analogien, also doch wohl durch Metaphern.

Die zusammenhängende Geschichte der sogenannten Philosophie beginnt aber erst mit den älteren Griechen, welche mit ungeheuer kühnen falschen Analogien entweder etwas ausgedachtes Undenkbares wie nous oder eines der vier Elemente zum weltbildenden Prinzip machten, zum einzig Seienden. Dieses mußte also Ursache seiner selbst sein, ein sinnloser Begriff, wenn er auch volle zweitausend Jahre geherrscht hat. Das sahen logische Köpfe sofort ein und machten das Nichtseiende zur Ursache des Seienden, wobei doch die Metapher eigentlich einen Purzelbaum aus der Welt heraus macht. Die Sophisten zersetzten beide Begriffe und machten den Menschen zum Maßstabe der Welt; man beschimpfte sie dafür, und Sokrates mußte dafür sterben. Die Reaktion meldete sich in seinem dichterischen Schüler Platon, der die Überschätzung der metaphorischen Sprache für mehr als ein Jahrtausend, ja bis in die Gegenwart hinein auf einen Gipfel gehoben hat. Hatte er von einem Vorgänger das Trügerische des Wirklichkeitsbildes gelernt (Alles ist im Flusse begriffen), so gelangte er dadurch nicht wie Sokrates zum Eingeständnis des Nichtwissens, sondern personifizierte die Abstraktionen der Sprache, machte die Ideen zu den Müttern der Welt. Die Zeit wird auf den Kopf gestellt, das Letzte wird das Erste genannt, die von den Einzeldingen abstrahierten Begriffe heißen die Ursache der Einzeldinge.

Aristoteles mag die Ungeheuerlichkeit dieser falschen Analogie durchschaut haben, die doch wieder nur das Nichtseiende zur Ursache des Seienden machte. Er erklärte darum die Ideen für immanent; man hat das dann im Mittelalter so ausgedrückt, dass er statt der Universalien ante rem die Universalien in re gesetzt habe. Es war eine Zersetzung der Ideenmetapher. Aber mit einem noch viel gefährlicheren, viel weniger durchsichtigen Anthropomorphismus machte er nun seinerseits den Zweckbegriff zur Ursache der Welt, zur Seele, zum Formprinzip des Stoffs. Zu diesen Vorstellungen brachten das Christentum und die ihm vorausgehenden Epigonenschulen der griechischen Philosophie den religiösen Gottesbegriff, und durch Jahrhunderte bissen sich die Scholastiker daran die Zähne aus, die Kette dieser ineinander verschlungenen Metaphern zu zernagen. Der mittelalterliche Nominalismus ist der erste Versuch der wirklichen Selbstzersetzung des metaphorischen Denkens. Er konnte sich trotz aller Ketzereien von der Theologie nicht befreien. In diesem Zusammenhange erscheint auch Descartes als ein Theologe mit ausgebissenen Zähnen. Er löst viele niedere Metaphern auf, betet aber die oberste Metapher an, den Deus, dem nun eine viel schwierigere Arbeit als in der Religion zugewiesen wird. Die Welt wird eine Republik mit dem Großherzog an der Spitze. Soweit Spinoza durch Sprache und Logik in diesen Zusammenhang gehört, ist auch er, trotzdem er Gott mit der Substanz identifiziert, ein Scholastiker. Wo er jedoch, als einziger, die Wahrheit sieht, wo er in der Wirklichkeitswelt zufällige Notwendigkeit erblickt — wie Leibniz das später genannt hat —, da steht Spinoza in einsamer Größe eigentlich außerhalb der zusammenhängenden Geschichte der Philosophie.

Dieser Zusammenhang ließe sich schematisch so darstellen, dass mit Platon und Aristoteles und noch mehr mit ihren einseitigen Auslegern die große Gabelung beginnt; beide Geistesrichtungen wollen ein Nichtseiendes zur Ursache alles Seienden machen, die Platoniker die begrifflichen Ideen, die Aristoteliker die Zweckbegriffe. Die Scholastik, welche in ihren Ausläufen bis zu Kant und Schopenhauer herabreicht, ist in allen freieren Köpfen ein staunenswert scharfsinniger Versuch, Platons Ideenlehre zu zersetzen und den geistesmörderischen Wortrealismus zu überwinden. An der Wirksamkeit der Zweckbegriffe zweifelt innerhalb der Reihe dieser Denker eigentlich niemand, da noch Kant seine praktische Philosophie auf Zweckbegriffe aufbaut und auch Schopenhauer das Monstrum eines zwar dummen, aber dennoch zweckdenkenden Willens in der Natur lehrt. Die Bestrebungen, diesen ebenfalls wortrealistischen Irrtum zu überwinden, lassen sich am besten an die Entwicklung der Philosophie knüpfen, die von den Engländern ausgegangen ist und schließlich ebenfalls in dem umfassenden Geiste Kants mündet. Das Ende beider Denkrichtungen kann nur eine Sprachkritik sein, welche wieder den Nominalismus des Mittelalters dadurch übertrifft, dass sie nicht mehr nur gegen das Gespenst des Wortrealismus polemisiert, sondern die Vernunft selbst als Sprache erkennt, das heißt als das Gedächtnis der Menschheit mit all den Unvollkommenheiten und Grundgebrechen, welche dem Gedächtnis und seinen Dienern und Herren, den Zufallssinnen, wesentlich anhaften.

Diese englische Denkrichtung hat ihren ersten vollendeten Ausdruck in Locke gefunden, der in der Kritik der konkreten Begriffe alles Wichtige schon gesagt hat, der aber bezüglich der komplexen Ideen trotz aller seiner Sprachkritik noch im Wortaberglauben befangen ist, so dass sein Kritiker Leibniz nicht ohne einen Schein der Berechtigung die Psychologie Lockes und die Metaphysik Descartes' zusammenschmeißen und seine metaphorische Monadenlehre aus den "Worten dieses Mischmasch konstruieren konnte. In England blieb die Bewegung aber bei Locke nicht stehen. Was bei Berkeley noch als Versuch erscheint, die menschliche Vernunft durch einen radikalen Idealismus ad absurdum zu führen, das wird bei Hume die größte ernsthafte Tat des Zweifels: Kritik des Kausalitätsbegriffs. Der Begriff der Ursache wird als eine menschliche Metapher erkannt, das Nichtseiende soll das Seiende nicht mehr erklären.