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Schopenhauer

Vor den Pforten der Wahrheit ist Kant stehen geblieben. Die Sprachkritik allein kann diese Pforten aufschließen und mit lächelnder Resignation zeigen, dass sie aus der Welt und dem Denken hinaus ins Leere führen. Die deutschen Nachfolger Kants aber sind umgekehrt. Namentlich in Hegels erstaunlich scharfsinniger Dialektik feiert der alte Wortaberglaube die tollsten Orgien. Er begnügt sich nicht damit, das Nichtseiende zur Ursache des Seienden zu machen, er streicht die Welt aus der Welt und macht die Logik, diese Klassifikation des Nichtseienden, zum einzig Seienden. Schopenhauer, sein wilder und mächtiger Gegner, hat den Weg Kants wiedergefunden und rüttelt oft und stark an den Pforten der Sprachkritik. Aber auch sein System gipfelt schließlich in Wortaberglauben, in einer mythologischen Person, in dem Willen, der nachher von Eduard von Hartmann den selbstverräterischen Namen "das Unbewußte" erhalten hat.

Schopenhauer ist — abgesehen von den Schwächen seines Systems — einer der größten philosophischen Schriftsteller geworden, weil er im Gegensatze zu Hegel die Welt wieder in ihr Recht einsetzte, weil er anschaulich zu denken versuchte. Man liest ihn darum mit Bewunderung, wie man einst Platon gelesen hat. Wer von der Philosophie nicht mehr verlangt, als die denkbar höchste Anschaulichkeit, die lebendigste metaphorische Darstellung abstrakter Begriffe, der muß ihn einen gewaltigen Denkdichter nennen. "Das geschlossene Auge sieht nur Phantasmen. Das menschliche Denken lebt von der Anschauung, und es stirbt, wenn es von seinen eigenen Eingeweiden leben soll, den Hungertod" (Trendelenburg, Logische Untersuchungen I, 96). Unsere Sprachkritik aber hat uns gelehrt, dass auch der konkreteste Begriff noch keine Anschauung gewährt, sondern nur den Schein einer Anschauung, dass also auch der blendende Bilderreichtum eines Denkdichters über die Grenzen der Sprache nicht hinaus gelangen kann. Nicht eine Kritik der reinen Vernunft kann da helfen, sondern nur die Kritik der Vernunft überhaupt, die Kritik der Sprache. Denn der Mensch hat keine andere Vernunft als seine Sprache. Nur handelnd verstehen wir die Wirklichkeitswelt, nur wenn wir selbst wirkend mitten in der Wirklichkeit stehen, niemals wenn wir uns ihr denkend gegenüberstellen wollen. Was der Mensch mit übermenschlicher Kraft auch wagen mag, um Wahrheit zu entdecken, er findet immer nur sich selbst, eine menschliche Wahrheit, ein anthropomorphisches Bild der Welt. Das letzte Wort des Denkens kann nur die negative Tat sein, die Selbstzersetzung des Anthropomorphismus, die Einsicht in die profunde Weisheit des Vico: homo non intelligendo fit omnia.

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